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Die Tatsache allein beunruhigte ihn kaum. Trotz allem wußte er, daß er ein Wesen aus Fleisch und Blut war, eine unvorstellbar perfekte, aber dennoch verwundbare Einheit, die auch sterben konnte.

Was ihn beunruhigte, war vielmehr die Tatsache, daß er nicht wußte, was mit ihm geschehen war. Die Verletzungen, die er sich selbst mit bloßer Willenskraft zugefügt hatte, waren längst verheilt, und sein Körper hatte genug Energie gesammelt, um eigentlich tagelang zu funktionieren, ehe sich die ersten Ausfallerscheinungen einstellten.

Vielleicht hatte ihn die Medizin, die ihm der Arzt gegeben hatte, vergiftet?

Kyle konnte sich das nicht vorstellen. Er war immun gegen die meisten Gifte, die im kolonisierten Universum bekannt waren. Außerdem hatte man ihn speziell auf diese Welt konditioniert, ehe er diesen Einsatz begann. Unvorstellbar, daß man irgendein Gift oder auch nur eine schädliche Substanz übersehen haben sollte. Was also geschah dann mit ihm?

Kyle begriff, daß er die Antwort auf diese Frage durch bloßes Nachdenken kaum finden würde, und hörte auf, Energie darauf zu verschwenden. Statt die Ursachen zu behandeln, was er im Moment nicht konnte, konzentrierte er sich darauf, mit den Symptomen fertig zu werden. Er hatte kein Wasser mitgenommen, als er das Dorf verließ, aber das war das kleinste Problem. Er wußte, daß es eine Wasserstelle gab, nur wenige Meilen von seinem eigentlichen Kurs entfernt. Er schätzte, daß er dadurch eine Stunde verlieren würde, was bedauerlich war, aber er änderte trotzdem seinen Kurs. Es spielte keine Rolle, ob er Captain Laird eine Stunde früher oder später stellte, aber es spielte sehr wohl eine Rolle, ob er im entscheidenden Moment vielleicht einen Fehler beging, weil sein Körper unter Mangelerscheinungen litt.

Nach exakt zweiundzwanzig Minuten hatte Kyle das Wasserloch erreicht, stieg von der Maschine und kostete vorsichtig von der schmutzigbraunen Flüssigkeit, indem er einen Finger ins Wasser tauchte und daran leckte. Es war vergiftet, wie er vermutet hatte, und für einen Augenblick verspürte er wieder Verachtung für den Humanoiden, der sich Daniel nannte. Wenn Captain Laird auch nur halb so fähig war, wie er behauptete - woran Kyle mehr und mehr zu zweifeln begann -, würde er sie mit einem vergifteten Wasserloch kaum aufhalten. Dafür fügte er der Ökologie dieser Zone unwiederbringlichen Schaden zu, denn es war ein Gift, das auf jede Lebensform wirkte. Kyle nahm sich vor, nach seiner Rückkehr nach Hinweisen darauf zu suchen, ob es in der Nähe der Wasserstelle tote Reiter oder Dienerkreaturen gegeben hatte, und Daniel unter Umständen dafür zur Rechenschaft zu ziehen.

Er ging zu seinem Motorrad zurück, holte die Feldflasche und füllte sie. Erst dann beugte er sich zum Wasserloch hinab und trank. Sein Metabolismus hatte keine Schwierigkeiten, das Gift zu neutralisieren. Als er seinen Durst gestillt hatte, ging er zum Motorrad zurück und fuhr weiter. Er schätzte, daß es in zwei, allerhöchstens zweieinhalb Planetenstunden dunkel wurde.

Mit etwas Glück würde er Captain Laird bis dahin gefunden haben.

Sie mußten länger als zwei Stunden warten, bis Angellicas Besuch sich endlich verabschiedete. Allein viermal in dieser Zeit hörten sie über sich eine Tür fallen und zogen sich hastig auf den Korridor zurück, bis die Schritte auf der anderen Seite der Metalltür verklungen waren, und es kam Charity im nachhinein selbst wie ein kleines Wunder vor, daß niemand aus diesem Korridor gekommen war und sie überrascht hatte.

Um ein Haar wären sie dann doch noch entdeckt worden, denn sie waren so darauf konzentriert, auf Schritte auf der Treppe zu lauschen, daß sie die, die sich ihnen aus dem Gang näherten, fast zu spät bemerkt hätten. Erst im letzten Augenblick stieß Gurk eine geflüsterte Warnung aus, und sie zogen sich in aller Hast auf die nächste Etage zurück, gerade noch rechtzeitig, um die Tür unter sich auffliegen und fast ein halbes Dutzend Gestalten zu sehen, die hintereinander und heftig gestikulierend den Treppenschacht betraten. Charity konnte nicht verstehen, was sie sprachen, aber der Klang ihrer Unterhaltung war nicht unbedingt freundlich. Sie erinnerte sich wieder, daß Lydia vermutet hatte, die Männer in der Wohnung ihrer Schwester hätten miteinander gestritten.

Sie warteten, bis Schritte und Stimmen unter ihnen verklungen waren, und gaben vorsichtshalber noch gute zwei Minuten zu, ehe Charity Lydia zu verstehen gab, daß es soweit sei. Lydia ging ein Stück voraus, als sie den Korridor betraten, auf dem ihre Schwester wohnte.

Charity hatte kein gutes Gefühl. Der Anblick des Korridors bestätigte ihre Vermutung, daß es sich bei dem Gebäude um ein ehemaliges Hotel handelte. Aber auch hier waren Brandflecken an den Wänden zu sehen. Und: Es gab keine Fenster. Wenn sie in diesem Haus überrascht wurden, dann saßen sie in der Falle.

Sie bemerkte, wie Kent nervös an der Waffe unter seiner Jacke zu zupfen begann, und warf ihm einen warnenden Blick zu. »Nicht«, flüsterte sie. »Wir sind nur lieber Besuch, mehr nicht.«

Kent starrte sie finster an und nahm die Hand herunter. Charity war längst nicht mehr sicher, ob es richtig gewesen war, Kent mitzunehmen. Er war zu jung und zu unerfahren, und Charity befürchtete, daß er im entscheidenden Moment die Nerven verlieren könnte. Aber schließlich war dies hier sein Revier, und im Grunde konnten sie froh sein, daß er ihnen erlaubt hatte, ihn zu begleiten, und nicht umgekehrt.

Vor der letzten Tür des Ganges blieb Lydia stehen und klopfte. Skudder preßte sich gegen die Wand, während Kent auf der anderen Seite der Tür Aufstellung nahm, um nicht sofort gesehen zu werden.

Lydia mußte insgesamt dreimal gegen die Tür klopfen, und auch dann dauerte es noch eine geraume Weile, bis Schritte zu hören waren. Eine ziemlich mißgelaunt klingende Stimme rief etwas, das Charity nicht verstand, dann klirrte eine Kette.

»Was ist denn jetzt noch? Ich habe euch doch gesagt ...« Angellica hatte offensichtlich jemand anderen erwartet, denn sie verstummte mitten im Wort, als sie die Tür vollends öffnete und sah, wer davor stand.

Angellica war ein gutes Stück älter als ihre Schwester, machte aber keinen so verhärmten und ausgezehrten Eindruck. Sie hatte dunkles, lang bis auf die Schultern herabfallendes Haar und trug eine dünne Silberkette mit einem auffallend großen Edelstein um den Hals. Ihr Kleid war einfach, aber so gut geschneidert, daß es ein kleines Vermögen wert sein mußte. An ihren Fingern blitzten zahlreiche, schwere Ringe. Es schien gewisse Vorteile zu haben, dachte Charity, auf der Seite der Besatzer zu stehen. Manche Dinge änderten sich anscheinend nie.

»Lydia?« flüsterte sie. »Du? Du bist...« Sie brach wieder ab. Ihr Blick glitt kurz und taxierend über Charity, dann über Gurk, der wieder den Strohhut aufgesetzt hatte und mit gesenktem Kopf dastand.

»Was willst du hier?« fragte sie dann mit eisiger Stimme. »Was sind das für Leute?«

»Laß uns rein, Angellica«, bat Lydia. »Es sind ... Freunde von mir. Sie haben mir geholfen, aber jetzt brauchen wir selbst Hilfe.«

»Hilfe?« Angellicas Lippen verzogen sich zu einem kalten, abfälligen Lächeln. »Hilfe - wobei?« fragte sie. »Hast du noch nicht genug Schaden angerichtet?«

Kent warf Charity hinter der Tür einen fragenden Blick zu. Sie ignorierte ihn.

»Bitte, Angellica«, sagte Lydia. »Nur für einen Moment.«

Charity konnte direkt sehen, wie es hinter Angellicas Stirn arbeitete. Und es vergingen noch einmal endlose Sekunden, ehe sie schließlich mit sichtlichem Widerwillen nickte.

»Also gut«, sagte sie. »Fünf Minuten. Und gebt euch gar nicht erst die Mühe, euch irgendwie verrückte Geschichten auszudenken. Keine Sekunde länger.«

Was für ein Herzchen, dachte Charity. Laut sagte sie: »Ich danke Ihnen«, trat an Lydia und ihrer Schwester vorbei in die Wohnung und schob Gurk dabei wie ein Kind vor sich her. In der gleichen Bewegung und ohne die mindeste Spur von Hast trat sie hinter Angellica, legte ihr den Arm um den Hals und bog ihren Kopf in den Nacken, während sie ihr mit der anderen Hand den Mund zuhielt.