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Caramon dachte über seine zahlreichen Probleme nach, während er an jenem Abend mitten in der Wüste stand. Dann hob er die Augen, und sein Blick blieb auf Regar ruhen. Da der alte Zwerg sich von Caramon nicht beobachtet fühlte, hatte er seine steinharte Strenge verloren – seine Schultern sackten ein, und er seufzte erschöpft. Seine Ähnlichkeit mit Flint war groß. Beschämt über seinen Zorn, tat Caramon, was er konnte, um es wiedergutzumachen. »Mach dir keine Sorgen. Für die Nacht haben wir ausreichend Wasser. Morgen stoßen wir sicherlich auf ein Wasserloch, nicht wahr?« fragte er und klopfte Regar unbeholfen auf den Rücken.

Der alte Zwerg sah zu Caramon hoch, verblüfft und sofort argwöhnisch; er fürchtete, die Zielscheibe eines Witzes zu sein. Aber als er Caramons erschöpftes Gesicht sah, das ihn fröhlich anlächelte, entspannte er sich. »Ja«, antwortete er mit einem widerwilligen Lächeln, »morgen bestimmt.«

Die zwei wandten sich von dem trockenen Wasserloch ab und gingen ins Lager zurück.

Die Nacht brach über die Ebene von Dergod früh herein. Nur wenige Lagerfeuer brannten; die meisten Männer waren zu müde, um welche anzuzünden, und zum Kochen gab es sowieso nicht genügend Lebensmittel. In Gruppen zusammengekauert, musterten die Hügelzwerge, die Menschen aus dem Norden und die Barbaren einander argwöhnisch. Jeder mied natürlich die Dewaren.

»Paß auf!« Regar ergriff Caramon am Arm.

Caramon blinzelte und sah gerade rechtzeitig auf, bevor er gegen einen dieser seltsamen Erdwälle stolperte, die die Ebene übersäten. »Was sind das für Bauten?« knurrte Caramon. Er betrachtete den Wall, der ungefähr einen Meter hoch und genauso breit war, und schüttelte den Kopf.

»Sie wurden von Zwergen gebaut! Kannst du das nicht sehen? Sieh dir doch mal die Ausführung an.« Regar fuhr liebevoll über die glatte Seite der Kuppel. »Seit wann leistet die Natur eine so vollkommene Arbeit?«

Caramon schnaufte. »Zwerge! Aber warum? Wofür? Nicht einmal Zwerge lieben ihre Arbeit so sehr, daß sie es nur für ihre Gesundheit tun! Warum Zeit verschwenden, um Erdwälle in einer Wüste zu bauen?«

»Beobachtungsstellen«, sagte Regar kurz angebunden.

Caramon grinste. »Und was beobachten sie? Schlangen?«

»Das Land, den Himmel, Armeen – wie unsere.« Regar stampfte mit dem Fuß auf. »Hörst du das?«

»Was hören?«

»Das.« Regar stampfte wieder. »Hohl.«

Caramons Brauen glätteten sich. »Tunnel!« Seine Augen öffneten sich weit. Als er sich jetzt in der Wüste von einem Erdwall zum nächsten umsah, die sich über das Flachland erstreckten, pfiff er leise.

»Meilenweit!« sagte Regar und nickte. »Sie wurden vor so langer Zeit gebaut, daß sie selbst für meinen Urgroßvater alt waren. In Legenden wird erzählt, daß es einmal zwischen hier und Pax Tarkas Festungen gab, die durch die Kharolisberge miteinander verbunden waren. Ein Zwerg konnte von Pax Tarkas nach Thorbadin laufen, ohne jemals die Sonne zu sehen, wenn die alten Geschichten wahr sind. Die Festungen sind jetzt verschwunden. Und auch viele der Tunnel. Durch die Umwälzung wurden viele zerstört. Dennoch«, fuhr Regar fröhlich fort, als er und Caramon ihren Weg wieder aufnahmen, »wäre ich nicht überrascht, wenn Dunkan ein paar Spione hier unten hätte, die wie Ratten herumschleichen.«

»Von oben oder von unten können sie uns schon meilenweit im voraus sehen«, brummte Caramon. Sein Blick untersuchte das flache, leere Land.

»Ja«, erwiderte Regar beherzt, »und es wird ihnen sehr nützen.«

Caramon antwortete nicht, und die zwei gingen weiter, bis der große Mann allein in sein Zelt zurückkehrte und der Zwerg zu dem Lager seines Volkes.

In einem der Erdwälle, nicht weit von Caramons Zelt entfernt, beobachteten Augen die Armee. Aber jene Augen waren nicht an der Armee selbst interessiert. Sie waren an drei Personen interessiert, lediglich drei Personen...

»Nicht mehr lange«, sagte Kharas. Er spähte durch Schlitze, die so geschickt in den Stein gemeißelt waren, daß sie jenen in den Erdwällen das Umherschauen ermöglichten, aber jeden außerhalb des Walles hinderten hineinzusehen. »Wie groß ist die Entfernung?« Er fragte einen Zwerg von uraltem, mürrischem Aussehen, der einmal gelangweilt aus den Schlitzen und dann wieder in den Tunnel sah.

»Zweihundertdreiundfünfzig Schritte. Bringt dich direkt in die Mitte«, sagte der Zwerg ohne zu zögern.

Kharas sah wieder auf die Ebene hinaus, wo das große Zelt des Generals abseits von den Lagerfeuern seiner Männer stand. Es schien Kharas wie ein Wunder, daß der alte Zwerg die Entfernung so genau berechnen konnte. Er hatte ausdrückliche Zweifel gehabt, wäre es ein anderer als Schleicher gewesen.

Aber der alte Dieb, der eigens für diese Mission seinen Ruhestand unterbrechen mußte, genoß einen zu großen Ruf für bemerkenswerte Taten – einen Ruf, der Kharas’ eigenem fast gleichkam.

»Die Sonne geht unter«, sagte Kharas. »Der General kehrt zurück. Er betritt sein Zelt.« Er runzelte die Stirn. »Beim Barte Reorx’, ich hoffe, er ändert heute abend seine Gewohnheiten nicht...«

»Wird er nicht«, sagte Schleicher. Sich in einer Ecke gemütlich zusammenkauernd, sprach er mit der ruhigen Gewißheit einer Person, die in vergangenen Zeiten ihren Lebensunterhalt verdient hatte, indem sie das Kommen und Gehen ihrer Mitmenschen beobachtet hatte. »Anfangs lernst du zwei Dinge, wenn du in Häuser einbrichst – jeder hat seine Routine, und niemand mag Veränderungen. Das Wetter ist gut, es gibt keine Unruhen, nichts außer Sand und noch mehr Sand. Nein, er wird nichts ändern.«

Kharas runzelte die Stirn, ihm gefiel nicht, an die gesetzlose Vergangenheit des Zwergs erinnert zu werden. Sich seiner eigenen Grenzen wohl bewußt, hatte Kharas Schleicher für diese Mission ausgewählt, da er jemanden benötigte, der sich schnell und lautlos bewegen konnte, der geschickt bei Angriffen in der Nacht war und in der Dunkelheit entkommen konnte.

Aber Kharas litt an Gewissensbissen. Er besänftigte seine Seele, indem er sich erinnerte, daß Schleicher vor langer Zeit für seine Taten bezahlt und sogar mehrere Dienste für seinen König erledigt hatte, die ihn zwar nicht zu einer völlig angesehenen Persönlichkeit, aber zu einem kleineren Helden gemacht hatten.

Außerdem, sagte sich Kharas, denk an die Leben, die wir retten werden. Bei diesem Gedanken stieß er einen Seufzer der Erleichterung aus. »Du hast recht, Schleicher. Jetzt kommt der Zauberer aus seinem Zelt und die Hexe aus ihrem.«

Mit einer Hand den Griff seines Messers ergreifend, der sicher an seinem Gürtel befestigt war, verwendete Kharas die andere Hand, um ein Kurzschwert, das auch in seinem Gürtel steckte, in eine etwas bessere Position zu bringen. Schließlich nahm er einen Beutel und zog ein Stück eingerolltes Pergament hervor; mit einem nachdenklichen, feierlichen Ausdruck in seinem bartlosen Gesicht stopfte er es in eine sichere Tasche seiner Lederrüstung. Er drehte sich zu den vier Zwergen, die hinter ihm standen, um und sagte: »Fügt der Frau oder dem General nicht mehr Schaden als notwendig zu! Aber der Zauberer muß sterben, und er muß schnell sterben, denn er ist der Gefährlichste.«

Schleicher grinste und machte es sich noch gemütlicher. Er würde nicht mitgehen. Einst hätte ihn das beleidigt, aber er hatte jetzt ein Alter erreicht, in dem es ein Kompliment war. Außerdem knirschten seine Kniegelenke alarmierend. »Laßt sie mit ihrem Abendessen beginnen. Dann«, er zog sich die Hand über die Kehle und gluckste, »zweihundertdreiundfünfzig Schritte...«

Vor dem Zelt des Generals Wache stehend, lauschte Garik dem Schweigen im Inneren. Es war beunruhigender und schien lauter widerzuhallen als der heftigste Streit.

Als er einen Blick durch den Zeltvorhang warf, sah er die drei zusammensitzen, wie sie es jeden Abend taten, still, nur gelegentlich etwas murmelnd, jeder augenscheinlich mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt.

Der Zauberer war in seine Studien vertieft. Es kursierten Gerüchte, daß er große, mächtige Zauber plane, mit denen er die Tore von Thorbadin aufsprengen wolle.

Was jedoch die Hexe betraf, wer wußte schon, was sie dachte? Garik war zumindest dankbar, daß Caramon ein Auge auf sie hatte.