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Bei den Männern gab es einige unheimliche Gerüchte über die Hexe, Gerüchte von Wundertaten, die sie in Pax Tarkas vollbracht hatte, von den Toten, die bei ihrer Berührung wieder ins Leben zurückkehrten, von Gliedmaßen, die wieder an blutigen Stümpfen wuchsen. Garik nahm diese Geschichten natürlich mit Vorsicht auf. Dennoch war in letzter Zeit etwas an ihr, das den jungen Mann sich fragen ließ, ob seine ersten Eindrücke richtig gewesen waren.

Am meisten sorgte sich Garik um seinen General. Im Laufe der vergangenen Monate hatte der junge Ritter Caramon verehren gelernt. Er hatte Caramons offensichtliche Niedergeschlagenheit bemerkt, von der der große Mann dachte, daß er sie ganz gut verbarg.

»Es sind diese verdammten Dunkelzwerge«, murmelte Garik und stampfte gegen die Kälte mit den Füßen auf. »Ich traue ihnen nicht, das steht fest. Ich würde sie fortjagen, und ich wette, der General würde das auch, wenn nicht sein Bru...« Er stockte, hielt den Atem an, lauschte. Nichts. Aber er hätte schwören können...

Mit der Hand am Schwertgriff starrte der junge Ritter in die Wüste hinaus. Obgleich sie tagsüber heiß war, verwandelte sie sich in der Nacht zu einem kalten und widerwärtigen Ort. In der Ferne sah er die Lagerfeuer. Hier und dort konnte er die Schatten von vorbeigehenden Männern sehen.

Dann hörte er es wieder. Ein Geräusch in seinem Rücken. Das Geräusch schwerer, eisenbesohlter Stiefel...

»Was war das?« fragte Caramon und hob den Kopf.

»Der Wind«, murmelte Crysania, sah zu einer Zeltwand und erbebte. Sie beobachtete, wie das Gewebe sich wellte und atmete wie ein lebendiges Ding. »An diesem entsetzlichen Ort weht er unablässig.«

Caramon hatte sich halb erhoben, seine Hand lag auf seinem Schwertknauf. »Es war nicht der Wind.«

Raistlin sah kurz zu seinem Bruder auf. »Setz dich!« fauchte er verärgert, »und beende dein Essen, damit wir das hier hinter uns bringen können. Ich muß zu meinen Studien zurück.«

Der Erzmagier beschäftigte sich in Gedanken mit einem besonders schwierigen Zauberspruch; seit Tagen mühte er sich damit ab. Er schob seinen nicht angerührten Teller beiseite und wollte gerade aufstehen, als die Welt buchstäblich unter seinen Füßen nachgab. Er starrte verblüfft hinab und sah ein riesiges Loch, das vor ihm gähnte. Eine der Pfahlstangen, die das Zelt hielten, stürzte in das Loch hinein. Eine Laterne baumelte heftig, Schatten hüpften wie Dämonen umher.

Instinktiv bekam Raistlin den Tisch zu fassen und schaffte es, nicht in das schnell größer werdende Loch zu fallen. Aber während er das tat, sah er Gestalten aus dem Loch heraufklettern, untersetzte, bärtige Gestalten. Einen Augenblick blitzte das wild tanzende Licht gegen Stahlklingen, glänzte in dunkle, grimmige Augen. Dann wurden die Gestalten in Schatten getaucht.

»Caramon!« schrie Raistlin, aber aus den Geräuschen hinter sich, einem bösartigen Fluch und dem Rasseln eines Stahlschwertes, das aus seiner Scheide glitt, konnte er entnehmen, daß sich Caramon der Gefahr bewußt war.

Raistlin hörte eine kräftige weibliche Stimme den Namen von Paladin ausrufen und erblickte ein reines, weißes Licht, aber er hatte keine Zeit, sich um Crysania zu sorgen. Ein riesiger Zwergenhammer, der von der Dunkelheit selbst geschwungen zu werden schien, blitzte im Laternenlicht auf und zielte auf seinen Kopf.

Raistlin sagte den ersten Zauber auf, der ihm einfiel, und beobachtete mit Zufriedenheit, wie eine unsichtbare Kraft den Hammer aus der Zwergenhand riß. Auf seinen Befehl trug die magische Kraft den Hammer durch die Dunkelheit, um ihn in einer Zeltecke fallen zu lassen.

Durch den unerwarteten Angriff anfangs betäubt, war Raistlins Geist jetzt aktiv. Als der erste Schock sich legte, betrachtete der Magier ihn lediglich als weitere ärgerliche Unterbrechung seiner Studien. Mit dem Vorsatz, die Störung schnell zu beenden, wandte er seine Aufmerksamkeit seinem Feind zu, der vor ihm stand und ihn mit Augen musterte, die ohne Angst waren.

Selbst keine Angst empfindend, gelassen in dem Wissen, daß ihn nichts töten konnte, da er von der Zeit beschützt wurde, rief Raistlin seine Magie gemächlich auf.

Er spürte mit sinnlichem Vergnügen, wie sie sich in seinem Körper wand und sich sammelte, spürte, wie die Ekstase ihn durchflutete. Dies würde eine angenehme Ablenkung von seinen Studien sein, dachte er. Eine interessante Übung... Er breitete die Hände aus und begann die Worte auszusprechen, die blaue Blitze durch den Körper des Feindes senden würden. Da wurde er unterbrochen.

Mit der Unmittelbarkeit eines Donnerschlages tauchten vor ihm zwei Gestalten auf, sprangen aus der Dunkelheit vor ihm auf, als ob sie von einem Stern gefallen wären.

Vor die Füße des Magiers stolpernd, starrte eine Gestalt in wilder Aufregung zu ihm hoch. »O schau mal! Es ist Raistlin! Wir haben es geschafft, Gnimsch! Wir haben es geschafft! Hallo, Raistlin! Ich wette, du bist überrascht, mich zu sehen! Und ich kann dir die wundervollste Geschichte erzählen! Weißt du, ich war tot. Nun, ich war es nicht richtig, aber...«

»Tolpan!« keuchte Raistlin. Gedanken zischten durch sein Gehirn, so wie die Blitze, die eigentlich aus seinen Fingerspitzen zischen sollten.

Der erste – ein Kender! Zeit könnte verändert werden!

Der zweite – Zeit kann verändert werden...

Der dritte – ich kann sterben!

Der Schock dieser Gedanken schoß durch Raistlins Körper, brannte die Nüchternheit und Gelassenheit fort, die für den Magier zum Werfen seiner Zauber so notwendig sind.

Als die unvorhergesehene Lösung seines Problems und die beängstigende Erkenntnis, was es ihn kosten könnte, sein Gehirn durchströmten, verlor Raistlin die Beherrschung. Die Worte des Zaubers entglitten seinem Gedächtnis. Aber sein Feind kam immer näher.

Raistlin suchte nach dem kleinen, silbernen Dolch, den er bei sich trug.

Aber es war zu spät...

9

Kharas’ Konzentration war völlig auf den Mann gerichtet, den er zu töten geschworen hatte. Mit der Zielstrebigkeit militärischen Denkens handelnd, schenkte er also dem verblüffenden Auftauchen der zwei sonderbaren Erscheinungen keine Aufmerksamkeit; er dachte vielleicht kurz, daß sie lediglich von dem Erzmagier herbeigerufen wären.

Kharas sah gleichzeitig die glitzernden Augen des Zauberers ausdruckslos werden. Er sah Raistlins Mund – geöffnet, um die tödlichen Worte auszusprechen – schlaff werden und wußte, daß sein Feind ihm zumindest wenige Sekunden ausgeliefert war. Er sprang nach vorn, stieß sein Kurzschwert durch die schwarzen, fließenden Roben und erhielt das befriedigende Gefühl, getroffen zu haben. Dem verwundeten Magier immer näher rückend, trieb er die Klinge tiefer und tiefer in dessen schlanken Körper. Die seltsame, glühende Hitze des Mannes hüllte ihn wie ein flammendes Inferno ein. Ein Haß und ein Zorn, so intensiv, daß sie Kharas wie ein körperlicher Schlag trafen, ließen ihn nach hinten auf den Boden stürzen.

Aber der Zauberer war verwundet – tödlich. So viel wußte Kharas.

Er starrte hoch und blickte in jene brennenden, haßerfüllten Augen. Er sah sie vor Zorn glühen, aber sie waren auch voller Schmerz. Und er sah bei dem hüpfenden Licht der Laterne den Griff seines Kurzschwertes aus dem Bauch des Magiers ragen. Er sah die schlanken Hände des Zauberers, die sich darum wanden, er hörte ihn in schrecklicher Qual aufschreien. Er wußte, es bestand kein Grund zur Angst. Der Zauberer konnte ihm nichts mehr anhaben.

Kharas rappelte sich auf, streckte seine Hand aus und riß sein Schwert heraus. In bitterer Pein schreiend, die Hände in das eigene Blut getaucht, schlug der Zauberer auf dem Boden auf und lag still da.

Jetzt hatte Kharas Zeit, sich umzusehen. Seine Männer kämpften eine regelrechte Schlacht mit dem General, der, seinen Bruder schreien hörend, vor Angst und Zorn fuchsteufelswild war. Die Hexe war nirgendwo zu sehen, das unheimliche weiße Licht, das von ihr ausgegangen war, brannte nicht mehr.