»Thorbadin!« Sein Schrei hallte in einem donnerhaften Geschrei zurück. Die Zwerge begannen mit ihrem vertrauten, unheimlichen, aus tiefer Kehle kommenden Gesang: »Stein und Metall, Metall und Stein, Stein und Metall, Metall und Stein« und stampften mit ihren eisenbeschuhten Füßen, als sie aus der Festung marschierten.
Sie wurden von den Barbaren gefolgt, die sich weniger diszipliniert bewegten. Von der Ordnung schnell ermüdet, würden sie bald von der Straße abweichen, um in ihren gewohnten Jagdgruppen zu ziehen. Nach den Barbaren kam schließlich die Truppe der Bauern und Diebe, von denen nicht wenige unter der Nachwirkung der Siegesfeier in der vergangenen Nacht taumelten. Und schließlich, die Nachhut bildend, marschierten ihre neuen Verbündeten, die Dewaren.
Argat versuchte Raistlins Blick zu erhaschen, als er und seine Männer hinausmarschierten, aber der Zauberer saß in Schwarz gehüllt auf seinem schwarzen Pferd, sein Gesicht in Dunkelheit verborgen. Das einzige an Fleisch und Blut, was von ihm sichtbar war, waren die schlanken weißen Hände, die die Zügel des Pferdes hielten.
Raistlins Augen waren nicht auf den Dewar gerichtet, auch nicht auf die Armee, die an ihm vorbeimarschierte. Sie waren auf die goldglänzende Gestalt gerichtet, die an der Spitze der Armee ritt.
Die Dewaren marschierten hinaus, und der Hof war von Bewaffneten leer. Die Frauen wischten ihre Tränen ab und widmeten sich wieder miteinander plaudernd ihren Aufgaben. Die Kinder standen auf den Mauern, um der Armee zuzujubeln, solange sie noch zu sehen war. Die Tore von Pax Tarkas wurden schließlich wieder verschlossen.
Allein auf den Zinnen stehend, beobachtete Michael die große, in den Süden ziehende Armee. Hinter ihr ritt eine einsame schwarzgekleidete Gestalt. Als Michael sie betrachtete, war er etwas froher. Es schien ein gutes Omen zu sein. Der Tod ritt nun hinter der Armee, nicht vor ihr.
Die Sonne schien auf die geöffneten Tore von Pax Tarkas; sie sank beim Schließen der Tore der riesigen Gebirgsfestung Thorbadin. Wenn die Tore geschlossen und verriegelt waren, konnten sie nicht mehr von der Felswand des Gebirges unterschieden werden, so geschickt war die Handwerkskunst der Zwerge, die Jahre mit ihrer Konstruktion verbracht hatten.
Das Schließen der Tore bedeutete Krieg. Neuigkeiten über den Marsch der Armee des Fistandantilus wurden berichtet, herbeigetragen von Spionen auf den schnellen Flügeln der Greife. Jetzt war die Gebirgsfestung lebendig vor Geschäftigkeit. Funken flogen in den Geschäften der Waffenschmiede. Die Tavernen verdoppelten ihre Umsätze über Nacht, da jeder kam, um mit den großartigen Taten zu prahlen, die er auf dem Schlachtfeld vollbringen wollte.
Nur ein Teil des riesigen Königreiches unter dem Erdboden war still, und es war dieser Ort, auf die der Held der Zwerge seine schweren Fußtritte richtete, zwei Tage, nachdem Caramons Armee Pax Tarkas verlassen hatte.
Als Kharas den großen Empfangssaal des Königs der Bergzwerge betrat, hörte er seine Stiefel in der kugelförmigen Halle ertönen, die aus dem Stein des Gebirges gemeißelt war. Die Halle war außer einigen Zwergen leer, die vorne auf einem Steinpodium saßen.
Kharas passierte die langen Reihen der Steinbänke, wo in der Nacht zuvor Tausende von Zwergen ihre Zustimmung gegrölt hatten, als ihr König ihren Verwandten den Krieg erklärt hatte.
Heute fand das Kriegstreffen des Rates der Lehnsherren statt. Aus diesem Grund war die Anwesenheit der Bürgerschaft nicht erforderlich, und Kharas war etwas erstaunt, eingeladen worden zu sein. Der Held war in Ungnade gefallen – das wußte jeder!
Kharas bemerkte beim Näherkommen, daß Dunkan ihn unfreundlich musterte, aber das hätte auch etwas mit der Tatsache zu tun haben können, daß das Auge des Königs und sein linker Wangenknochen über seinem Bart blau und angeschwollen waren – die Folge des Schlags, den Kharas ihm zugefügt hatte.
»Oh, komm herauf, Kharas«, sagte Dunkan, als der hochgewachsene, bartlose Zwerg sich tief vor ihm verneigte.
»Erst, wenn du mir vergeben hast, Lehnsherr«, erwiderte Kharas, seine Stellung beibehaltend.
»Dir vergeben dafür, daß du ein bißchen Verstand in einen närrischen alten Zwerg geschlagen hast?« Dunkan lächelte sarkastisch. »Nein, dafür wird dir nicht vergeben. Es wird dir gedankt.« Der König rieb an seinem Kiefer. »›Pflicht ist schmerzhaft‹, lautet ein Sprichwort. Das habe ich jetzt verstanden. Aber genug davon!«
Als Kharas sich wieder aufrichtete, hielt Dunkan ihm eine Schriftrolle entgegen. »Ich habe dich aus einem anderen Grund gerufen. Lies das.«
Verwirrt untersuchte Kharas die Schriftrolle. Sie war mit einem schwarzen Band versehen, aber nicht versiegelt. Er sah zu den anderen Lehnsherren, die alle versammelt waren, jeder auf seinem eigenen Steinstuhl, etwas niedriger als der König, sitzend. Sein Blick glitt insbesondere zu einem leeren Stuhl, dem Stuhl von Argat, Lehnsherr der Dawaren. Stirnrunzelnd öffnete Kharas die Rolle und las laut vor.
»Dunkan von den Zwergen von Thorbadin, König.
Grüße von denen, die du jetzt als Verräter bezeichnest.
Diese Rolle wird dir von uns geschickt, die wissen, daß du jetzt Dewaren unter dem Gebirge bestrafen wirst für das, was wir in Pax Tarkas getan haben. Wenn diese Rolle zu dir geschickt wird, heißt das, daß wir erfolgreich die Tore offengehalten haben.
Du verachtetest unseren Plan im Rat. Vielleicht siehst du jetzt seine Weisheit. Der Feind wird von dem Zauberer geführt. Der Zauberer ist ein Freund von uns. Er läßt die Armee durch die Ebene von Dergod marschieren. Wir marschieren mit ihnen, sind Freunde von ihnen. Wenn die Stunde kommt, werden die, die du Verräter nennst, zuschlagen. Wir werden die Feinde angreifen und sie in deine Axtklingen treiben.
Wenn du Zweifel an unserer Treue hast, halte unser Volk als Geiseln unter dem Gebirge, bis zu der Zeit, in der wir zurückkehren. Wir versprechen dir ein großes Geschenk, das wir dir als Beweis unserer Treue geben werden.
Argat von den Dewaren, Lehnsherr.«
Kharas las die Rolle zweimal, und sein Stirnrunzeln glättete sich nicht.
»Nun?« fragte Dunkan.
»Ich habe mit Verrätern nichts zu schaffen«, sagte Kharas, wickelte die Rolle wieder auf und gab sie voll Abscheu zurück.
»Aber wenn sie aufrichtig sind«, beharrte Dunkan, »könnte uns das zu einem großartigen Sieg verhelfen!«
Kharas hob die Augen, um denen seines Königs zu begegnen, der auf dem Podest über ihm saß. »Wenn ich in diesem Augenblick, Lehnsherr, mit dem General unseres Feindes, diesem Caramon Majere, sprechen könnte, der nach allen Berichten ein gerechter und ehrenwerter Mann ist, würde ich ihm genau sagen, welche Gefahr ihm droht, selbst wenn es bedeutete, daß wir zugrunde gehen.«
Die anderen Lehnsherren schnauften oder murrten verächtlich.
»Du hättest ein Ritter von Solamnia werden sollen!« murmelte einer, eine Feststellung, die nicht als Kompliment gedacht war.
Dunkan warf allen einen strengen Blick zu, worauf sie in Schweigen verfielen.
»Kharas«, sagte Dunkan geduldig, »wir wissen, wie du über Ehre denkst, und wir stimmen dir auch zu. Aber Ehre wird die Kinder nicht ernähren, deren Väter in dieser Schlacht sterben. Nein«, fuhr er fort, und seine Stimme wurde streng und tief, »es gibt eine Zeit für Ehre und eine Zeit, in der man das tun muß, was getan werden muß.« Er rieb wieder an seinem Kiefer. »Das hast du mir selbst gezeigt.«
Kharas’ Gesicht wurde grimmig. Geistesabwesend hob er eine Hand, um über seinen Bart zu streichen, der nicht mehr da war, ließ sie nervös wieder fallen und starrte mit rotem Kopf auf seine Füße.
»Unsere Kundschafter haben diesen Bericht bestätigt«, fuhr Dunkan fort. »Die Armee marschiert.«
Kharas sah finster auf. »Das glaube ich nicht!« sagte er. »Ich habe es nicht geglaubt, als ich davon gehört habe! Sie haben Pax Tarkas verlassen? Bevor ihre Nachschubwagen eingetroffen sind? Dann führt der Zauberer jetzt wirklich das Kommando. Kein General würde diesen Fehler begehen...«