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Caramon traf sich mittlerweile mit Offizieren in einem Zimmer in Pax Tarkas und plante ihre weitere Strategie, obgleich der große Mann so erschöpft war, daß er kaum richtig denken konnte.

Folglich sahen nur wenige die einzelne schwarzgekleidete Gestalt die offenen Tore von Pax Tarkas betreten. Sie ritt auf einem schwarzen Pferd, das vor dem Blutgeruch zurückschreckte. Die Gestalt hielt das Pferd an und sagte offenbar einige beruhigende Worte zu ihm. Jene, die die Gestalt sahen, hielten einen Moment vor Entsetzen inne, viele hatten den Eindruck, daß der Tod persönlich eingekehrt sei, um die noch nicht Begrabenen einzusammeln. Dann murmelte jemand: »Der Zauberer«, und sie wandten sich wieder ab, lachten nervös oder seufzten erleichtert auf.

Seine Augen waren durch die Tiefen seiner schwarzen Kapuze verdeckt, dennoch erforschten sie alles aufmerksam um sich herum. Raistlin ritt weiter, bis er den ungewöhnlichen Anblick des gesamten Schlachtfeldes hatte – die Leichen von mehr als hundert Gossenzwergen, die geordnet Reihe um Reihe dalagen. Die meisten hielten noch ihre Speere fest umklammert in ihren leblosen Händen. Bei ihnen lagen auch einige Pferde, die durch wilde Hiebe und Stöße der verzweifelten Gossenzwerge verletzt worden waren. Am Ende hatten die Gossenzwerge ihre nutzlosen Speere fallen lassen, um auf die Weise zu kämpfen, die ihnen am vertrautesten war, mit Zähnen und Fingernägeln.

»Das stand nicht in den Geschichtsbüchern«, murmelte Raistlin leise, starrte auf die erbärmlichen kleinen Körper und runzelte die Augenbrauen. Seine Augen funkelten. »Vielleicht«, stieß er aus, »bedeutet das, daß die Zeit bereits verändert wurde!«

Niemand sah Raistlins Gesicht, das von seiner Kapuze verborgen wurde, denn sonst hätte man ein schnelles, plötzliches Zucken des Kummers und des Zornes vorbeiziehen sehen. »Nein«, sagte er sich verbittert, »das mitleiderregende Opfer dieser armen Kreaturen wurde nicht aus der Geschichte ausgelassen, weil es nicht passierte. Es wurde ausgelassen, weil es niemanden gekümmert hat.«

7

»Ich muß den General sehen!«

Die Stimme schnitt sich durch die weiche, warme Wolke des Schlafes, die Caramon wie die Daunensteppdecke auf dem Bett einhüllte – seit Monaten das erste richtige Bett, in dem er schlief.

»Verschwinde«, murmelte Caramon und hörte Garik sagen: »Unmöglich. Der General schläft. Er darf nicht gestört werden.«

»Ich muß ihn sehen. Es ist dringend!«

»Er hat seit fast achtundvierzig Stunden nicht mehr geschlafen...«

»Ich weiß! Aber...«

Die Stimmen senkten sich zu einem Geflüster. Gut, dachte Caramon, jetzt kann ich weiterschlafen. Aber unglücklicherweise fand er, daß die leisen Stimmen ihn eher wach werden ließen.

Etwas war nicht in Ordnung, das wußte er. Mit einem Stöhnen wälzte er sich auf die andere Seite. Jeder Muskel in seinem Körper schmerzte; er hatte fast achtzehn Stunden ohne Pause auf einem Pferderücken verbracht. Garik kam damit sicherlich zurecht...

Die Tür zu seinem Zimmer öffnete sich leise.

Caramon drückte die Augen zu. Dabei kam es ihm in den Sinn, daß ein paar hundert Jahre später Verminaard, der grausame Drachenfürst, in dem gleichen Bett schlafen würde. War er auch so geweckt worden, an dem Morgen, als die Helden die Sklaven von Pax Tarkas befreit hatten?

»General«, sagte Garik leise. »Caramon.«

Wenn ich aufbreche, lege ich vielleicht einen Frosch ins Bett, dachte Caramon boshaft. In zweihundert Jahren wäre er dann schön steif...

»General«, bestand Garik hartnäckig, »ich muß dich leider wecken, du wirst unverzüglich unten im Hof gebraucht.«

»Und wofür?« knurrte Caramon, warf die Decken von sich und richtete sich auf. Er rieb sich die Augen und funkelte Garik an.

»Die Armee, Herr. Sie bricht auf.«

Caramon starrte ihn an. »Was? Du bist verrückt!«

»Nein, Herr«, antwortete ein junger Soldat, der Garik nachgeschlichen war und jetzt hinter ihm stand, seine Augen vor Ehrfurcht weit geöffnet, da er sich in Gegenwart seines Generals befand, trotz der Tatsache, daß dieser nackt war. »Sie... sie versammeln sich gerade im Hof, Herr... Die Zwerge und die Barbaren und... und einige von uns.«

»Aber nicht die Ritter«, fügte Garik eilig hinzu.

»Nun... nun...«, stammelte Caramon, dann winkte er mit einer Hand ab. »Sag ihnen, sie sollen sich auflösen, verdammt! Das ist doch Unsinn!« Dann fluchte er: »Im Namen der Götter, dreiviertel von ihnen war doch in der vergangenen Nacht sturzbetrunken!«

»Heute morgen sind sie nüchtern genug, Herr. Und ich denke, du solltest kommen«, sagte Garik leise. »Dein Bruder führt sie an.«

»Was soll das bedeuten?« verlangte Caramon zu wissen; sein Atem stieg als weißes Wölkchen in die eisige Luft. Es war der kälteste Herbstmorgen. Eine dünne Eisschicht hatte sich über die Steine von Pax Tarkas gelegt. Eingemummt in einen dicken Umhang, nur mit Lederhosen und Stiefeln bekleidet, die er hastig übergezogen hatte, sah sich Caramon im Hof um. Er wimmelte von Zwergen und Menschen; alle standen ruhig in Reihen da und warteten auf den Marschbefehl.

Caramons strenger Blick blieb auf Regar Feuerschmied haften, dann ging er zu Schattennacht, Häuptling der Barbaren. »Wir haben gestern alles besprochen«, sagte Caramon. Seine Stimme war vor Zorn angespannt, den er kaum zurückhalten konnte. Er blieb vor Regar stehen. »Unsere Nachschubwagen werden zwei Tage brauchen, um uns einzuholen. Für den Marsch haben wir nicht genügend Lebensmittel, das hast du mir selbst gestern abend gesagt. Und du wirst in der Ebene von Dergod nichts finden.«

»Es wird uns nicht stören, einige Mahlzeiten ausfallen zu lassen«, knurrte Regar; die Betonung auf »uns« ließ keinen Zweifel an seinem Sinn. Caramons Vorliebe für ein gutes Abendessen war nur zu bekannt.

Das verbesserte jedoch nicht die Laune des Generals. »Was ist mit Waffen, du langbärtiger Narr?« schnappte er. »Was ist mit frischem Wasser, Obdach, Futter für die Pferde?«

»So lange werden wir uns nicht in der Ebene aufhalten«, gab Regar zurück; seine Augen blitzten auf. »Die Bergzwerge, Reorx verfluche ihre Steinherzen, sind in völliger Verwirrung. Wir müssen jetzt zuschlagen, bevor sie ihre Streitkräfte wieder sammeln können.«

»Das haben wir alles gestern abend besprochen!« schrie Caramon aufgebracht. »Dies war nur ein Teil ihrer Streitmacht, der wir gegenübergestanden haben. Dunkan hat noch eine ganze verdammte Armee, die unter dem Gebirge auf dich wartet!«

»Vielleicht. Vielleicht auch nicht«, fauchte Regar mürrisch, starrte nach Süden und schlug die Arme vor seiner Brust zusammen. »Auf jeden Fall haben wir unsere Meinung geändert. Wir marschieren heute – ob du mitkommst oder nicht.«

Caramon warf Schattennacht, der während der ganzen Unterhaltung geschwiegen hatte, einen Blick zu. Der Häuptling der Barbaren nickte nur einmal. Seine Männer, die hinter ihm standen, waren ernst und ruhig, obwohl Caramon vereinzelt grün angehauchte Gesichter sah und erkannte, daß sich viele noch nicht vollständig von der abendlichen Feier erholt hatten.

Schließlich glitt Caramons Blick zu einer schwarzgekleideten Gestalt, die auf einem schwarzen Pferd saß. Obgleich die Augen der Gestalt durch ihre schwarze Kapuze verdeckt waren, hatte Caramon ihren aufmerksamen, amüsierten Blick gespürt, seitdem er erschienen war.

Sich vom Zwerg abwendend, ging Caramon zu Raistlin. Er war nicht überrascht, Crysania auf ihrem Pferd vorzufinden, eingemummt in einen dicken Umhang. Als er näher kam, bemerkte er, daß der Saum ihres Umhangs mit Blut befleckt war. Ihr Gesicht, über einem Schal kaum sichtbar, den sie um Hals und Kinn gewickelt hatte, war blaß, aber beherrscht. Er fragte sich kurz, wo sie gewesen war und was sie in der langen Nacht getan hatte. Seine Gedanken jedoch waren auf seinen Bruder konzentriert.

»Das ist dein Tun«, sagte er leise, als er zu Raistlin trat und seine Hand auf den Hals des Pferdes legte.