Als sich die Köpfe senkten, kletterte Dunkan von seinem Aussichtspunkt herunter. Zur anderen Seite der Zinnen schreitend, sah er in den riesigen Hof der mächtigen Festung hinab, der nicht von künstlich erschaffenen Mauern, sondern von den natürlichen Wänden des Gebirges umgeben wurde. Höhlen säumten die Wände. Normalerweise würden aus ihren klaffenden Öffnungen Rauch und die Geräusche von Metall, das verarbeitet und zu Stahl geschmiedet wurde, strömen. Aber heute waren die Minen geschlossen, wie auch die Schmieden.
An diesem Morgen wimmelte der Hof von Zwergen. In schwere Rüstungen gekleidet, trugen sie Schilde, Äxte und Hämmer, die Lieblingswaffen der Infanterie. Alle Köpfe fuhren hoch, als Dunkan auftauchte, und der Jubel, der kurz versiegt war, setzte wieder ein.
»Wir haben Krieg!« schrie Dunkan über den Lärm, beide Hände ausstreckend.
Der Jubel verstärkte sich, dann hörte er auf. Nach einem Augenblick des Schweigens erhoben sich die tiefen Zwergenstimmen zu einem kriegerischen Lied.
Dunkan, dessen Blut bei dem Lied in Wallung geriet, spürte, wie sich seine Zweifel wie die Pfeile in der stillen Luft zuvor auflösten. Seine Generäle stiegen bereits eilig von den Zinnen herab, um ihre Stellungen einzunehmen. Nur einer blieb stehen, Argat, der General der Dewaren. Und auch Kharas hatte sich nicht gerührt. Dunkan sah jetzt zu Kharas hin und Öffnete den Mund, um zu sprechen.
Aber der Held der Zwerge musterte seinen König lediglich mit einem finsteren, gehetzten Blick, verbeugte sich vor seinem Lehnsherrn, wandte sich um und folgte den anderen, um seinen Platz als einer der Führer der Infanterie einzunehmen.
Dunkan funkelte ihn wütend an. »Soll Reorx seinen Bart in Flammen aufgehen lassen!« brummte er. Er mußte dabei sein, wenn die riesigen Tore aufgestoßen wurden und seine Armee in die Ebene hinausmarschierte. »Was glaubt er wohl, wer er ist? Meine eigenen Söhne würden sich nicht so verhalten! Das darf so nicht weitergehen! Nach der Schlacht werde ich ihn zurechtstutzen!«
Murrend hatte Dunkan fast die nach unten führenden Stufen erreicht, als er eine Hand auf seinem Arm spürte. Er blickte auf. Es war Argat.
»Ich bitte dich, König«, sagte der Zwerg mit seiner ungehobelten Aussprache, »noch einmal nachzudenken. Unser Plan, wertloses Gestern aufzugeben, ist gut. Laß es sie haben.« Er wies auf die Soldaten draußen auf der Ebene. »Sie befestigen es nicht. Wenn wir nach Thorbadin zurückstoßen, werden sie uns in die Ebene jagen. Dann erobern wir Pax Tarkas zurück, und bum«, der Dunkelzwerg schlug seine Hände zusammen, »haben wir sie! Gefangen zwischen Pax Tarkas im Norden und Thorbadin im Süden!«
Dunkan starrte den Dewar kalt an. Argat hatte diese Strategie dem Kriegsrat vorgelegt, und Dunkan hatte sich damals gefragt, wie er darauf gekommen war. Der Dewar hatte normalerweise herzlich wenig Interesse an militärischen Angelegenheiten und kümmerte sich nur um eins, seinen Anteil an Beute.
War Kharas im Spiel, der wieder einmal versuchte, sich aus den Kämpfen herauszuhalten?
Dunkan schüttelte wütend den Arm des Dewars ab. »Pax Tarkas wird niemals fallen!« sagte er. »Deine Strategie ist die Strategie eines Feiglings. Ich werde für diesen Pöbelhaufen nichts aufgeben, nicht einmal ein Stück Kupfer, nicht einmal einen Stein vom Boden! Lieber sterbe ich hier!« Damit stapfte Dunkan fort. Er klapperte die Stufen hinab, und sein Bart sträubte sich vor Zorn.
Argat, der ihm nachsah, kräuselte höhnisch die Lippen. »Vielleicht wirst du auf diesem erbärmlichen Stein sterben, Dunkan. Aber nicht Argat.« Er wandte sich zu zwei Dawaren um, die im Schatten einer Nische standen, und nickte zweimal. Die Zwerge nickten ebenfalls, dann eilten sie davon.
Oben auf den Zinnen stehend, beobachtete Argat, wie die Sonne höher in den Himmel stieg. Gedankenverloren begann er seine Hände an seiner Lederrüstung abzureiben, als ob er sie säubern wollte.
Der Hochgug war sich nicht sicher, aber er hatte das Gefühl, daß etwas schief lief.
Obgleich er nur wenig von den komplizierten Taktiken und Strategien der Kriegsführung verstand, kam es dem Hochgug nichtsdestotrotz in den Sinn, daß siegreich aus dem Schlachtfeld zurückkehrende Zwerge nicht blutüberströmt in die Festung hereintaumeln und dann vor seinen Füßen tot umfallen.
Wenn es einer oder zwei gewesen wären, hätte er das als Kriegsgeschick verstanden, aber die Anzahl der Zwerge, die sich so aufführten, wuchs wahrhaft beunruhigend an. Der Hochgug wollte herausfinden, was eigentlich vor sich ging.
Er trat also zwei Schritte vor. Als er dann den schrecklichen Tumult hinter sich hörte, blieb er unverzüglich stehen. Einen schweren Seufzer ausstoßend, drehte sich der Hochgug um. Er hatte seine Kompanie vergessen.
»Nein, nein, nein!« schrie der Hochgug ärgerlich und fuchtelte mit seinen Armen in der Luft herum. »Wie viele Male habe ich es euch schon gesagt? – Bleibt hier! Bleibt hier!«
Der Hochgug fixierte seine Kompanie mit einem strengen Auge; er ließ diejenigen, die still auf ihren Füßen standen und fähig waren, dem Blick des Auges (das andere fehlte) zu begegnen, vor Scham erzittern. Jene Gossenzwerge in der Kompanie jedoch, die über ihre Speerspitzen gestolpert waren, jene, die ihre Speere hatten fallen lassen, jene, die vor lauter Verwirrung ihren Nachbarn mit einem Speer gestochen hatten, jene, die auf dem Bauch lagen, und jene, die sich ganz umgedreht hatten und jetzt tapfer und beherzt der Nachhut gegenüberstanden, hörten die Stimme ihres Hauptmanns und zitterten vor Angst.
»Schaut, ihr schleimigen Gulp-Phunger«, knurrte der Hochgug schweratmend. »Ich finde heraus, was los ist. Es ist nicht richtig, daß alle so zurückkommen. Kein Singen – nur Bluten. Das ist nicht die Art, wie alles werden soll. Darum gehe ich. Ihr bleibt hier. Verstanden? Wiederholt es!«
»Ich gehe«, echoten seine Soldaten gehorsam. »Ihr bleibt hier.«
Der Hochgug zerrte an seinem Bart. Im Zorn stolzierte er von dannen, als er wieder hinter seinem Rücken das Klappern von fallenden Speeren hörte, die auf dem Boden aufschlugen. Der Hochgug hatte ungefähr zwanzig Schritte zurückgelegt, als er um eine Ecke bog und fast in Dunkan, seinen König, hineinlief. Dunkan bemerkte ihn jedoch nicht, da er ihm den Rücken zugekehrt hatte. Er war in eine Unterhaltung mit Kharas und mehreren Offizieren vertieft. Einen hastigen Schritt zurückweichend, sah und hörte der Hochgug gespannt zu.
Ungleich vielen vom Schlachtfeld zurückgekehrten Zwergen, deren schwere Plattenpanzer eingedellt waren, als ob sie einen Berghang hinabgestürzt wären, war Kharas’ Rüstung nur an einigen Stellen eingebeult. Die Hände und Arme des Helden waren bis zu den Ellbogen blutverschmiert, aber es war das Blut der Feinde, nicht sein eigenes. Es gab nur wenige, die sich den mächtigen Hieben seines Hammers widersetzen konnten. Unzählig waren die Männer, die durch Kharas’ Hand gefallen waren, obgleich sich viele bei ihrem letzten Atemzug wunderten, warum der große Zwerg bitterlich weinte, wenn er den tödlichen Schlag abgab.
Jetzt weinte Kharas nicht. Seine Tränen waren versiegt. Er stritt mit seinem König. »Wir sind auf dem Feld geschlagen, Lehnsherr«, sagte er ernst. »General Eisenhand hat recht getan, den Rückzug zu befehlen. Wenn du Pax Tarkas halten willst, müssen wir zurückweichen und die Tore verschließen, wie wir es geplant haben. Vergiß nicht, diese Situation hatten wir in Betracht gezogen.«
»Aber nichtsdestotrotz eine beschämende Situation«, knurrte Dunkan mit einem Fluch. »Geschlagen von einem Haufen von Dieben und Bauern!«
»Dieser Haufen Diebe und Bauern ist gut ausgebildet«, erwiderte Kharas feierlich, und die Generäle nickten in widerwilliger Zustimmung. »Die Barbaren sind in der Schlacht siegreich, und unsere Verwandten kämpfen mit einem Mut, der ihnen angeboren ist. Und dann fegen die Ritter von Solamnia auf ihren Pferden die Hügel herunter.«
»Du mußt den Befehl geben, Lehnsherr!« drängte einer der Generäle. »Oder wir können uns jetzt auf der Stelle aufs Sterben vorbereiten.«
»Dann schließt die gottverfluchten Tore!« schrie Dunkan zornig. »Aber laßt nicht die Steine fallen. Nicht bis zum letztmöglichen Augenblick. Vielleicht besteht keine Notwendigkeit dazu. Es wird sie teuer zu stehen kommen, die Tore aufzubrechen, und ich will herauskommen, ohne tonnenweise Gestein wegzuschaffen.«