Kent blinzelte. Aber seltsamerweise ging er nicht auf diese Worte ein, sondern hängte die Waffe schweigend neben seine MP über die Schulter und sah sie und Skudder abwechselnd an. Mit einem Blick, der Charity nicht besonders gefiel. »Ihr sucht also uns?«
Charity nickte. »Wenn ihr zu den Rebellen gehört, die in dieser Gegend leben sollen, ja«, sagte sie. Sie hielt Kent und seine Männer bei diesen Worten genau im Auge. Kents Gesicht zeigte nicht die mindeste Reaktion, aber zwei, drei seiner Männer fuhren ganz leicht zusammen.
»Rebellen?« Kent runzelte übertrieben die Stirn. »Ja, ich habe davon gehört. Es soll immer noch dumme Menschen geben, die einfach nicht einsehen wollen, daß es diesem Planeten unter der Herrschaft unserer heißgeliebten Freunde von Moron einfach viel besser geht, als wäre er frei. Aber wie kommst du auf die verrückte Idee, daß wir dazugehören?«
Charity antwortete nicht, und Kent fuhr nach sekundenlangem Schweigen fort: »Und selbst wenn - woher sollten wir wissen, daß ihr keine Spione Daniels seid?«
»Du kennst ihn?« entfuhr es Charity überrascht.
»Wer kennt ihn nicht?« sagte Kent achselzuckend. »Aber im Ernst: Wißt ihr, wenn ich ein Rebell wäre - was ich nicht bin, aber nur gesetzt den Fall -, also wenn ich einer von diesen törichten Rebellen wäre, dann könnte ich mir vorstellen, daß ich jeden Fremden, der herkommt und nach den Rebellen fragt, einfach über den Haufen schießen würde. Unser Freund Daniel ist sehr gerissen, wenn es darum geht, diese Unbelehrbaren zu fassen.«
»Immerhin haben wir drei von diesen Biestern erledigt, nicht?« sagte Skudder.
Kent zuckte ungerührt mit den Schultern. »Zwei«, korrigierte er. »Und? Was besagt das schon? Ein uralter Trick - Knall einen von deinen eigenen Leuten ab, um zu beweisen, daß du zur Gegenseite gehörst. Es sind nur dumme Tiere. Und es gibt genug davon.«
Er hätte vielleicht noch weiter geredet, aber er wurde unterbrochen, denn in diesem Moment kamen zwei weitere seiner Leute über die Hügelkuppe, eine schmalschultrige, in ein dunkelblaues einfaches Kleid gehüllte Frau zwischen sich, die einen Säugling auf den Armen trug - offensichtlich die Frau, die von den drei Reitern verfolgt worden war. Ihr Gesicht war rot. Finger- und Zehenspitzen waren blutig und ihr Kleid zerfetzt. Sie trug keine Schuhe, und das Kind auf ihren Armen war nur in eine dünne, zerschlissene Windel gewickelt. Aber es schrie nicht. Wahrscheinlich war es zu schwach dazu.
Kent trat auf die Frau zu, wechselte ein paar Worte mit ihr, sehr leise und schnell und in einem Dialekt, den Charity kaum verstand, und winkte schließlich einem seiner Männer, ihr das Kind abzunehmen. Die Frau ließ es widerspruchslos geschehen.
Schließlich wandte sich Kent wieder an Skudder und sie. »Ihr sucht also die Rebellen, wie?« fragte er nachdenklich. »Das könnte sogar stimmen. Ihr seid schon seit heute morgen hinter uns her, richtig?«
Skudder nickte verblüfft, und auch Charity signalisierte Kent ihre Zustimmung. »Okay, ihr habt uns gefunden«, sagte er schließlich. »Was wir mit euch tun, entscheiden wir später. Jetzt sollten wir hier verschwinden, ehe Daniel uns ein Dutzend Drohnen auf den Hals hetzt.«
Ganz plötzlich war von seiner bisherigen Gelassenheit auch nicht mehr viel übrig. »Beeilt euch. Die Ameisen haben die Schüsse garantiert bemerkt.«
Charity zögerte. »Wir ...«
»Wenn du dir Sorgen um deine drei Freunde machst, Lady«, unterbrach sie Kent, »ist das überflüssig. Meine Männer kümmern sich um sie.« Er lächelte. Charity lächelte etwas verkrampft zurück, widersprach aber nicht mehr.
Der Weg war nicht sehr weit. Sie marschierten etwa zehn Minuten, bis sich zu ihnen eine zweite, ebenso abenteuerlich zusammengewürfelte Gruppe gesellte, in deren Begleitung sich sowohl Bart als auch Gurk und die Wastelanderin befanden, danach bogen sie in westlicher Richtung ab. Sie hatten das Ende der Felswüste fast erreicht und näherten sich der Todeszone rund um das Shaitaan, ehe Kent abermals stehenblieb und eine befehlende Geste machte. Drei seiner Leute rollten einen Felsen beiseite, der nur so aussah, als wöge er Tonnen. Dahinter kam der Eingang eines runden, sehr finsteren Tunnel zum Vorschein. Die Männer rollten die Motorräder hinein, dann versetzte jemand Charity einen derben Stoß, der sie ungeschickt hinterher stolpern ließ.
Für einen Moment wurde es dunkel um sie herum, dann glommen die trüben runden Augen von zwei, drei Handscheinwerfern auf, und die Gestalten von Kent und seinen Männern erschienen als schwarze Schemen in der künstlichen Nacht. Charity rechnete damit, daß sie die Motorräder mitnehmen würden, aber Kent winkte nur ungeduldig ab und deutete mit seiner Lampe in die Dunkelheit hinein. »Die Dinger holen wir später«, sagte er. »Schnell jetzt. Und keinen überflüssigen Laut.«
Gehorsam setzten sie sich in Bewegung. Der halbrunde Gang erweiterte sich schon nach wenigen Dutzend Schritten zu einem mehr als fünf Meter messenden gemauerten Tunnel, in dessen Seitenwände in unregelmäßigen Abständen kleinere, halbrunde Stollen mündeten. Der Boden, über den sie gingen, war trocken, aber der Gang war trotzdem nichts anderes als ein Teil eines ehemaligen Kanalisationsnetzes, dachte Charity.
Die Rebellen bewegten sich noch immer auf den gleichen Wegen, auf denen sich Rebellen zu allen Zeiten bewegt hatten - im Untergrund. Trotz allem hatten sich wohl gewisse grundsätzliche Dinge nicht geändert; ganz egal, ob der Kampf nun gegen menschliche Unterdrücker ging oder solche, die von irgendwelchen anderen Planeten kamen.
Die Vorstellung ließ sie lächeln. Allerdings nicht sehr lange. Nur bis zu dem Moment, in dem sie begriff, daß dieses Kanalisationsnetz zwar noch existierte, die dazugehörige Stadt aber nicht mehr da war.
Es gab doch einen Unterschied zwischen diesen Rebellen und ihren Vorgängern.
Sie marschierten etwa zehn Minuten lang durch die Dunkelheit, ehe sie ihr vorläufiges Ziel erreichten - einen hohen, feuchten Raum, dessen Wände aus rissigem Beton bestanden und dessen Boden gute fünf Meter unter dem Niveau des Tunnels lag, so daß sie über eine rostige Metalleiter in die Tiefe steigen mußten. Zwei flackernde Petroleumlampen sorgten für Licht. Eine große und mehrere kleine Holzkisten ersetzten Tisch und Stühle, und es gab eine Anzahl niedriger Feldbetten, die bewiesen, daß dieses feuchte Verlies den Männern wohl auch für längere Zeit als Quartier dienen mußte - eine Vorstellung, die Charity schaudern ließ. Sie selbst kämpfte schon jetzt gegen eine beginnende Klaustrophobie an. Außerdem war es kalt hier unten, und nach der Gluthitze der Wüste empfand sie die Kälte doppelt schlimm.
Kent dirigierte sie und Skudder mit einer wortlosen Geste zu zwei weit auseinanderliegenden Sitzplätzen, wies der jungen Frau und ihrem Baby eine der Liegen zu und setzte sich ebenfalls. Bart und Gurk wurden zum anderen Ende des Raumes gescheucht, wo sie von jeweils zwei Männern bewacht wurden, und selbst hinter Net nahm ein Mann mit angeschlagener Waffe Aufstellung. Kents Männer waren vorsichtig.
Charity warf Gurk einen wütenden Blick zu, den der Zwerg geflissentlich ignorierte. Wenn das hier vorüber war, dachte sie grimmig, würde sie sich mit ihm unterhalten müssen. Seine und ihre Auffassung des Wortes Freunde schienen sich nicht immer unbedingt zu decken.
Die Rebellen begannen sich im Raum zu verteilen; einige nahmen auf den Kisten Platz, andere auf den Feldbetten, eine Anzahl blieb einfach stehen, aber niemand machte Anstalten, auch nur seine Jacke auszuziehen, obwohl die Tarnanzüge alles andere als bequem sein mußten. Charity hatte das sichere Gefühl, daß sie ihr endgültiges Ziel noch lange nicht erreicht hatten.
Trotzdem machte Kent keinerlei Anstalten, weiter zu gehen - oder sich auch nur um sie zu kümmern. Statt dessen wandte er sich an einen seiner Begleiter und begann mit rascher, halblauter Stimme mit ihm zu reden. Der Mann blickte dabei ein paar Mal in ihre und Skudders Richtung. Charity hatte das sehr ungute Gefühl, daß es sich bei der Unterhaltung der beiden schlicht und einfach um ihrer aller Leben drehte. Sie warf Skudder einen besorgten Blick zu, erntete aber nur ein Achselzucken.