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Niemand antwortete, und Charity bezweifelte auch, daß außer Kent überhaupt einer der Männer wirklich verstanden hatte, was Skudder mit seinen Worten meinte. Der Schock saß noch zu tief.

Charity warf Skudder einen raschen, warnenden Blick zu, es nicht zu übertreiben, ging zu der zerborstenen Faergal-Hülle hinüber. Sie wollten sie berühren, aber sie konnte es nicht. Obwohl sie sich mit aller Macht einzureden versuchte, daß es nichts als Technik war, die sie sah, eine perfekte Mimikry aus dem Computer und vielleicht einem Cloning-Tank, löste der Anblick einen solch unüberwindlichen Ekel in ihr aus, daß sie es nicht einmal fertigbrachte, die Hand danach auszustrecken.

Sie bat einen der Wächter um sein Messer. Der Mann reichte es ihr, und Charity zog die auseinandergeborstene Menschenmaske mit der Klinge herum, während sich Skudder, Kent und die anderen langsam um sie herum zu sammeln begannen.

Was sie sah, war erschreckend und faszinierend zugleich. Die menschenimitierende Hülle war nur wenig dicker als ihr kleiner Finger, aber sie sah selbst jetzt noch entsetzlich lebendig aus. Es gab eine Unzahl mikroskopisch feiner Adern, in denen etwas wie Blut pulsierte, aber auch andere, seltsam formlose Organe, die nicht in einen menschlichen Körper gehörten und deren Funktion Charity erst gar nicht zu erraten versuchte. Selbst jetzt, als sie wußte, was sie vor sich hatte, hätte sie immer noch beschworen, es mit lebendem Fleisch und Blut zu tun zu haben, nicht mit künstlichem Material.

»Das ist unglaublich«, murmelte sie. »Ich verstehe ja nicht viel davon, aber ich glaube, das ist die perfekteste Maske, die es jemals auf diesem Planeten gegeben hat. Das Ding blutet, wenn man es verletzt, stimmt' s?«

Der Mann, der in Faergals Begleitung gekommen war, nickte. »Voriges Jahr hat er sich den Arm gebrochen. Ich habe ihn selbst geschient. Ich ... ich habe es nicht einmal gemerkt.«

»Vielleicht war er da noch er selbst«, sagte Skudder. Er runzelte die Stirn, als er sah, daß Charity den Kunstkörper mühsam ganz auseinanderbrach und mit angeekeltem Gesicht hineinblickte. »Was suchst du?«

Charity antwortete nicht, sondern führte ihre Untersuchung zu Ende, obwohl sich ihr dabei schier der Magen herumzudrehen schien. Erst dann stand sie auf, wischte das Messer an der Hose des Toten sauber und gab es seinem Besitzer zurück.

»Etwas, das nicht da war«, antwortete sie. »Ein Funkgerät, oder so etwas.«

Kent erschrak sichtlich. »Du glaubst ...«

»Nein«, unterbrach ihn Charity rasch. »Das tue ich nicht. Ich habe es befürchtet. Aber es ist nichts da.« Und jetzt mußten sie nur noch beten, daß das Ding nicht telepathisch war, fügte sie in Gedanken hinzu. Aber das sprach sie lieber nicht laut aus. Plötzlich bedauerte sie es fast, den Insektenspion so gründlich ausgelöscht zu haben. Sein Leichnam hätte ihnen wertvolle Aufschlüsse über ...

Sie dachte den Gedanken nicht einmal zu Ende, als sie den Fehler darin begriff. Wertvolle Aufschlüsse hätte der Kadaver einem Wissenschaftlerteam geben können, das in einem voll ausgerüsteten Labor arbeitete. Aber so etwas gab es nicht mehr. Sie hatte noch lange nicht gelernt, sich in dieser Welt zurechtzufinden. Vielleicht würde sie es niemals wirklich lernen. Vielleicht wollte sie es auch gar nicht.

»Schafft das weg«, sagte sie, müde und mit einer Kopfbewegung auf die zerrissene leere Hülle. »Und dann sollten wir vielleicht endlich tun, wozu wir hergekommen sind, und miteinander reden.«

Es verging noch mehr als eine Stunde, bis sie endlich in Kents improvisierter Kommandozentrale zusammenkamen. Charity hatte darum gebeten, jeden einzelnen der Männer dabeizuhaben, die Zeuge der schrecklichen Ereignisse geworden waren; und selbstverständlich auch Bart, Net und El Gurk - und sie hatte darauf bestanden, daß vorerst niemand von Faergals Enttarnung erfuhr. Kent hatte beides widerspruchslos hingenommen, und auch die drei anderen Rebellenführer hatten sich dieser Anordnung gefügt.

Es war eng in Kents Refugium. Die winzige Betonkammer war groß genug, um zehn Menschen bequem aufzunehmen, aber im Moment hielt sich fast die doppelte Anzahl darin auf. Wenigstens war die Kälte auf diese Weise ein wenig besser zu ertragen. Nicht nur zu Charitys Überraschung hatte Kent auch Lydia herbringen lassen, die Frau, die sie vor zwei Tagen vor den Reitern gerettet hatten. Sie saß auf einer Kiste und starrte ins Leere, und Charity hatte sich ein paar Mal dabei ertappt, sie mit einem Gefühl von Schuldbewußtsein anzublicken, das sie selbst nicht verstand. Irgendwie machte sie sich und Skudder für den Tod ihres Kindes verantwortlich.

»Ihr sucht also Daniel«, begann Kent. Er sprach noch immer sehr leise und ein bißchen schleppend; von allen Anwesenden hatte er seinen Schrecken bisher am schlechtesten überwunden, und Charity gefiel das nicht. Sicher, der Schock mußte gewaltig gewesen sein, aber ein Mann in Kents Position durfte sich Gefühl nur dann erlauben, wenn er sie sich auch leisten konnte. Charity sah ihn besorgt an. Sie war nicht sicher, ob sie sich auf jemanden verlassen wollte, der so leicht zu erschüttern war wie er. Zum ersten Mal fiel ihr auf, wie jung er noch war. Zögernd nickte sie.

»Daniel oder seine Auftraggeber. Am besten beide. Aber zuerst Daniel.«

»Und das ist keine persönliche Sache?« fragte einer der drei anderen Rebellenführer. Er lächelte entschuldigend, als er Charitys ärgerlichen Blick bemerkte, und breitete in einer erklärenden Geste die Hände aus. »Wir sind nicht viele, und es hat lange gedauert, diese Organisation aufzubauen. Wir ...«

»... legen keinen besonderen Wert darauf, in einen persönlichen Rachefeldzug verwickelt zu werden«, führte der Mann neben ihm den Satz zu Ende. »Dazu steht zuviel auf dem Spiel.« Er sprach leiser als der andere, aber irgendwie entschlossener.

»Vielleicht habt ihr sogar recht«, sagte Charity ungerührt.

Der Mann funkelte sie an, dann wandte er sich abrupt um. Sein ausgestreckter Finger deutete beinahe anklagend auf Skudder. »Wie es aussieht, scheinen sie wirklich die zu sein, für die sie sich ausgeben. Aber ich weiß nicht, ob meine Leute mit einem Shark zusammenarbeiten wollen.«

Skudder widersprach wütend, aber Charity hörte gar nicht mehr hin. Sie nutzte die Gelegenheit, sich die drei Männer neben Kent eingehender anzusehen.

Da war Arson, der Mann gleich neben Kent. Er war sehr groß und noch recht jung und hatte wache Augen und ein offenes Gesicht, aber Charity spürte einfach, daß er trotz seiner Stärke ein sehr weicher Mann war. Sie fragte sich, wie er es geschafft haben mochte, zum Führer einer Rebellenarmee zu werden. Neben ihm Tidewell, ein Mann Anfang Dreißig, schlank, aber zäh, dessen Augen mit einer nie erlöschenden Wut in die Welt blickten. Und schließlich der Mann, dessen Namen sie schon wieder vergessen hatte; der einzige der Rebellen, über den sie sich noch keine Meinung hatte bilden können. Vielleicht, weil er als einziger bisher kein Wort gesagt hatte, sondern Skudder, sie und Kent nur abwechselnd ansah.

Arson bemerkte ihren prüfenden Blick und begann nervös auf seinem Stuhl hin und her zu rutschen. Er sah plötzlich aus, als wünschte er sich weit, weit weg.

»Stimmt etwas nicht?« fragte Charity.

Arson lächelte unsicher. »Nichts«, behauptete er. »Aber der letzte, den du so prüfend angesehen hast, ist nicht mehr bei uns.«

Charity blickte ihn einen Moment verblüfft an, dann lachte sie. Tidewell und Skudder hörten auf, sich zu streiten, und starrten sie verwirrt an. Nur Kent blieb sehr ernst.

»Arson hat gar nicht so unrecht«, sagte er. »Niemand garantiert uns, daß Faergal der einzige Spion war.« Er zögerte einen Moment. »Glaubst du, alle überprüfen zu können?«

Charity nickte. »Kein Problem. Und auch die Männer in den anderen Verstecken. Aber ich werde mich hüten, es zu tun.«