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Aber er wußte auch, daß er es nur seinen phantastischen Reaktionen und - (auch, wenn er das nicht gerne zugab) einer gehörigen Portion Glück zu verdanken hatte, daß er überhaupt noch lebte. Kaum einen halben Meter von der Stelle entfernt, an der seine Maschine zu Boden gestürzt war, war der Asphalt geschmolzen, und auch auf der Wand hinter ihm prangten zwei unregelmäßig geformte, glasierte Flecken - Spuren der Schüsse, die der Vierarmige auf ihn abgegeben hatte. Wahrscheinlich, überlegte Kyle zornig, lebte er nur noch, weil der Vierarmige ein so miserabler Schütze war.

Dabei hatte er eigentlich gar keinen Grund, zornig auf die Dienerkreatur zu sein - sein Ärger sollte viel mehr ihm selbst und seinem bodenlosen Leichtsinn gelten, in der Verkleidung eines Rebellen in eine Stadt hineinzufahren, in der die Regel der Hundert galt. Hätte er auch nur eine Minute über das nachgedacht, was er auf dem Weg zum und später im Versteck der Rebellen erfahren hatte, hätte er gewußt, daß diese Tarnung geradezu eine Herausforderung an die Vierarmigen darstellen mußte, ihn über den Haufen zu schießen. Der zweite, schwerwiegende Fehler, der ihm innerhalb kurzer Zeit unterlief. Alles, was Kyle sich selbst zugute halten konnte, war die Tatsache, daß er verwundet gewesen war, und zwar so schwer, daß der Regenerationsprozeß sein logisches Denkvermögen beeinträchtigte. Gleichzeitig spürte er, daß das nicht der einzige Grund war.

Vielleicht war es überhaupt nicht der Grund ...

Er verscheuchte den Gedanken und ließ seinen Blick über die ausdruckslosen Insektengesichter der drei anderen Dienerkreaturen schweifen, die ihn von den Rücken ihrer Kampfkäfer herab beobachteten. Nicht einmal ihm gelang es, irgend etwas von diesen Gesichtern abzulesen, die im Grunde nicht mehr als Masken aus Horn und starrenden Facettenaugen waren. Aber er spürte die Feindseligkeit der Kreaturen. Hätte er nicht genau gewußt, daß es unmöglich war, dann hätte er geschworen, daß die Geschöpfe es bedauerten, ihn nicht töten zu dürfen.

Die Rückkehr der vierten Dienerkreatur hinderte Kyles Gedanken daran, noch weiter auf solch sonderbaren (und verbotenen) Wegen zu wandeln. Der Vierarmige kam mit raschen, staksenden Schritten heran, blieb dicht vor ihm stehen und deutete eine Verbeugung an. Eine seiner vier Hände reichte Kyle die ID-Karte, und als Kyle den schmalen Plastikstreifen wieder an sich nahm, fühlte er, daß seine Oberfläche warm war. Offensichtlich hatte der Vierarmige ihn mit Hilfe eines elektronischen Geräts abgetastet, um sich von seiner Echtheit zu überzeugen.

»Du kannst passieren«, sagte der Vierarmige mit einem klickenden, zischelnden Akzent. Er sprach sehr langsam, und Kyle spürte, wie schwer es ihm fiel, die ungewohnten Laute zu formen. Es wäre ihm ein leichtes gewesen, sich der Sprache der Dienerkreaturen zu bedienen, um zu antworten, aber plötzlich empfand er eine sinnlose Freude daran, dem Geschöpf diese Mühe zumuten zu können. Der Gedanke verwirrte ihn, Trotzdem bediente er sich der Sprache dieser Welt, als er antwortete: »Wieso hast du den Ausweis überprüft? Du weißt, daß es unmöglich ist, ihn zu fälschen. Ich verliere wertvolle Zeit!«

Die Dienerkreatur zögerte einen Moment. Dann machte sie eine komplizierte, deutende Geste mit drei ihrer vier Arme. »Ein Befehl des Governors«, antwortete sie. »Alle Ausweise sind zweimal auf zwei verschiedene Arten zu überprüfen.«

»Auch der eines Megakriegers?«

»Der Befehl lautete ausdrücklich: alle Arten von Ausweisen.«

Kyle setzte zu einer zornigen Antwort an, zuckte aber dann nur mit den Schultern und verstaute den Ausweis wieder in dem Geheimfach seiner Jacke. Die Molekularstruktur des Streifens änderte sich, kaum daß er es getan hatte. Er wurde weicher, veränderte seine Farbe und Form. Selbst unter einem Röntgengerät hätte er jetzt ausgesehen wie ein Stück einfaches, bedeutungsloses Leder.

Nach einem letzten, fast zornigen Blick auf die vier Dienerkreaturen drehte sich Kyle herum, ging zu seinem Motorrad zurück und richtete es auf.

Er startete den Motor und fuhr los. Sein rechter Arm schmerzte. Er hatte ihn sich gebrochen, als er von der Maschine gestürzt war, und der Knochen war noch nicht wieder ganz zusammengewachsen. Unter normalen Umständen hätte es nur einer einzigen, bewußten Anstrengung Kyles bedurft, diesen Defekt zu reparieren, aber die Regenerationsfähigkeit seines Körpers war in den letzten Stunden fast über die Maßen strapaziert worden. Kyle war sich der Tatsache, daß er um Haaresbreite dem Tod entgangen war, durchaus bewußt. Der Wirkungsgrad der Waffe, mit der Bart auf ihn gefeuert hatte, war weitaus höher gewesen, als er erwartet hatte; obwohl ihn der Energiestrahl nur gestreift hatte, wäre er fast gestorben. Wenn diese Waffe ein Produkt dieses Planeten war, dann mußte seine technische Entwicklung vor der Kolonisation bereits ein weitaus höheres Niveau erreicht haben, als der Anblick dieser verwüsteten Stadt und der primitiven Maschine, auf der er saß, vermuten ließen.

Kyle fuhr schneller, als er die Straße hinter sich gebracht hatte, in der die Vierarmigen warteten. Das dumpfe Röhren der Maschine war in den verlassenen Straßenschluchten überlaut zu hören, und Kyle war sich auch völlig darüber im klaren, daß er Aufsehen erregen mußte: in einer Stadt, in der die Regel der Hundert zur Anwendung kam, mußte ein Mann auffallen, der ganz offen die Straße überquerte.

Aber er versuchte jetzt auch gar nicht mehr, sich irgendwie zu tarnen. Ganz im Gegenteil - während er sich dem Häuserblock näherte, den der sterbende Rebell ihm beschrieben hatte, verwandelte sich sein Körper wieder in sein ursprüngliches Aussehen: das eines schlanken, dennoch sehr muskulösen Mannes schwer bestimmbaren Alters mit einem harten, aber nicht unsympathischen Gesicht, dunklen Augen und kurzgeschnittenem, schwarzem Haar. Aus der zerfetzten Shark-Kleidung wurde ein mattschwarzer, fast hauteng anliegender Anzug mit zahlreichen Taschen und Schlaufen, auf dessen Brust- und Rückenteil Kyle nach kurzem Zögern auch noch das grellrote Flammen-›M‹ Morons erscheinen ließ; womit seine Tarnung endgültig dahin war. Aber so lief er wenigstens nicht mehr Gefahr, von irgendeinem hirnlosen Insektenbastard aus dem Hinterhalt erschossen zu werden.

Nach wenigen Minuten erreichte er die Straße, in der das Haus der Shai-Priesterin lag. Kyle stellte das Motorrad ab und legte die letzten hundert Meter zu Fuß zurück, wobei er geschickt jeden Schatten als Deckung ausnutzte. In der Eingangshalle des Hauses blieb er stehen und lauschte sekundenlang.

Nichts.

Das Haus war still. Ganz schwach hörte er die verschiedenen Geräusche der Bewohner, aber keiner dieser Laute war irgendwie besorgniserregend.

Kyle zog seine Waffe, sah sich sichernd nach allen Seiten um und veränderte die Struktur seiner Retina. Für normales, sichtbares Licht war er jetzt blind, dafür arbeiteten seine Augen jetzt besser als jede Infrarotkamera. Aus dem zersprungenen, staubbedeckten Mosaikboden der Halle wurde ein wirres Durcheinander verschieden hell leuchtender Wärmespuren, die vom Eingang zum Treppenhaus und zurück führten.

Kyle betrachtete diese Spuren eine ganze Weile, ehe er sein Sehvermögen wieder normalisierte. Er war ein wenig enttäuscht. Die Spuren waren gut sichtbar, und einige davon waren sehr frisch, noch keine Stunde alt - aber es waren einfach zu viele. Während der letzten Stunden mußten Dutzende von Leuten dieses Hauses betreten und wieder verlassen haben. Unmöglich festzustellen, ob Laird und die Rebellen noch hier waren.

Einen Moment lang sah er nachdenklich zum Treppenhaus hinüber, wandte sich dann um und ging statt dessen zu einem der Aufzüge. Seinem Zustand nach zu urteilen, funktionierte der Lift schon seit gut fünfzig Jahren nicht mehr. Die Kabine war abgerissen und lag als Trümmerhaufen anderthalb Stockwerke unter Kyle im Keller des Hauses, aber die Drahtseile, an denen der Korb einmal gehangen hatte, waren noch vorhanden. Kyle wechselte die Waffe von der rechten Hand in die linke, griff nach einem der rostigen Kabel und zog prüfend daran. Als er sicher war, daß es sein Gewicht tragen würde, schwang er sich mit einer entschlossenen Bewegung in den Liftschacht und kletterte zur ersten Etage hinauf.