Octavia spürte, wie ihr Herz diesem Mann zuflog. Er konnte so wundervoll sein, wenn er wollte.
»Der Koch möchte wissen, was du zur Abendmahlzeit wünschst«, sagte sie lächelnd.
»Nichts, denn wir sind eingeladen. Quintus Dellius veranstaltet ein Symposium in seinem Haus.«
Octavias Lächeln erlosch. »Ich dachte, wir würden den Abend zu zweit verbringen.« Antonius betrachtete sie entsetzt.
»Vielleicht gehst du besser allein«, sagte sie. »Ich fühle mich nicht wohl.«
»Du wirkst nicht krank auf mich«, erwiderte er. Sie wich seinem Blick aus. »Es ist wahrscheinlich das Kind. Du weißt, daß ich das Essen nicht bei mir behalte, wenn ich schwanger bin.«
Antonius lachte. »Ich behalte das Essen auch nicht bei mir, das hält mich aber von nichts zurück.«
»Nichts hält dich zurück«, entgegnete sie scharf und bereute die Worte im selben Augenblick.
»Hör zu, was willst du eigentlich von mir? Ich habe dich zu allen deinen Freunden begleitet, ja mir sogar noch Dichter und Philosophen angehört, die mich zu Tode gelangweilt haben. Heute abend möchte ich Wein trinken und einmal richtig ausgelassen sein.«
»Ist meine Gesellschaft dir nicht genug?«
»Octavia! Ich bin ein Mann mit rotem Blut in den Adern...«
»Mit rotem Blut?« fiel sie ihm ins Wort. »Ist es nicht eher roter Wein?«
Mit welchen Blicken er sie maß! »Komm mit mir«, bettelte er ungeduldig. »Gönn dir doch auch einmal ein wenig Spaß. Es wird dir guttun.«
»Ich bleibe lieber hier. Du weißt, daß ich mir nichts aus Wein und wirrem Gerede mache.« Sie hatte nicht vorgehabt, zu nörgeln und sich wie eine römische Matrone aufzuführen, doch sie konnte nicht anders. Sie wußte, was er tat, wenn sie nicht bei ihm war. Wenn es allein das Trinken wäre, würde sie es vielleicht besser ertragen.
»Es ist doch nur ein bißchen Abwechslung«, knurrte er verdrossen.
»Ein bißchen Abwechslung? In Rom nennt man das...«
»Es interessiert mich nicht, wie man es in Rom nennt! Ich hasse Rom! Dort ist es im Winter zu kalt und im Sommer zu heiß. Eine Stadt voller Wichtigtuer und Mörder. Warum, glaubst du, will ich hier leben?«
Antonia wand sich inzwischen wie ein Wurm in seinen Armen. Er setzte sie auf den Boden, erhob sich und stürmte aus dem Raum. Das Kind fing an zu weinen.
Octavia nahm ihr Töchterchen auf und versuchte, es zu trösten. Nach kurzer Zeit beruhigte sich das Kind, gluckste wieder fröhlich und nuckelte am Daumen. Octavia stieß einen tiefen Seufzer aus. Wenn sie auch nicht das Aussehen ihres Vaters hat, dachte sie, so doch gewiß sein Naturell.
Das Gelage, das auf das abendliche Mahl folgte, begann mit einem Wetttrinken, bei dem jeder Becher Wein in einem Zug zu leeren war. Als Gastgeber durfte Quintus Dellius bestimmen, wie viele Becher getrunken werden mußten und wie voll sie zu sein hatten.
An diesem Abend hatte er die Zahl auf zwölf Pokale festgesetzt, jeweils bis an den Rand gefüllt. Bei den Trinkern handelte es sich um Antonius, Plancus und Canidius, einen weiteren von Antonius' Offizieren, Sisyphus, den Zwerg, sowie vier Freunde von Antonius aus dem dionysischen Schauspielerbund Athens.
Die Regel besagte, daß jeder Mann seinen Becher austrinken und ihn zum Beweis, daß er geleert war, an seinen Nachbarn weiterreichen mußte. Die Tafelrunde durfte erst verlassen werden, wenn man sein Quantum bewältigt hatte.
»Es heißt, daß Octavian sich von seinem häßlichen Weib scheiden läßt«, sagte Plancus, während Antonius den Pokal ansetzte und ihn in gierigen Zügen leer trank, wobei ihm ein wenig davon auf die Tunika rann.
»Heute abend wird weder über Rom noch über Politik geredet«, befahl Antonius und wischte sich das Kinn mit dem Handrücken ab.
»Wie steht's mit Kleopatra?« erkundigte sich Sisyphus, das Altmännergesicht mit der großen Nase und dem breiten Kinn zu einem Grinsen verzogen, das ihn sowohl komisch wie tückisch wirken ließ. »Er schmachtet nämlich nach ihr«, verkündete er den anderen.
Canidius und Plancus tauschten verstohlene Blicke aus. »Stellt Octavia Euch nicht zufrieden?« fragte Dellius. Antonius wußte nicht recht, was er darauf antworten sollte. Wenn Octavia nicht so verständnisvoll wäre, könnte er sie womöglich ertragen, doch ihre Sanftheit versetzte ihn in Wut. Fulvia war ihm fast noch lieber gewesen als die geduldige und zärtliche Octavia. Sisyphus hatte recht, Kleopatra fehlte ihm. Sie war die Frau, die ihn verstand. Sie war im Bett zwar nicht so wild und entfesselt wie Fulvia, doch wer wollte schon jede Nacht eine Furie bei sich haben? Nein - Kleopatra hatte ihn einfach zu befriedigen gewußt, bei Tag und bei Nacht. Sie hatte ihm nie Vorhaltungen gemacht. Sie genoß seine Gesellschaft, wenn er sich vergnügte, ohne sich selbst hinreißen zu lassen. Sie war die vollkommene Gefährtin für einen Mann wie ihn.
Octavias stille Häuslichkeit hingegen belastete sein Gewissen. Sie verbrachte den Tag mit dem Kind, stattete Freunden Besuche ab, besuchte den Dianatempel, um zu beten, und beaufsichtigte die Dienerschaft. Ab und zu lauschte sie Vorträgen in Athens Platonischer Akademie. Einmal hatte sie den Stoiker Athenodoros zu einem abendlichen Gastmahl eingeladen. Einen Stoiker!
»Ich bin mit Octavia ganz zufrieden«, sagte Antonius nach einer Weile.
»Doch warum nur ein Feld beackern, wenn man auf vielen ernten kann?« prustete Plancus los.
»Auf unseren glorreichen Ackermann, unseren Dionysos«, krähte Sisyphus und leerte seinen Pokal.
Antonius griff nach dem nächsten Pokal, hob ihn hoch und verkündete: »Auf den Nil und seine reiche Ernte.«
»Auf den Osten und seine Wunder!« grölte Sisyphus, und alle stimmten johlend ein.
Dellius schaute noch einmal verstohlen zu Plancus. Er wußte, daß sie beide dasselbe dachten. Witze reißen, gut und schön, doch hoffentlich vergaß Antonius nicht, daß er Römer war und die ägyptische Ernte Rom zustand und sonst niemandem.
10
Die Höhle war mit grünen Zweigen geschmückt, an den Wänden hingen Tierhäute, und auf dem Boden standen Tamburine bereit. Dionysos saß auf seinem Thron und trank aus seinem Juwelenbecher. Sein Zwerg wartete ihm auf. Über der Schulter des Gottes lag ein Löwenfell, auf seinen Muskeln prangte ein frisch tätowiertes Efeublatt. Er trug eine Efeukrone und hielt einen efeubewachsenen Stab in der Hand, mit einem Tannenzapfen an der Spitze.
Der Neuling wurde hereingeführt. Es war ein junges Mädchen. Die Tamburine und Flöten wurden schneller, die Tänze der Eingeweihten enthemmter. Sie näherten sich bereits dem enthousiasmos, der ersten Phase der Ekstase. Ein flötenspielender Satyr zog hüpfend seine Kreise um das Mädchen. Eine der Priesterinnen trat vor den Thron und badete die Füße des Gottes in Wein.
Eine Ziege wurde in die Höhle gezerrt, sie bockte vor Angst, bis man ihr geschickt und schnell die Klinge über den Hals zog. Anschließend wurde ihr ein Stück Fleisch aus dem Leib geschnitten, das man dem Mädchen zum Verzehr hinhielt. Mit blutbeschmiertem Mund wurde es danach vor den Thron geschleift und auf die Knie gezwungen.
Eine Frau mit Dreizack und Peitsche näherte sich ihr. Das Mädchen zog die Tunika hoch, die Frau holte aus und ließ die Peitsche niederknallen. Bei jedem Knall vollführte der Satyr einen Luftsprung. Nackte Mänaden wanden sich in verzückten Drehungen.
Je schneller die Peitsche wurde, um so wilder bewegten sich die Tanzenden. Die Körper waren schweißgebadet. Das Mädchen fiel vornüber, und die Peitsche verstummte. Der Satyr half dem Mädchen hoch. Er schleppte es zum Altar, wo ein Bärtiger, als Frau verkleidet und geschminkt, ihr ein kupfernes Gefäß reichte, das mit Wasser gefüllt war. Der Kopf des Mädchens wurde heruntergedrückt, damit es sein Spiegelbild sah. Der Satyr flüsterte ihm etwas ins Ohr.