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»Schließt die Tore, schließt die Tore!« erscholl es aus allen Richtungen.

Alle im Hof, die Lebenden, die Verletzten und sogar die Sterbenden, wandten ihre Köpfe, um zuzusehen, wie die Tore zugeschlagen wurden. Der Hochgug war einer von ihnen und glotzte ehrfürchtig. Er hatte von diesen riesigen Toren gehört – wie sie sich lautlos in gigantischen, geölten Angeln bewegten, was so glatt funktionierte, daß nur zwei Zwerge auf jeweils einer Seite nötig waren, um sie zu schließen.

Der Hochgug hielt den Atem an, so daß er sich beinahe selbst erstickt hätte. Er blickte auf die Tore und konnte sehen, was sich dahinter abspielte; was er sah, lähmte ihn.

Eine riesige Armee raste auf ihn zu. Und es war nicht seine Armee! Was bedeutete, daß das der Feind sein mußte, entschied er nach einem Augenblick tiefen Nachdenkens, da es, soweit er informiert war, nur zwei Seiten in diesem Konflikt gab – seine und ihre.

Die Mittagssonne schien hell auf die Rüstungen der Ritter von Solamnia, sie funkelte auf ihren Schilden und glitzerte an ihren gezogenen Schwertern. Weit hinter ihnen folgte die Infanterie im Laufschritt. Die Armee des Fistandantilus schoß auf die Festung zu; sie hoffte sie zu erreichen, bevor die Tore geschlossen sein würden. Die wenigen Bergzwerge, die mutig genug waren, sich ihnen in den Weg zu stellen, wurden von aufblitzendem Stahl und trampelnden Pferdehufen niedergemacht.

Der Feind kam näher und näher. Der Hochgug schluckte nervös. Er wußte nicht viel über militärische Manöver, aber es schien ihm, daß jetzt die passende Zeit wäre, die Tore zu schließen. Es schien, daß die Generäle den gleichen Gedanken hegten, denn jetzt rannten alle schreiend in diese Richtung.

»Im Namen von Reorx, was machen sie...«, begann Dunkan.

Plötzlich wurde Kharas leichenblaß. »Dunkan«, sagte er ruhig, »wir wurden verraten. Du mußt sofort verschwinden.«

»W...was?« stammelte Dunkan verwirrt. Auf den Zehenspitzen stehend, versuchte er vergeblich, über die Menge zu sehen, die im Hof ziellos herumlief. »Verraten! Wie...«

»Der Dewar, mein Lehnsherr«, erklärte Kharas, der aufgrund seiner ungewöhnlichen Körpergröße in der Lage war, die Situation zu überblicken. »Sie haben offensichtlich die Torwachen ermordet, und jetzt versuchen sie, die Tore offenzuhalten.«

»Bringt sie um!« Dunkans Mund schäumte vor Zorn, der Speichel tröpfelte über seinen Bart. »Bringt sie alle um!« Der Zwergenkönig zog sein Schwert und sprang nach vorne. »Ich persönlich...«

»Nein, Lehnsherr!« Kharas bekam ihn zu fassen und zog ihn zurück. »Es ist zu spät! Komm, wir müssen zu den Greifen! Du mußt zurück nach Thorbadin, mein König!«

Aber Dunkan befand sich jenseits aller Vernunft. Er kämpfte heftig gegen Kharas. Schließlich ballte der jüngere Zwerg mit grimmigem Gesicht seine Riesenfaust und schlug sie seinem König mitten in den Kiefer. Dunkan taumelte zurück und schwankte von dem Hieb, fiel aber nicht.

»Dafür will ich deinen Kopf!« schwor der König und griff nach seinem Schwertknauf. Ein Schlag von Kharas folgte, und Dunkan lag ausgestreckt und still auf dem Boden.

Mit kummervollem Gesicht bückte sich Kharas, hob seinen König auf und wuchtete mit einem Stöhnen den stämmigen Zwerg über seine Schulter. Kharas rief einigen, die noch stehen und kämpfen konnten, zu, ihm Deckung zu geben, und eilte zu dem Platz, wo die Greife warteten. Der bewußtlose König hing mit herabbaumelnden Armen über seine Schulter.

Der Hochgug starrte mit entsetzter Faszination auf die heranrückende Armee. Immer wieder echote in seinem Gehirn Dunkans letzter Befehclass="underline" »Du bleibst hier.« Er drehte sich um und lief zu seiner Truppe zurück.

Obgleich die Gossenzwerge einen verdienten Ruf als feigste Rasse auf Krynn genossen, konnten sie, wenn in die Ecke gedrängt, mit einer Wildheit kämpfen, die den Feind in Staunen versetzte. Die meisten Armeen verwendeten Gossenzwerge aber nur als Hilfstruppen, so weit wie möglich in der Nachhut, da die Chance fünfzig zu fünfzig stand, daß ein Regiment Gossenzwerge mehr Schaden in den eigenen Reihen anrichtete als beim Feind.

Folglich hatte Dunkan die einzige Abteilung Gossenzwerge, die sich zur Zeit in Pax Tarkas befand – es waren ehemalige Minenarbeiter —, mitten im Hof postiert und sie angewiesen, dort zu bleiben, da er überzeugt war, sie auf diese Weise am besten aus allem Mißgeschick herauszuhalten. Er hatte sie angesichts der unwahrscheinlichen Möglichkeit, daß der Feind mit Kavallerie durch die Tore stürzte, mit Speeren ausgerüstet.

Aber genau diese unwahrscheinliche Möglichkeit traf jetzt ein. Die Armee des Fistandantilus auf sie zustoßen sehend, wissend, daß sie in der Falle saßen und besiegt waren, wurden alle Zwerge in Pax Tarkas in helle Verwirrung gestürzt.

Einige wenige behielten einen kühlen Kopf. Die Scharfschützen auf den Zinnen ließen Pfeile auf den vorrückenden Feind hinabregnen. Mehrere Befehlshaber versammelten ihre Regimenter um sich und bereiteten sich auf den Kampf vor. Aber die meisten flohen einfach, liefen in die Sicherheit der umgebenden Berge.

Und bald stand nur noch eine Gruppe im Weg der einfallenden Armee – die Gossenzwerge.

»Jetzt ist es soweit«, rief der Hochgug eilig seinen Männern zu, als er schnaubend und prustend zurückkam. Sein Gesicht war weiß unter dem Schmutz, aber er wirkte ruhig und gelassen. Ihm war gesagt worden, hier zu bleiben, und beim Barte Reorx’, er würde hier bleiben.

Dann sah der Hochgug jedoch, daß sich die meisten seiner Männer davonstehlen wollten; ihre Augen waren weit aufgerissen beim Anblick der donnernden Pferde, die jetzt gesichtet werden konnten, als sie die offenen Tore erreichten. »Speere setzen!« schrie er.

Das war ein Fehler, und er war sich dessen bewußt, als er den Befehl gab und den Aufruhr, die Verwirrung und das Fluchen hinter sich hörte.

Aber zu dieser Zeit spielte es keine Rolle mehr...

Die Sonne ging in einem blutroten Schleier unter, als sie in die stummen Wälder von Qualinesti sank.

Alles war ruhig in Pax Tarkas; die mächtige, uneinnehmbare Festung war kurz nach Mittag gefallen. Der Nachmittag verlief mit Gefechten mit vereinzelten Zwergengruppen, die sich kämpfend in die Berge zurückzogen. Viele waren entkommen, denn der Angriff der Ritter war wirkungsvoll von einer kleinen Gruppe Speerträger aufgehalten worden, die standhaft ihre Stellung gehalten hatten.

Kharas, der den bewußtlosen König in seinen Annen trug, flog auf einem Greif nach Thorbadin zurück, begleitet von den noch lebenden Offizieren Dunkans.

Die restliche Armee der Bergzwerge, die in den Höhlen und Bergen der schneebedeckten Pässe zu Hause waren, befand sich auf dem Weg zurück nach Thorbadin. Die Dewaren, die ihre Verwandten verraten hatten, tranken Dunkans erbeutetes Bier und brüsteten sich mit ihren Taten, während der Großteil von Caramons Armee sie mit Abscheu musterte.

Als am Abend die Sonne unterging, war der Hof mit Zwergen und Menschen gefüllt, die ihren Sieg feierten, während die Offiziere vergeblich versuchten, die Flut der Betrunkenheit aufzuhalten, die jeden zu überschwemmen schien. Schreiend, kommandierend, einige Köpfe zusammenschlagend, schafften sie es, genügend Männer wegzuzerren, die die Wachtposten einnehmen und Beerdigungsmannschaften bilden sollten.

Crysania hatte die Prüfung des Blutes bestanden. Obgleich sie von einem wachsamen Caramon von der Schlacht ferngehalten wurde, war es ihr, als sie die Festung betreten hatte, gelungen, ihm auszuweichen. In Umhang und Kapuze eingehüllt, bewegte sie sich jetzt unter den Verletzten und heilte heimlich jene, von denen sie annahm, daß sie bei ihnen keine Aufmerksamkeit erregte. In späteren Jahren würden die Überlebenden ihren Enkeln Geschichten erzählen, in denen sie behaupteten, daß sie eine weißgekleidete Gestalt mit einem glänzenden Licht um den Hals gesehen hätten, die ihre sanften Hände auf sie gelegt und ihnen den Schmerz weggenommen habe.