»Wie geht es Scribonia?« erkundigte sich Antonius nach einer Weile. Octavian war in Begleitung von Livia Drusilla erschienen, obwohl diese verheiratet war. Der junge Caesar schien davon auszugehen, daß ihm alles gestattet war. Auch Maecenas befand sich bei ihm, mit einem aufreizenden Lächeln auf den Lippen.
»Scribonia ist eine Hexe«, erwiderte Octavian.
»Oh, aber sie ist doch mit Neptun verwandt.«
»Wohl eher mit Medusa.«
Mittlerweile wurden weitere Götterstatuen auf Wagen an ihnen vorbeigerollt. Mars, Apollo, Mithras. Wildes Beifallsgejohle und begeistertes Klatschen brach aus, als die Reihe an Neptun war. Das war eine deutliche Absage an Octavian.
Antonius warf ihm einen verstohlenen Blick zu. Die Wangen des Bübchens brannten, seine Hände krallten sich um die vergoldeten Sesselstützen. Er gab dem Zenturio an seiner Seite einen Befehl, woraufhin dieser mit einer Kohorte im Gefolge die Stufen der Arena hinunterstürmte.
Das geht nicht gut, dachte Antonius.
Die Soldaten sprangen über die Barrieren und rannten über den Sand zu den Sklaven, die das Fuhrwerk mit der festgezurrten Neptunstatue zogen. Sie gestikulierten wild und deuteten auf die Ausgänge. Offenbar sollte Neptun den Umzug verlassen.
Die Menge bekundete ihr Mißfallen durch wütendes Gebrüll. Bald flogen Steine durch die Luft.
Antonius wandte sich an Octavian. »Ich glaube, das war keine gute Idee.«
»Sextus ist nicht der Herrscher von Rom.«
»Noch nicht«, knurrte Antonius leise.
Inzwischen waren etliche der Zuschauer in die Arena geklettert. Die Soldaten zückten ihre Schwerter. Es wird nicht mehr lange dauern, dachte Antonius, und der Sand ist mit Blut getränkt, nur daß es dieses Mal nicht das Blut der Gladiatoren sein wird.
Octavian war blaß geworden. Einer der Steine schlug dicht neben ihm auf - das Volk zeigte, was es von diesem Göttersohn hielt. Der Sohn des Neptun schien ihm besser zu gefallen.
Ein Soldat aus Octavians Leibwache beugte sich zu ihm vor und flüsterte ihm ein paar Worte ins Ohr.
»Er rät uns zum Aufbruch«, sagte Octavian zu Antonius.
Antonius grinste - ein Aufstand setzte sein Blut in Wallung. Er sah, wie Munatius Plancus mit erhobenem Schwert auf der obersten Treppenstufe erschien. Mutiger Bursche! Octavian hatte sich ordentlich verschätzt, was die Stimmung des Volkes betraf, ganz außerordentlich verschätzt.
Octavian war unter dem Vorwand, daß er sich um Livias Sicherheit sorgte, mit seiner Leibwache abgezogen. Antonius war geblieben, da es ihm widerstrebte, sich von einer Handvoll Aufschneider Angst einjagen zu lassen. Schließlich verließ er den Circus in Begleitung von Munatius Plancus und einer Phalanx makedonischer Legionäre.
Draußen vor der Arena umzingelte der Pöbel ihre Wagen und ging gegen die Posten vor, die man zum Schutz der Triumvirn abgestellt hatte. Blutjunge Soldaten, stellte Antonius fest, noch halbe Kinder. Wenn seine Veteranen hier gewesen wären, hätte man längst wieder Ordnung geschafft.
Als nächstes sah er, daß die Reihe der Posten schwankte.. Dann wurde sie an einer Stelle durchbrochen. Octavian ging zu Boden.
Antonius riß sein Schwert aus der Scheide, doch Plancus packte ihn am Arm. »Wollt Ihr wirklich einschreiten?« raunte er.
»Wieso fragst du das?« zischte Antonius zurück, obgleich er wußte, was der andere dachte.
»Laßt sie doch gewähren! Danach seid Ihr der Herr über Rom. Das Volk liebt Euch, es wünscht nur Octavian den Tod.«
»Octavian ist mein Schwager!«
»Er ist Euer Rivale.«
Antonius erwiderte den Blick des anderen. Seltsam, er hatte Plancus immer für einen Schwächling gehalten, doch die Augen, die ihm jetzt entgegenbrannten, glichen schwarzen Löchern. Ihn hat man in Perusia zu nichts überreden müssen, dachte Antonius.
Er zögerte. Plancus hatte recht, er mußte nur stehenbleiben und zusehen.
7
DER ÄGYPTISCHE MONAT PHAOPHI IM JAHRE 39 VOR CHRISTI GEBURT
In Alexandria
Es war einer der letzten Tage des Sommers. Nachdem Kleopatra die morgendlichen Pflichten erledigt hatte, nahm sie ein leichtes Mittagsmahl zu sich, zog sich noch einmal für eine Stunde mit Mardian und dem dioiketes zurück und widmete sich anschließend ihren Kindern. Spät am Nachmittag nahm sie die Arbeit wieder auf, die sich unweigerlich bis in die Nachtstunden zog. Tag für Tag derselbe Ablauf.
Mardian hatte es aufgegeben, sie zu größeren Ruhepausen anzuhalten. Kopfschüttelnd und widerwillig nahm er es inzwischen hin, daß ihr Sehnen und Trachten auf nichts anderes gerichtet war als auf das Wohl Ägyptens und die Zukunft von Caesarion.
Eines Nachmittags, während er ihr Gesellschaft leistete, ließ sie sich ein Glas Rosenwasser einschenken, schob die Schriftrollen zur Seite und erkundigte sich nach den neuesten Nachrichten aus Rom.
»Nun«, begann er, »wie es aussieht, läuft jetzt alles gut für Marcus Antonius. Ventidius, sein Oberbefehlshaber, hat die Parther in Syrien besiegt, und Octavia hat ihm eine Tochter geschenkt.«
»Eine Tochter«, sagte sie. Auf ihren Zügen lag die Andeutung eines Lächelns.
»Antonia.«
»Antonia«, wiederholte sie mechanisch, während sie die Papiere wieder zu sich zog und die Berichte des Königlichen Hafenmeisters überflog, die sie über den Ausbau der neuen Flotte informierten.
»Doch es hat vor dem Circus neue Aufstände gegeben. Octavian wurde vom Pöbel angegriffen.«
»Wurde er verletzt?«
»Nur ein paar Schrammen. Wie es heißt, hat Antonius ihn gerettet.«
Das ließ sie innehalten. Sie hob den Blick und zog die Augenbrauen fragend in die Höhe. »Er hat ihn gerettet?«
»Wenn er und seine Soldaten nicht eingeschritten wären, hätte man Octavian zerstückelt.«
Kleopatra stieß einen langen Seufzer aus. »Was hat er sich nur dabei gedacht?«
»Offenbar ist er nicht nur ein Spaßvogel, Majestät, sondern ein Mann mit ganz unterschiedlichen Eigenschaften.«
»Und wir dürfen abermals nur ausharren und zusehen, wie uns ein Römer die Vielfalt seiner Eigenschaften vorführt.«
»Auch ich finde sein Verhalten rätselhaft. Es muß sich um eine seltsame Vorstellung von Ehre gehandelt haben.«
»...so daß wir nicht wissen, ob er sich eines Tages für oder gegen uns entscheidet.« »Er ist tatsächlich schwer einzuschätzen.« Kleopatra hielt den Bericht des Hafenmeisters hoch. »Nun, wenn Rom uns bedrängt, sind wir gewappnet. Noch nie zuvor war Ägypten so stark. Die neue Flotte ist beinahe fertig, die letzte Ernte war ausgezeichnet, unsere Speicher sind voll. Die Ausfuhr von Glas und Papyrus könnte nicht besser sein. Wir haben den Silberanteil in unseren Münzen erhöht, wogegen Rom die seinen entwertet hat. Rom darbt, wir blühen auf. Ich werde nie wieder vor Römern auf den Knien liegen.«
Mardian betrachtete sie mit einem stolzen Lächeln. Er erinnerte sich noch daran, wie er sie als Kind zum ersten Mal mit zum Hippodrom genommen hatte, um ihr das Reiten beizubringen. Ptolemaios hatte sich gleich nach dem ersten Sturz geweigert, sein Pferd noch einmal zu besteigen. Kleopatra hingegen hatte sich auch dann nicht davon abbringen lassen, als ihr Körper schon mit blauen Flecken übersät war.
Damals hatte er zu ihrem Vater gesagt, daß nur Kleopatra Ägypten retten könne. Entweder hatte jener sich die Worte zu Herzen genommen, oder der alte Trunkenbold war nach und nach selbst dahintergekommen.
Kleopatras Mut ließ sich nicht bezwingen. Sie würde immer einen Ausweg finden, um ihre Wünsche durchzusetzen. Armer Antonius. Beinahe hätte Mardian Mitleid mit ihm gehabt.
Auf dem Palatin in Rom
Der kleine Syrer hatte noch nicht einmal den ersten Flaum auf den Wangen. Statt dessen besaß er wunderschöne dunkle Augen und ein Hinterteil, das so fest wie ein Apfel war. Er saß auf Maecenas' Schoß, während ihm dieser über die Schenkel strich. »Du willst das gräßliche Weib also loswerden«, sagte er unterdessen zu Octavian.