Dunkan beugte sich vor und funkelte Tolpan unter seinen dicken Augenbrauen hervor beunruhigend an. »Du lügst.«
»Ich lüge nicht!« erwiderte Tolpan empört. »Wir sind mit einem magischen Gerät hier gelandet, das ich von einem Freund ausgeborgt habe. Es funktionierte gut, als ich es hatte, aber dann habe ich es zufällig zerstört. Nun, eigentlich war das nicht mein Fehler. Aber das ist eine andere Geschichte. Auf jeden Fall habe ich die Umwälzung überlebt und endete in der Hölle. Kein netter Ort. Egal, dort in der Hölle lernte ich Gnimsch kennen, und er hat das Gerät repariert. Er ist wirklich ein wundervoller Bursche«, fuhr er fort und klopfte Gnimsch auf die Schulter. »Er ist ein Gnom, das stimmt, aber seine Erfindungen funktionieren.«
»So, du bist also aus der Hölle!« stellte Kharas streng fest. »Du gibst es zu! Geister aus dem Reich der Finsternis! Der schwarzgekleidete Zauberer hat euch herbeigerufen, und ihr seid auf seinen Befehl hin aufgetaucht.«
Diese verblüffende Anschuldigung versetzte den Kender in Sprachlosigkeit. Er stotterte zunächst zusammenhanglos, dann fand er seine Stimme wieder. »So wurde ich noch niemals beleidigt! Aber Raistlin gehörte gewiß zu den interessantesten Leuten, die ich je kennengelernt habe.«
»Der Zauberer ist nicht tot, wie du nur zu genau weißt, Geist!« knurrte Dunkan.
»Ich bin kein Geist... Nicht tot?« Tolpan strahlte. »Obwohl du ihn niedergestochen hast und das ganze Blut und alles und... Oh! Ich weiß, warum! Crysania! Natürlich! Crysania!«
»Ah, die Hexe!« sagte Kharas leise, fast zu sich selbst, als die Lehnsherren untereinander zu murmeln begannen.
»Nun, sie ist zuweilen ein wenig kalt und unpersönlich«, sagte Tolpan schockiert, »aber ich bin überzeugt, das gibt dir nicht das Recht, sie mit Schimpfnamen zu belegen. Sie ist immerhin eine Klerikerin Paladins.«
»Klerikerin!« Die Lehnsherren begannen zu grölen.
»Ich bitte euch«, bettelte Tolpan, »laßt mich gehen! Ich muß zu Caramon!«
Das löste eine Reaktion aus. Die Lehnsherren verstummten.
»Du kennst General Caramon?« fragte Kharas zweifelnd.
»General?« wiederholte Tolpan. »Wäre Tanis nicht überrascht, das zu hören? General Caramon! Tika würde lachen... Natürlich kenne ich Cara... General Caramon«, fuhr Tolpan hastig fort, als er sah, wie Dunkans Augenbrauen sich verengten. »Er ist mein bester Freund. Und wenn du nur einmal anhören würdest, was ich dir klarzumachen versuche, daß nämlich Gnimsch und ich mit dem magischen Gerät hierherkamen, um Caramon zu finden und mit nach Hause zu nehmen! Er will nämlich nicht hier sein, da bin ich mir sicher. Verstehst du, Gnimsch hat das Gerät so repariert, daß es eine weitere Person transportieren kann...«
»Ihn nach Hause nehmen wohin?« knurrte Dunkan. »In die Hölle? Vielleicht hat der Zauberer ihn auch herbeigerufen!«
»Nein!« rief Tolpan, der langsam die Geduld verlor. »Natürlich nach Solace. Und Raistlin auch, falls er möchte. Ich kann mir in der Tat nicht vorstellen, was sie hier eigentlich suchen. Raistlin konnte Thorbadin das letzte Mal nicht ertragen, als wir hier waren, was ungefähr in zweihundert Jahren der Fall sein wird. Die ganze Zeit hat er nur gehustet und sich über die Feuchtigkeit beschwert. Flint sagte – Flint Feuerschmied – ein alter freund von mir...«
»Feuerschmied!« Dunkan sprang von seinem Thron auf und funkelte den Kender an. »Du bist ein Freund von Feuerschmied?«
»Nun, du brauchst dich nicht so aufzuregen«, entgegnete Tolpan etwas verblüfft. »Flint hat natürlich auch seine Fehler – immer nur murren und Leute beschuldigen, Dinge zu stehlen, obwohl ich wirklich vorhatte, das Armband zurückzubringen, als ich es fand. Aber das heißt nicht, daß du...«
»Feuerschmied«, sagte Dunkan grimmig, »ist der Anführer unserer Feinde. Oder hast du das etwa nicht gewußt?«
»Nein«, antwortete Tolpan interessiert. »Hab’ ich nicht. Aber ich bin sicher, es kann nicht der gleiche Feuerschmied sein«, fügte er nach einigem Grübeln hinzu. »Flint wird erst in ungefähr fünfzig Jahren geboren. Vielleicht ist er sein Vater. Raistlin sagt...«
»Raistlin? Wer ist überhaupt dieser Raistlin?« herrschte Dunkan ihn an.
Tolpan fixierte den Zwerg mit einem strengen Blick. »Du paßt überhaupt nicht auf. Raistlin ist der Zauberer. Derjenige, den du getötet hast – äh, derjenige, den du nicht getötet hast. Derjenige, von dem du dachtest, ihn getötet zu haben, der aber nicht gestorben ist.«
»Sein Name ist nicht Raistlin, sondern Fistandantilus!« schnaufte Dunkan. Dann nahm er mit grimmigem Gesicht wieder seinen Platz ein. »So«, sagte er, während er den Kender unter seinen buschigen Augenbrauen musterte, »du planst also, diesen Zauberer, der von einer Klerikerin geheilt wurde, obgleich es auf dieser Welt keine Kleriker gibt, und einen General, von dem du behauptest, er sei dein bester Freund, zurück zu einem Ort zu bringen, der nicht existiert, um unserem Feind entgegenzutreten, der noch nicht geboren ist, und das alles mit Hilfe eines von einem Gnom gebauten Gerätes?«
»Richtig!« schrie Tolpan triumphierend. »Du verstehst also! Da siehst du mal, was du alles lernen kannst, wenn du einfach zuhörst!«
Gnimsch nickte zustimmend.
»Wachen! Schafft sie fort!« knurrte Dunkan. Er drehte sich auf dem Absatz um und sah Kharas kalt an. »Du hast mir dein Wort gegeben. Ich erwarte dich in zehn Minuten im Kriegsrat.«
»Aber Lehnsherr! Wenn er wirklich General Caramon kennt...«
»Genug!« Dunkan bekam einen Tobsuchtsanfall. »Der Krieg kommt über uns, Kharas. Deine ganze Ehre und all dein ehrenhaftes Gejammer über das Umbringen von Verwandten wird ihn nicht aufhalten können! Und du kannst entweder in die Schlacht gehen oder dein Gesicht nehmen, das uns alle beschämt, und es in den Verliesen bei den anderen Verrätern unseres Volkes, den Dewaren, verstecken! Wie wirst du dich entscheiden?«
»Ich diene dir natürlich, Lehnsherr«, antwortete Kharas mit starrem Gesicht. »Ich habe dir mein Leben verpfändet.«
»Sieh zu, daß du dich daran erinnerst«, schnappte Dunkan. »Und darum befehle ich dir, daß du dich ausschließlich in deinen Quartieren aufhältst, abgesehen von den Kriegsratssitzungen, denen du beiwohnen wirst. Und weiterhin werden diese zwei«, er wies auf Tolpan und Gnimsch, »gefangengehalten, und ihr Verbleib wird bis zum Kriegsende geheimgehalten. Der Tod wird den ereilen, der diesem Befehl zuwiderhandelt.«
Die Lehnsherren sahen sich an und nickten zustimmend, obwohl einer murmelte, es sei zu spät. Die Wachen ergriffen Gnimsch und Tolpan.
Der Kender protestierte heftig, als sie ihn abführten. »Ich habe die Wahrheit gesagt«, plärrte er. »Du wirst mir noch glauben müssen!«
Tolpan hätte es nicht für möglich gehalten, daß man so tief unter die Oberfläche der Erde hinabsteigen könnte. Er erinnerte sich, daß Flint ihm einmal erzählt hatte, daß Reorx hier unten lebe und die Welt mit seinem gigantischen Hammer schmiede. »Eine nette, lustige Person muß er sein«, brummte er. Er zitterte in der Kälte, bis seine Zähne klapperten. »Wenn Reorx die Welt schmiedet, könnte man eigentlich denken, daß es wärmer wäre.«
»Verlaß dich auf Zwerge«, brummte Gnimsch.
Tolpan antwortete nicht, da er zu sehr mit anderen Problemen beschäftigt war – wie kommen wir hier heraus, wohin gehen wir, falls wir hier herauskommen, und wann gibt es wohl Abendessen? Da er keine Antworten auf diese Fragen erhielt, verfiel der Kender in ein düsteres Schweigen.
Aber er erlebte einen ziemlich aufregenden Augenblick – als sie in einen engen Felstunnel hinabgelassen wurden, der durch das Gebirge gebohrt worden war. Das Gerät, mit dem Leute in den Tunnel hinuntergelassen wurden, bezeichneten die Gnome als »Aufzug«, wie er von Gnimsch aufgeklärt wurde.
Da es keine sofortige Lösung für ihre Probleme gab, beschloß Tolpan, seine Zeit nicht zu verschwenden und an diesem interessanten Ort nicht mit einer Jammermiene herumzulaufen. Er genoß also die Fahrt im Aufzug durch und durch, obwohl sie teilweise recht ungemütlich verlief, als das wackelige Holzgerät – das von muskulösen Zwergen bedient wurde, die an unendlich langen Seilen zogen – während der Fahrt gegen eine Seite des felsigen Tunnels stieß, die Fahrgäste durchschüttelte und ihnen so zahlreiche Schnittwunden und Prellungen zufügte.