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»Gurk!« Charity deutete auf die fremdartigen Kontrollinstrumente und Skalen auf dem hufeisenförmigen Pult vor den beiden Fenstern. »Sieh zu, daß du das Ding unter Kontrolle bekommst! Schnell!«

Ihre Worte wären nicht einmal nötig gewesen. Der Zwerg hatte sich bereits seines Strohhutes entledigt und kämpfte fluchend mit einer Stoffbahn, in die sich sein rechter Arm verwickelt hatte. Skudder sprang wortlos neben ihn, zog sein Messer und schnitt das Gewebe kurzerhand entzwei, während er Gurk gleichzeitig mit der freien Hand auf den Pilotensessel der Scheibe bugsierte. Gurk blieb ungefähr eine Sekunde lang darauf sitzen; genau so lange, wie Skudder und er brauchten, um zu begreifen, daß der Sessel auf die Proportionen eines zwei Meter großen Moroni zugeschnitten war - Gurks Arme waren viel zu kurz, um die Instrumente auch nur zu erreichen. Fluchend sprang er wieder auf, stellte sich auf die Zehenspitzen und begann in einer unbekannten, zwitschernden Sprache vor sich hinzumurmeln, während seine Finger über Tasten und Schalter strichen.

»Wie geht es dir?«

Es dauerte fast eine Sekunde, bis Charity überhaupt begriff, daß es Skudder war, der diese Frage gestellt hatte. Woher nahm er nur den Nerv, in diesem Moment daran zu denken? Trotzdem lächelte sie dankbar und antwortete:

»Gut. Wenigstens lebe ich noch. Das war ein verdammt guter Schuß.«

Sie berührte mit der flachen Hand ihre Wange, auf der sie noch immer die Hitze des Lasers zu spüren glaubte. Hätte sie genau in den Laserblitz hineingesehen, dann wäre sie jetzt vermutlich blind.

Skudder sah sie verwirrt an. »Was für ein Schuß?«

»Der, mit dem du ...« Charity brach verwirrt ab und blickte auf den Gammalaser, den Skudder noch immer über der Schulter trug. Und erst jetzt begriff sie, daß der Strahl, der den Moroni getötet hatte, weiß gewesen war. Gammastrahllaser verwendeten kohärentes grünes Licht. Trotzdem fuhr sie fort: »... mit dem du die Ameise von mir heruntergeschossen hast.«

»Das habe ich nicht«, antwortete Skudder. »Ich ... ich dachte, das wäre Lydia gewesen. Oder der Gnom.«

»Nicht?« vergewisserte sich Charity verstört. »Du hast nicht auf ihn geschossen?«

»Aus hundert Metern Entfernung?« fragte Skudder. »Wofür hältst du mich?«

»Aber wenn ... wenn du es nicht warst«, murmelte Charity, »wer war es dann?«

Fragend sah sie Kent an, aber der junge Rebell schüttelte nur den Kopf und hob seine Maschinenpistole. Skudder war der einzige von ihnen, der eine Strahlenwaffe hatte.

»Vielleicht klären wir diese Frage später!« sagte Gurk plötzlich. »Falls sie dann noch jemanden interessiert.« Er rutschte von der Instrumentenkonsole herunter und stieß einen Laut aus, der eine Mischung aus einem enttäuschten Seufzer und Entsetzensschrei war.

»Was ist los?« fragte Charity erschrocken. »Kannst du das Ding fliegen oder nicht?«

»Das ... das kann niemand«, sagte Gurk düster.

»Was soll das heißen?« Kent war mit einem Schritt bei ihm und packte ihn so grob an der Schulter, daß der Gnom vor Schmerz aufschrie. Skudder spannte sich, aber Kent ließ den Gnom bereits wieder los, ehe er eingreifen mußte.

»Ich denke, du kannst mit so einem Ding umgehen!« sagte Kent aufgebracht.

»Das kann ich auch!« antwortete Gurk zornig. »Aber nicht mit diesem hier! Niemand kann das! Es ... es hat keine Steuerung!«

»Und was ist das da?« Kent deutete anklagend auf das Durcheinander von Zeigern, Bildschirmen und fremdartig beschrifteten Skalen auf dem Pult.

»Das sind nur Überwachungsgeräte«, sagte Gurk. »Das Ding hat keine Steuerung, glaubt mir. Es ... es muß ferngelenkt sein!« Plötzlich fuhr er herum. »Nichts wie raus hier!«

Und als wäre sein Schrei ein Stichwort gewesen, startete der Gleiter in genau diesem Moment.

Die Beschleunigung war unvorstellbar. Der Gleiter wurde regelrecht in die Luft katapultiert, und Charity und die anderen wurden wie von Hammerschlägen getroffen und zu Boden geschleudert. Vor den Sichtluken begannen Himmel und Erde einen irrsinnigen Tanz aufzuführen, als das Fahrzeug rasend schnell in die Höhe stieg und gleichzeitig nach links abkippte.

Charity wartete mit angehaltenem Atem, bis der irrsinnige Beschleunigungsdruck allmählich nachließ und sie nicht mehr das Gefühl hatte, von der Faust eines Riesen genüßlich in den Eisenboden hineingestampft zu werden. Ihre gebrochene Rippe schmerzte noch heftiger, und sie mußte bei jedem Atemzug einen Schrei unterdrücken.

Und trotzdem vergaß sie all das, als sie sich hochstemmte und ihr Blick die Fenster traf.

Die Landschaft hatte aufgehört, Purzelbäume vor den Sichtluken zu schlagen. In den beiden dreieckigen Fenstern war jetzt nur noch das Shaitaan zu sehen.

Und es kam rasend schnell näher.

12

Der Raum war sehr groß - die Wände aus rostzerfressenem Eisen verbargen sich hinter schweren Tapeten aus Seide und anderen, kostbaren Stoffen. Hier und da hingen Bilder. Das Mobiliar hätte eher in ein Museum oder eines der großen Schlösser Europas gepaßt als in den obersten Turm eines Shaitaan. Genaugenommen stammten die Möbel auch aus Palästen, so wie die Bilder aus den ehemals wertvollsten Kunstsammlungen dieses Planeten gestohlen worden waren.

Daniel hatte dieses Zimmer nach seinem persönlichen Geschmack eingerichtet. Er hatte auf keine Kosten Rücksicht nehmen müssen - immerhin standen ihm die Schätze eines ganzen Planeten und eine riesige Dienerschar zur Verfügung. Das Zimmer glich zwei oder drei Dutzend anderen Räumen, die es in verschiedenen Gebäuden und an verschiedenen Orten dieser Welt gab, und eigentlich hätte er sich hier wohl fühlen müssen.

Das Gegenteil war der Fall. Daniel fühlte sich nicht wohl. Er fühlte sich sogar ganz und gar unwohl, und das mit gutem Grund.

Es war ein Fehler gewesen, den Megamann anzufordern, um Captain Laird unschädlich zu machen - und so, wie die Dinge sich entwickelt hatten, sogar überflüssig. Kyle war zu einem Problem geworden, und nicht erst seit seinem Anruf aus Angelicas Wohnung. Daniel war sich durchaus darüber im klaren, daß seine Herrschaft über diesen Planeten auf tönernen Füßen stand. Die Herren Morons waren großzügig, so lange ihre Untergebenen zu ihrer Zufriedenheit arbeiteten - aber das Wort Vergebung gehörte nicht zu ihrem Vokabular.

Unruhig stand Daniel auf und begann in der Suite umherzugehen. Seine Gedanken überschlugen sich. Er hatte einen Fehler gemacht. Er durfte jetzt keinen zweiten begehen und sich damit womöglich sein eigenes Grab schaufeln. Wie die meisten Governore hatte Daniel wenig Erfahrung im Umgang mit Megakriegern. In den letzten Stunden hatte er mit schmerzhafter Deutlichkeit zu begreifen begonnen, daß er den so harmlos aussehenden jungen Mann unterschätzt hatte. Kyle war mehr als eine menschliche Kampfmaschine. Er besaß darüber hinaus einen messerscharfen Verstand, und er war durchaus in der Lage, ihn nicht nur zur Erfüllung seines Auftrages einzusetzen. Der Megamann hatte Dinge gesehen, die Daniel lieber für sich behalten hätte.

Ein leises Summen drang in seine Gedanken und ließ Daniel abrupt stehenbleiben. Er drehte sich um, blickte die geschlossene Tür einen Moment lang fast irritiert an und sagte dann leise: »Ja?«

Das Schott glitt auf, und eine Ameise betrat den Raum. Für einen kurzen Moment erhaschte Daniel einen Blick auf eine andere, sehr viel weniger prachtvolle Welt als die, die er sich selbst hier geschaffen hatte: Hinter der Tür lag ein schmaler, kaum beleuchteter Gang, dessen Wände im dunklen Rot von verrostetem Eisen schimmerten. Das Shaitaan war ein gigantisches Bauwerk, vielleicht eines der größten, das jemals auf diesem Planeten errichtet worden war, aber es war nicht für die Ewigkeit gebaut. Das war auch nicht nötig.

»Ja?« sagte Daniel noch einmal, als die Ameise keine Anstalten machte, von sich aus zu reden, sondern zwei Schritte vor ihm stehenblieb und ihn aus ihren kalten, ausdruckslosen Augen musterte.