»Der Gleiter befindet sich im Anflug, Herr«, sagte das Wesen. Seine Stimme war wohlmoduliert und sanft; sie hatte keinerlei Ähnlichkeit mit dem unangenehmen Zischeln und Lispeln, das die Moroni-Diener normalerweise von sich gaben. Es war auch nicht wirklich seine Stimme, sondern der Klang eines winzigen Übersetzungsgeräts, das in seinen Kehlkopf implantiert worden war.
»Sehr gut«, sagte Daniel abwesend. »Ihr habt eure Anweisungen.«
Das Wesen deutete ein Nicken an. Aber es rührte sich nicht.
»Ist noch etwas?« fragte Daniel unwillig.
Die Ameise zögerte. Hätte Daniel nicht gewußt, daß sie zu solchen Empfindungen gar nicht fähig war, dann hätte er in diesem Moment geschworen, daß es ihr unangenehm war, weiterzusprechen.
»Der ... Megakrieger, Herr«, sagte es. »Es gibt ein Problem.«
»So?« fragte Daniel. »Was für ein Problem? Captain Laird kommt sozusagen aus freien Stücken zu uns. Damit ist sein Auftrag erfüllt. Ihr könnt ihn zurückschicken.«
»Das ist es nicht«, antwortete die Ameise. »Wir sind nicht sicher, ob wir das noch können.«
»Was soll das heißen?«
»Er hat auf einen unserer Krieger geschossen, Herr.«
»Er hat ...« Daniel verstummte verwirrt. »Wieso?«
»Das wissen wir nicht. Der Krieger hatte Captain Laird bereits überwältigt, als der Megamann ihn erschoß und ihr somit die Flucht ermöglichte.«
»Und es gibt keinen Zweifel?« vergewisserte sich Daniel. »Es ist kein Irrtum möglich?«
»Die automatische Kamera des Gleiters hat die ganze Szene aufgenommen«, antwortete die Ameise. »Sie können sie sich ansehen, wenn Sie es wünschen.«
»Das ist nicht nötig«, antwortete Daniel halblaut. Die Worte des Moroni hatten ihn auf eine Idee gebracht - ein Einfall, der ihm selbst so wahnwitzig erschien, daß er schon fast wieder genial war. Vielleicht, dachte er, hatte Kyle ihm jetzt unabsichtlich selbst einen Weg gezeigt, wie er doch noch aus dieser unangenehmen Lage herauskam, ohne sein Gesicht zu verlieren.
»Wo ist er jetzt?« fragte er.
»Auch das wissen wir nicht«, antwortete der Moroni-Diener. »Der Gleiter wurde beschädigt, als einer der Rebellen einen Schuß abfeuerte. Aber er wird sicher landen.«
»Ist denn so etwas überhaupt möglich?« fragte Daniel. »Ich meine, ich weiß nicht viel über Megakrieger ... aber ich dachte immer, sie sind absolut loyal.«
Die Ameise zögerte einen Moment. »Er wurde verletzt«, sagte er schließlich. »Sehr schwer verletzt. Es ist unwahrscheinlich, aber denkbar, daß seine Konditionierung dabei durchbrochen wurde. Er stammt von dieser Welt.«
Genau das war es, was Daniel hatte hören wollen. Er hatte plötzlich Mühe, ein zufriedenes Lächeln zu unterdrücken. »Das heißt, wenn dieser unwahrscheinliche Fall eingetroffen ist«, antwortete er umständlich, »dann haben wir es vielleicht mit einem Megakrieger zu tun, der auf Captain Lairds Seite steht.«
»Die Wahrscheinlichkeit dafür beträgt nicht einmal ...« begann die Ameise, wurde aber sofort von Daniel unterbrochen:
»Ist das denkbar?«
»Ja, Herr«, antwortete der Moroni-Diener nach einem abermaligen, spürbaren Zögern.
Daniel seufzte. Er sah sehr besorgt aus. Aber innerlich triumphierte er. »Was sieht die Standardregel für einen solchen Fall vor?«
»Seine Eliminierung, Herr«, antwortete die Ameise. »Aber ich möchte darauf hinweisen, daß ...«
»Dann verfahrt nach euren Befehlen«, unterbrach ihn Daniel. »Ich habe keine besondere Lust, mich mit einer wild gewordenen Ein-Mann-Armee herumzuschlagen. Tötet Kyle.«
Das Shaitaan war längst zu einem Monstrum geworden, das die Welt draußen vor den Fenstern von einem Ende bis zum anderen ausfüllte. Während der letzten Sekunden war der Flug des Gleiters langsamer geworden, näherte sich dem Bauwerk aber immer noch mit ziemlich hoher Geschwindigkeit. Dort erwartet uns der Tod, dachte Charity unwillkürlich. Das Fahrzeug war automatisch gestartet, als es angegriffen wurde - und das bedeutete nichts anderes, als daß sie dort drinnen wahrscheinlich von einer ganzen Armee bewaffneter Riesenameisen empfangen wurden ...
Als hätte er ihre Gedanken gelesen, trat Skudder in diesem Augenblick neben sie und lächelte aufmunternd. »Angst?« fragte er augenzwinkernd.
»Nein«, antwortete Charity. »Ich mache mir nur Sorgen um die armen Kerle, die auf uns warten. Du weißt doch, wie tierlieb ich bin. Verdammt, natürlich habe ich Angst.« Sie sah nervös zum Fenster. In einen der Spiraltürme hatte sich ein Tor geöffnet.
»Sieht so aus, als wäre eure kleine Revolution zu Ende, ehe sie richtig angefangen hat, wie?« fragte Gurk. Charity warf ihm einen bösen Blick zu, auf den der Gnom aber nur mit einem Grinsen reagierte, während er gleichzeitig einen der erbeuteten Strahler hob.
Wenigstens sind sie nicht mehr völlig wehrlos, dachte Charity. Die beiden toten Riesenameisen hatten sich als wandelnde Waffenarsenale erwiesen - außer Skudder, der noch immer Barts Lasergewehr trug, war jetzt jeder von ihnen mit einer der kleinen Strahler ausgerüstet. Sie waren nicht für Menschen konstruiert worden, und es gehörte schon einige Fingerakrobatik dazu, damit zu zielen - aber Daniels Sturmtruppen würden sich wundern, wenn sie glaubte, es nur mit einer Handvoll schlecht ausgerüsteter Möchtegern-Rebellen zu tun zu haben.
Die Schleuse kam näher. Für einen Moment konnte Charity eine Anzahl winziger, spinnengliedriger Gestalten erkennen, die sich im Halbkreis aufgebaut hatten, dann kippte die Flugscheibe sanft ab, vollführte eine rasche Drehung und setzte mit einem dumpfen Laut auf.
»Okay«, sagte Skudder. »Verteilt euch.«
Niemand antwortete. Sie waren nervös und hatten Angst wie noch nie in ihrem Leben.
Die Triebwerke des Gleiters verstummten mit einem letzten, mächtigen Dröhnen, und fast in der gleichen Sekunde begannen sich die beiden Schleusentore zu öffnen. Charitys Hände wurden feucht vor Aufregung, als die stählernen Türhälften auseinander glitten. Sie hob ihre Waffe, zielte mit beiden Händen und wartete darauf, daß etwas geschah.
Aber zumindest in den ersten Sekunden blieb alles ruhig. Entweder, dachte sie, die Insektenkrieger dort draußen hatten beschlossen, den Angreifern die Initiative zu überlassen - oder sie waren einfach verwirrt und wußten nicht, was sie tun sollten. Vielleicht hatte der Gleiter einfach nur ein automatisches Notsignal gesendet, ohne die Besatzung des Shaitaan über Einzelheiten zu informieren.
»Übrigens«, begann Kent plötzlich. »Was ich gestern gesagt habe, tut mir leid. Ich wollte nur, daß ihr das wißt, wenn ...«
»Halt's Maul, Kent«, unterbrach ihn Skudder grob. »Wir sind nicht hier, um Abschiedsreden zu halten. Wir wollen überleben.«
»Das werdet ihr nicht«, sagte Lydia.
»Reizend«, murrte Charity. »Solche Aufmunterungen können wir wirklich gebrauchen. Hast du noch mehr solcher ...«
Sie verstummte mitten im Wort, als sie Lydia ansah.
Die junge Frau hatte das Zeremoniengewand abgelegt, wie sie auch, und sie hielt wie Charity und Net in jeder Hand einen der kleinen, silbernen Laserstrahler. Aber es gab einen eklatanten Unterschied:
Die Mündung der einen Waffe deutete direkt auf Skudder.
Die der anderen auf Charity.
»Was ... was soll das?« fragte Charity überrascht. »Bist du verrückt geworden?«
»Nein«, antwortete Lydia. Ihr Gesicht war hart, und ihre Stimme bebte. »Legt die Waffen weg.«
»Du bist wohl übergeschnappt!« schrie Kent. »Das ist doch ...«
Lydia schoß auf ihn.
Es ging so schnell, daß keiner der anderen auch nur Gelegenheit fand, einen Schreckensschrei auszustoßen. Die Waffe in Lydias Hand bewegte sich eine Winzigkeit nach rechts, spie einen kurzen, nadeldünnen Lichtblitz aus und richtete sich sofort wieder auf Skudder. Kent taumelte zurück, prallte gegen die Wand und brach zusammen.