In seinen Lederstiefeln leise über das Feld tretend, auf dem die Armee ihr Lager aufgeschlagen hatte, wobei er kaum Fußspuren im feuchten Gras zurückließ, empfand Raistlin bei diesem Gedanken ein grimmiges Vergnügen. Als er zu den Sternen aufsah, musterte er den Platindrachen sowie den gegenüberliegenden Fünfköpfigen Drachen mit einem höhnischen Grinsen.
Das Wissen, daß Fistandantilus erfolgreich gewesen wäre, wenn nicht die unvorhergesehene Erfindung eines erbärmlichen Gnoms dazwischengekommen wäre, hatte ein finsteres Vergnügen in Raistlins Seele bewirkt. Der Gnom hatte offenbar die Zeit verändert, auch wenn es unklar blieb, wie er das genau angestellt hatte. Raistlin war zu der Überzeugung gelangt, daß er lediglich in die Gebirgsfestung Zaman eindringen mußte. Von dort aus war es in der Tat einfach, den Weg nach Thorbadin zu finden und diesen Gnom aufzuspüren und unschädlich zu machen.
Die Zeit, die vorher verändert worden war, würde zu ihrem angemessenen Fluß zurückfinden. Wo Fistandantilus versagt hatte, würde er erfolgreich sein.
Folglich widmete Raistlin nun, wie auch Fistandantilus vor ihm, den Kriegsanstrengungen sein ungeteiltes Interesse und seine volle Aufmerksamkeit, um sicherzustellen, daß er Zaman einnehmen würde. Er und Caramon hatten lange Stunden damit verbracht, über alten Karten zu brüten, die Befestigungen zu studieren und zu vergleichen. Die Eroberung von Pax Tarkas stellte den Schlüssel für eine siegreiche Schlacht dar.
Aber Caramon hatte mehr als einmal mit einem schweren Seufzer erklärt, daß das so gut wie unmöglich sei. »Dunkan wird die Festung stark bemannt haben«, sagte er. Sein Finger ruhte an der Stelle auf der Karte, die die große Festung markierte. »Du erinnerst dich doch, Raist, wie sie gebaut ist, zwischen diesen zwei himmelhohen Gebirgsgipfeln. Diese verfluchten Zwerge können es dort jahrelang aushallen! Sie schließen die Tore, lassen Steine herabstürzen, und wir bleiben stecken! Silberne Drachen mußten diese Steine beseitigen, soweit ich mich erinnere«, fügte er düster hinzu.
»Geh um sie herum«, schlug Raistlin vor.
Caramon schüttelte den Kopf. »Wo?« Sein Finger fuhr nach Westen. »Qualinesti ist auf einer Seite. Die Elfen schneiden uns in Fleischstückchen und hängen uns zum Trocknen auf.« Er bewegte den Finger nach Osten. »Hier ist entweder Meer oder Gebirge. Für eine Überfahrt haben wir nicht genügend Schiffe, und sieh«, sein Finger fuhr nach unten, »wenn wir hier im Süden landen, in dieser Wüste, bleiben wir mittendrin stecken, im Norden von Pax Tarkas, im Süden von Thorbadin.« Er schritt durch den Raum und blieb gelegentlich stehen, um verärgert einen Blick auf die Karte zu werfen.
Raistlin gähnte und erhob sich. Er legte seine Hand leicht auf Caramons Arm. »Erinnere dich daran, mein Bruder«, sagte er leise, »Pax Tarkas ist gefallen!«
Caramons Gesicht verfinsterte sich. »Ja«, murmelte er, wütend darüber, daß er an die Tatsache erinnert wurde, daß dies lediglich irgendein riesiges Spiel war, in dem er zu spielen schien. »Ich vermute nicht, daß du dich erinnerst, wie?«
»Nein.« Raistlin schüttelte den Kopf. »Aber sie wird fallen...« Er machte eine Pause, dann wiederholte er gelassen: »Sie wird fallen!«
Aus dem Wald krochen drei dunkle untersetzte Gestalten, die sich vor dem Schein der Lagerfeuer und selbst der Monde und Sterne hüteten. Sie zögerten am Rand des Lagers, als ob sie sich ihres Ziels nicht sicher wären. Schließlich murmelte einer etwas. Die zwei anderen nickten, und dann hasteten sie durch die Dunkelheit.
Schnell bewegten sie sich, aber nicht lautlos. Kein Zwerg konnte sich lautlos bewegen, und diese schienen besonders viel Krach zu machen. Sie traten auf jeden kleinen Zweig und murmelten Flüche, während sie weiterstolperten.
Raistlin, der sie in der Finsternis seines Zeltes erwartete, hörte ihr Kommen schon von weitem und schüttelte den Kopf. Aber er hatte dies in seinen Plänen berücksichtigt und das Treffen an diesem Abend arrangiert, wenn der Lärm und die Ausgelassenheit des Festessens Deckung bieten würden. »Tretet ein«, sagte er sarkastisch, als das Stampfen eisenbeschuhter Füße vor dem Zelt aufhörte.
Es folgte eine Pause, begleitet von schwerem Atmen und einem gemurmelten Ausruf; offenbar wollte niemand als erster das Zelt betreten. Ein knurrender Fluch war die Antwort. An dem Zeltvorhang wurde heftig gezogen, und ein Zwerg erschien. Aufgrund seines kühnen Auftretens war er wohl der Anführer; die zwei anderen folgten ihm nervös und kriecherisch.
Der erste Zwerg schritt trotz der tiefen Dunkelheit schnell zum Tisch, der mitten im Zelt stand. Nach Jahren des unterirdischen Lebens hatten die Dewaren ein hervorragendes Nachtsehen entwickelt. Einige, so wurde gemunkelt, verfügten sogar über die Gabe des Elfensehens, die es ihnen ermöglichte, die Aura von Lebewesen in der Finsternis zu erkennen.
Aber trotz seiner guten Augen konnte der Zwerg nicht die schwarzgekleidete Gestalt ausmachen, die ihm an der anderen Tischseite gegenübersaß. Es war, als ob er in der tiefsten Nacht auf etwas noch Dunkleres gestoßen wäre, einen riesigen Spalt, der plötzlich vor seinen Füßen klaffte. Dieser Dewar war stark und ohne Angst und sogar verwegen; aber er konnte ein leichtes Zittern nicht unterdrücken, das am Nacken begann und sich durch seine Wirbelsäule zog. Er setzte sich. »Ihr zwei«, sagte er in der Zwergensprache zu seinen Begleitern, »bewacht den Eingang.«
Sie nickten und zogen sich schnell zurück, heilfroh, der Nähe der schwarzgekleideten Gestalt zu entkommen, kauerten sich neben der Öffnung nieder und spähten in den Schatten hinaus. Ein plötzliches Aufflackern von Licht ließ sie jedoch hochschrecken.
Ihr Anführer hob mit einem bösartigen Fluch seinen Arm und bedeckte seine Augen. »Kein Licht... kein Licht!« rief er. Dann blieb seine Zunge am Gaumen kleben, und kurz konnte er nur noch unverständliche Geräusche von sich geben. Denn das Licht kam nicht von einer Fackel oder einer Kerze, sondern von einer Flamme, die in der gewölbten Hand des Magiers brannte.
Alle Zwerge sind von Natur aus gegen Magie mißtrauisch eingestellt. Die Dewaren, ohne Bildung und zum Aberglauben neigend, gerieten darüber hinaus in Panik, und folglich konnte der simpelste Trick eines jeden Straßenillusionisten einen Zwerg dazu bringen, vor Angst den Atem anzuhalten.
»Ich will diejenigen sehen, mit denen ich verhandle«, sagte Raistlin mit sanfter Stimme. »Fürchte dich nicht, dieses Licht wird von außen nicht zu erkennen sein, und falls jemand vorbeikommt, wird er annehmen, daß ich mit meinen Studien beschäftigt bin.«
Langsam senkte der Dewar seinen Arm und blinzelte schmerzhaft im hellen Licht. Seine zwei Begleiter duckten sich wieder, dieses Mal noch näher zum Eingang. Dieser Dewarenführer war der gleiche, der damals auch Dunkans Versammlung beigewohnt hatte. Obgleich sein Gesichtsausdruck von der Grausamkeit geprägt war, die kennzeichnend für die meisten seiner Rasse war, so lag doch in seinen dunklen Augen ein Schimmer praktischer Intelligenz, was ihn besonders gefährlich machte.
Diese Augen schätzten nun den vor ihm sitzenden Magier ab, während der Magier ihn abschätzte. Der Dewar war beeindruckt. Wie die meisten Zwerge konnte er nicht viel mit Menschen anfangen. Ein menschlicher Zauberkundiger war doppelt verdächtig. Aber der Dewar war ein scharfsinniger Menschenkenner, und er sah in den dünnen Lippen des Magiers, dem hageren Gesicht und den kalten Augen ein skrupelloses Verlangen nach Macht, das in seinem Verständnis lag.
»Du... Fistandantilus?« knurrte der Dewar mürrisch.
»Der bin ich.« Der Magier schloß seine Hand, und die Flamme verschwand, worüber der Zwerg erleichtert war. »Und ich beherrsche die Zwergensprache, so daß wir auch in deiner Sprache verhandeln können. In der Tat würde ich es vorziehen, damit keine Gelegenheit zu Mißverständnissen auftritt.«
»Gut.« Der Dewar lehnte sich nach vorne. »Ich bin Argat, Lehnsherr meiner Sippe. Ich habe deine Botschaft erhalten. Wir sind interessiert. Aber wir müssen mehr wissen.«