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Beim Anblick von Kharas sprangen die Dewaren, die sich bewegen konnten, auf die Füße und wichen in die entlegenste Ecke zurück. Dort kauerten sie sich zusammen, murmelten und zeigten zur vordersten Ecke der Zelle.

Als Kharas dorthin sah, verfinsterte sich sein Blick. Der Gnom lag schlaff auf dem Boden.

Kharas warf dem verblüfften Wächter einen zornigen Blick zu und wandte sich dann an die Dewaren. »Wer hat das getan?« herrschte er sie an. »Und wo ist der Kender?«

Zu Kharas’ Verwunderung kamen die Dewaren herbei und schwatzten alle auf einmal. Mit einer wütenden Handbewegung brachte Kharas sie zum Schweigen. »Du dort«, er zeigte auf den Dewar, der immer noch Tolpans Beutel festhielt, »woher hast du diese Beutel? Was ist geschehen? Wo ist der Kender?«

Als der Dewar nach vorne schlurfte, sah Kharas in seine Augen und bemerkte zu seinem Entsetzen, daß jegliche geistige Gesundheit, die der Dunkelzwerg einmal besessen hatte, inzwischen völlig verschwunden war.

»Ich sah ihn«, sagte der Dewar grinsend. »Ich sah ihn in seinen schwarzen Roben. Er kam wegen des Gnoms. Und er kam wegen des Kenders. Und als nächste sind wir dran!« Er lachte entsetzlich. »Wir sind die nächsten!« wiederholte er.

»Wer?« fragte Kharas streng. »Wen hast du gesehen? Wer kam wegen des Kenders?«

»Nun, er selbst!« flüsterte der Dewar.

12

Seit Jahrhunderten hatte niemand seinen Fuß in die magische Festung Zaman gesetzt. Die Zwerge betrachteten sie aus verschiedenen Gründen mit Argwohn. Erstens hatte sie Zauberern gehört. Zweitens war sie weder von Zwergen geschaffen noch überhaupt natürlichen Ursprungs. Die Festung war, so hieß es in der Legende, mit Magie aus dem Boden emporgehoben worden, und es war Magie, die sie zusammenhielt.

»Muß wirklich Magie sein«, sagte Regar zu Caramon, während er den hohen, schmalen Türmen der Festung einen scharfen Blick zuwarf. »Sonst wäre sie nämlich schon vor langer Zeit umgestürzt.«

Die Hügelzwerge, die sich weigerten, die Festung zu betreten, hatten draußen in der Ebene ein Lager aufgeschlagen. Die Barbaren ebenfalls, aber das lag nicht daran, daß sie das magische Gebäude fürchteten, sondern daran, daß sie sich in jedem Gebäude unbehaglich fühlten.

Die Menschen, über diesen Aberglauben spottend, betraten die uralte Festung und lachten lauthals über Geister und Gespenster. Sie blieben eine Nacht. Am nächsten Morgen errichteten sie ihr Lager im Freien und murmelten etwas von frischer Luft und einem besseren Schlaf unter den Sternen.

»Was war hier früher?« fragte Caramon seinen Bruder nervös, als sie durch die Festung gingen. »Du hast gesagt, es sei hier kein Turm der Erzmagier, aber offensichtlich haben Zauberer sie gebaut. Und es gibt mir ein seltsames Gefühl. Nicht unheimlich wie in den Türmen. Aber ein Gefühl der...« Er brach ab.

»Der Gewalt«, murmelte Raistlin, »der Gewalt und des Todes, mein Bruder. Denn dies war ein Ort des Experimentierens. Die Magier bauten diese Festung weit entfernt von zivilisierten Ländern, weil sie wußten, daß die Magie, die sie anwendeten, leicht ihrer Kontrolle entgleiten konnte. Und so geschah es häufig. Aber hier entstanden auch großartige Dinge – Magie, die der Welt weiterhalf.«

»Warum wurde die Festung aufgegeben?« fragte Crysania und zog sich ihren wärmenden Pelzumhang enger um die Schultern. Die Luft, die durch die engen Steinkorridore strömte, war eisig.

Raistlin schwieg lange Zeit. Langsam wanderten sie durch die verzweigten Korridore. Crysanias weiche Lederstiefel gaben keine Geräusche von sich, während Caramons schwere Stiefel durch die leeren Kammern hallten und der Stab des Magus, auf den sich Raistlin stützte, auf den Boden aufschlug.

»Obgleich es immer die drei Roben – die guten, die neutralen und die bösen – unter den Zauberkundigen gab, haben wir unglücklicherweise nicht immer das Gleichgewicht bewahrt«, erklärte Raistlin. »Als sich die Bevölkerung gegen uns wandte, zogen sich die Weißen Roben in ihre Türme zurück und traten für den Frieden ein. Die Schwarzen Roben versuchten anfangs zurückzuschlagen. Sie übernahmen diese Festung und experimentierten mit dem Ziel, Soldaten zu erschaffen.« Er hielt inne. »Experimente, die damals nicht erfolgreich verliefen, aber zur Erschaffung der Drakonier in unserer eigenen Zeit führten. Aufgrund ihres Versagens sahen die Schwarzen Roben die Hoffnungslosigkeit ihrer Situation ein. Sie verließen Zaman und beteiligten sich mit ihren Kollegen an der sogenannten Verlorenen Schlacht, wie sie später bezeichnet wurde.«

»Du scheinst dich hier auszukeimen«, bemerkte Caramon.

Raistlin warf seinem Bruder einen scharfen Blick zu. »Verstehst du immer noch nicht?« fragte er barsch und blieb in einem zugigen, düsteren Korridor stehen. »Ich bin niemals hier gewesen, aber dennoch bin ich durch diese Gänge gelaufen. In dem Raum, in dem ich schlafen werde, habe ich schon viele Nächte zuvor geschlafen, aber trotzdem habe ich in dieser Festung niemals eine Nacht verbracht. Ich bin ein Fremder hier, aber dennoch kenne ich jedes einzelne Zimmer, von den Meditationsräumen und Arbeitszimmern ganz oben bis zu den Speisesälen im ersten Stock.«

Caramon war ebenfalls stehengeblieben. Sein Blick begegnete dem seines Bruders. »Dann, Fistandantilus«, sagte er mit schwerer Stimme, »weißt du auch, daß dies hier dein Grab werden wird.«

Kurz gewahrte Caramon einen winzigen Spalt in Raistlins gläsernen Augen; es war in ihnen kein Zorn, sondern Belustigung und Triumph. Dann waren sie wieder glänzende Spiegel, in denen sich Caramon in schwachem, winterlichem Sonnenlicht stehen sah.

Crysania trat zu Raistlin. Sie legte die Hände auf seinen Arm und musterte Caramon mit kalten grauen Augen. »Die Götter sind mit uns«, sagte sie. »Sie waren nicht mit Fistandantilus. Dein Bruder ist stark in seiner Kunst, ich bin stark in meinem Glauben. Wir werden nicht versagen!«

Raistlin lächelte. »Ja«, flüsterte er, und in seinen Worten lag ein leichtes Zischen, »die Götter sind mit uns!«

Im ersten Stock der magischen Festung Zaman befanden sich große, steingemeißelte Hallen, die in vergangenen Zeiten Orte der Zusammenkünfte und der Festlichkeiten gewesen waren. Dort lagen auch Räume, die einst mit Büchern gefüllt und für ein ruhiges Studium und Meditationen gedacht waren. Am hinteren Ende waren Küchen und Lagerräume, seit langem unbenutzt und mit dem Staub der Jahre bedeckt.

In den oberen Stockwerken befanden sich große, mit altmodischen Möbeln eingerichtete Schlafzimmer. Die Betten waren mit Leinen bezogen, die sich durch die trockene Wüstenluft gut erhalten hatten. Caramon, Crysania und die Offiziere von Caramons Stab schliefen in diesen Räumen. Wenn sie nicht gut schliefen, wenn sie zuweilen mitten in der Nacht aufwachten und dachten, Stimmen gehört oder geisterhafte Gestalten gesehen zu haben, erwähnte das niemand bei Tageslicht. Nach einigen Nächten waren diese Vorkommnisse ohnehin vergessen, verdrängt von größeren Sorgen wegen des Nachschubs und der Kämpfe, die zwischen Menschen und Zwergen ausbrachen, von Berichten von Spionen, daß die Zwerge von Thorbadin sich zu einer riesigen Streitmacht sammelten.

In Zaman befand sich, ebenfalls im ersten Stock, ein Korridor, der wie ein Versehen wirkte. Jeder, der sich hierhin wagte, fand heraus, daß er von einem kurzen Gang abging und dann in einer Wand endete.

Aber der Korridor war kein Versehen. Wenn sich die richtigen Hände auf die Wand legten, wenn die richtigen Worte gesprochen wurden, wenn die richtigen Runen in der Wand nachgezeichnet wurden, dann erschien eine Tür, die zu einer großen Treppe führte.

Diese Treppe hinunter, immer tiefer und tiefer hinunter in die Dunkelheit, hinunter – so schien es – in das Herz der Welt selbst, konnte die richtige Person steigen. Hinunter in die Verliese von Zaman...

»Noch einmal.« Die Stimme war sanft, geduldig, und sie bewegte sich vor Tolpan wie eine Schlange. Sich um ihn windend, grub sie ihre gekrümmten Zähne in sein Fleisch.