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Aber es war nicht der Anblick des Pfahls oder der Plattform und des Schlammes, der plötzliche Ausrufe des Erstaunens und der Aufregung von Zwergen und Menschen hervorrief. Es war der Anblick, der sich ganz oben an der Pfahlspitze bot. Im Feuerschein glänzten ein Schwert und eine Streitaxt. Aber es handelte sich nicht um die primitiven Eisenwaffen, die die meisten trugen. Diese waren aus dem feinsten geschmiedeten Stahl, ihre hervorragende Handarbeit war für jene sichtbar, die sie aus fast zehn Meter Entfernung anstarrten.

»Beim Barte Reorx’!« Regar holte tief Luft. »Ich würde für diese Waffe fünfzig Jahre meines Lebens eintauschen!«

»Diese Waffen gehören euch!« verkündete Caramon.

Schattennacht und Regar starrten ihn an, ihre Gesichter drückten sprachlose Verwunderung aus.

»Wenn«, fuhr Caramon fort, »ihr sie herunterholen könnt!«

Ein Stimmengewirr brach unter den Zwergen und Menschen aus. Sofort stürzte jeder zu der Grube.

Caramon schrie über den Tumult hinweg: »Regar und Schattennacht, jeder von euch kann neun Krieger zur Hilfe auswählen! Der erste, der die Prämien erreicht, gewinnt sie für sich!«

Schattennacht brauchte nicht gedrängt zu werden. Ohne sich um Hilfe zu scheren, sprang er in den Schlamm und begann, auf den Pfahl zuzuwaten. Aber der Schlamm wurde tiefer und tiefer, je näher er dem Ziel kam. Als er den Pfahl erreicht hatte, war er bis über seine Knie in die schleimige Masse eingesunken.

Regar nahm sich die Zeit, seinen Gegner zu beobachten. Der Zwergenführer rief neun seiner kräftigsten Männer zusammen und trat mit ihnen in den Schlamm. Die gesamte Gruppe verschwand unverzüglich, ihre schweren Rüstungen ließen sie fast sofort versinken. Ihre Gefährten halfen, sie herauszuziehen. Der letzte, der auftauchte, war Regar.

Flüche ausstoßend wischte der Zwerg den Schlamm aus seinem Bart, dann zog er mit finsterem Blick seine Rüstung aus. Seine Axt hoch über den Kopf haltend, watete er aufs neue in den Schlamm, ohne auf seine Eskorte zu warten.

Schattennacht hatte den Pfahl erreicht. An dieser Stelle war der Schlamm nicht so tief – darunter war fester Boden. Der Häuptling umklammerte den Pfahl mit beiden Armen, zog sich aus dem Schlamm hoch und wickelte seine Beine um den Pfahl. Er kletterte ungefähr einen Meter nach oben und grinste seine Stammesbrüder breit an. Dann plötzlich begann er herunterzurutschen. Er biß die Zähne zusammen, versuchte verzweifelt, nicht loszulassen, aber es war sinnlos. Schließlich rutschte der große Häuptling unter dem Gejohl zwergischen Hohns zu Boden. Im Schlamm sitzend, funkelte er grimmig den Pfahl an. Er war mit Tierfett eingeschmiert.

Eher schwimmend als laufend erreichte Regar schließlich den Pfahl. Er steckte inzwischen bis zur Taille im Schlamm, aber sein enormer Ehrgeiz hielt ihn aufrecht.

»Tritt beiseite«, knurrte er den Barbaren an. »Benutze dein Gehirn! Wenn wir nicht hochkommen, dann holen wir eben den Preis herunter!«

Mit einem triumphierenden Grinsen auf seinem schlammverspritzten, bärtigen Gesicht holte Regar seine Axt hervor und führte einen gewaltigen Schlag gegen den Pfahl.

Heimlich grinsend krümmte sich Caramon vor Vorfreude.

Ein ohrenbetäubendes Geräusch ertönte. Die Axt des Zwergs prallte vom Pfahl zurück, als ob sie in ein Gebirge eingeschlagen hätte – der Pfahl war aus dem dicken Stamm eines Eisenholzbaumes gehauen worden. Als die zurückprallende Axt aus den klebrigen Händen des Zwergen flog, wurde Regar durch die Wucht des Aufschlags rücklings in den Schlamm geworfen. Jetzt waren die Barbaren mit dem Lachen an der Reihe – und kein anderer war lauter als ihr schlammüberzogener Häuptling.

Der Zwerg und der Mensch funkelten sich an, strafften sich. Das Gelächter erstarb, wurde durch wütendes Gemurmel ersetzt. Caramon hielt den Atem an. Dann glitten Regars Augen zu der eingekerbten Axt, die langsam im Schlamm versank. Er sah zu der wunderschönen Axt hin, deren Stahl im Feuerschein aufblitzte, und mit einem finsteren Blick wandte er sich zu seinen Männern.

Regars Männer hatten sich ebenfalls ihrer Rüstungen entledigt und inzwischen ihren Anführer erreicht. Schreiend und fuchtelnd gab Regar ihnen zu verstehen, sie sollten sich neben dem klebrigen Pfahl aufstellen. Dann begannen die Zwerge, eine Pyramide zu bilden. Drei standen unten, zwei kletterten auf ihre Rücken, dann ein weiterer oben drauf. Die unterste Reihe versank bis zur Taille im Schlamm, aber schließlich fanden sie festen Boden und standen sicher.

Schattennacht beobachtete den Aufbau in grimmigem Schweigen, dann rief er neun seiner Krieger zu sich. Innerhalb von Sekunden bauten die Menschen ihre eigene Pyramide. Da die Zwerge kleiner waren, waren sie gezwungen, ihre Pyramide am Boden zu verkleinern, um die Spitze zu erreichen. Regar selbst machte den letzten Aufstieg. Schwankend auf der Spitze stehend, während die Zwerge unter ihm stöhnten, streckte er seine Arme der Plattform entgegen, aber nicht weit genug.

Schattennacht, der über die Rücken seiner Männer kletterte, erreichte mühelos die Unterseite der Plattform. Über das schlammverschmierte Gesicht Regars lachend, versuchte der Häuptling, sich durch eine der merkwürdig geformten Öffnungen zu hangeln. Er paßte nicht durch.

Fluchen und Luftanhalten erwiesen sich als nutzlos. Der Mensch konnte seinen drahtigen Körper nicht durch das kleine Loch zwingen. In diesem Augenblick setzte Regar zu einem Sprung auf die Plattform an – und verfehlte sie.

Der Zwerg segelte durch die Luft und landete mit einem Plumps in dem Schlamm, während die Wucht seines Sprungs die gesamte Pyramide zum Einstürzen brachte und die Zwerge in alle Richtungen schleuderte.

Dieses Mal jedoch lachten die Menschen nicht. Schattennacht starrte auf Regar hinab und sprang plötzlich in den Schlamm. Er landete neben dem Zwerg, bekam ihn zu fassen und zog ihn aus dem Schlamm.

Jetzt waren beide fast nicht mehr zu erkennen, von Kopf bis Fuß mit schwarzem Schlamm überzogen. Sie standen da und starrten einander an.

»Du weißt genau«, sagte Regar, sich den Schlamm aus den Augen wischend, »daß ich der einzige bin, der durch das Loch paßt.«

»Und du weißt genau«, erwiderte Schattennacht mit zusammengebissenen Zähnen, »daß ich der einzige bin, der dich dort hochbringen kann.«

Der Zwerg ergriff die Hand des Barbaren. Die zwei bewegten sich schnell über die Menschenpyramide. Schattennacht kletterte zuerst, schuf die Verbindung zur Spitze. Alle jubelten, als Regar auf die Schultern des Mannes kletterte und sich durch das Loch quetschte.

Auf die Plattform kriechend, ergriff der Zwerg den Knauf des Schwertes und den Griff der Axt und hob sie triumphierend über seinen Kopf. Die Menge verstummte. Wieder sahen sich Mensch und Zwerg argwöhnisch an.

Das ist es, dachte Caramon. Wieviel von Flint habe ich in dir erkannt, Regar? Wieviel von Flußwind in dir, Schattennacht? Es hängt so viel davon ab!

Regar spähte durch das Loch auf das strenge Gesicht des Barbaren herab. »Diese Axt, die von Reorx selbst geschmiedet sein muß, verdanke ich dir, Barbar. Es wird für mich eine Ehre sein, an deiner Seite zu kämpfen. Und wenn du mit mir kämpfen willst, brauchst du eine anständige Waffe!« Unter dem Jubel des gesamten Lagers überreichte er Schattennacht das großartige, glänzende Schwert.

5

Das Festessen dauerte bis in die Nacht. Das Feld erscholl von Gelächter und Rufen und gutgemeinten Flüchen in den Sprachen der Zwerge und der Barbaren.

Raistlin konnte sich ganz mühelos wegstehlen. In der Aufregung vermißte niemand den schweigsamen, zynischen Erzmagier.

Als er zu seinem Zelt zurückging, hielt er sich im Schatten. In seinen schwarzen Roben war er nicht mehr als eine flüchtige Bewegung, die man aus dem Augenwinkel erhascht.

Crysanias Zelt vermied er. Sie stand im Eingang und beobachtete das Essen mit einem sehnsüchtigen Gesichtsausdruck. Sie wagte nicht, sich anzuschließen, da sie wußte, daß die Anwesenheit der »Hexe« Caramon sehr schaden würde.

Es ist schon merkwürdig, dachte Raistlin, daß ein schwarzgekleideter Zauberer in dieser Zeit geduldet wird, während eine Klerikerin Paladins verachtet und geschmäht wird.