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»Wir werden es noch einmal erörtern. Erzähl mir von der Hölle«, sagte die Stimme. »Sag mir alles, woran du dich erinnern kannst. Wie du eingetreten bist. Wie die Landschaft aussah. Wen und was du gesehen hast. Die Königin selbst, wie sie ausgesehen hat, ihre Worte...«

»Ich versuche es doch, Raistlin, wirklich!« wimmerte Tolpan. »Aber... wir haben es in den vergangenen Tagen immer wieder durchgesprochen. Ich kann an nichts anderes mehr denken! Und mein Kopf ist so heiß, und meine Füße und meine Hände sind kalt, und das Zimmer dreht sich im Kreis. Wenn... wenn du das Zimmer aufhalten kannst, daß es sich nicht mehr dreht, Raistlin, könnte ich mich erinnern...«

Als Tolpan Raistlins Hand auf seiner Brust spürte, fiel er auf das Bett zurück. »Nein!« stöhnte er. »Ich werde es schaffen, Raistlin! Ich werde mich erinnern. Verletz mich nicht wie den armen Gnimsch!«

»Bleib still liegen«, befahl Raistlin. Dann hob er Tolpan an den Armen hoch und starrte in die Augen des Kenders. Schließlich ließ er Tolpan auf sein Bett zurücksinken und erhob sich, einen bitteren Fluch murmelnd.

Auf einem schweißdurchnäßten Kissen liegend, sah Tolpan die schwarzgekleidete Gestalt kurz über sich schweben, dann wandte sie sich mit einem Rascheln um und ging aus dem Zimmer. Tolpan versuchte den Kopf zu heben, um zu sehen, wohin Raistlin ging, aber die Anstrengung war zu groß. Er fiel schlaff zurück.

Warum bin ich so schwach? fragte er sich. Was ist los? Ich will schlafen. Vielleicht habe ich dann keine Schmerzen mehr. Er schloß die Augen, Nein, ich darf nicht schlafen, dachte er ängstlich. Da lauern Dinge in der Dunkelheit, entsetzliche Dinge, die nur darauf warten, daß ich einschlafe! Ich habe sie gesehen, sie sind da draußen! Sie werden hervorspringen und...

Wie aus der Ferne hörte er Raistlins Stimme. Als Tolpan sich umwandte, sah er die schwarzgekleidete Gestalt im Gespräch mit einer untersetzten, dunklen Gestalt. Und sie diskutierten wirklich über ihn. Er versuchte zu lauschen, aber seine Gedanken trieben seltsame Dinge – sie wanderten fort, um irgendwo zu spielen, ohne seinen Körper mitzunehmen. Darum war Tolpan sich nicht sicher, ob er hörte, was er hörte, oder ob er träumte.

»Gib ihm mehr von dem Heiltrunk. Das sollte ihn ruhig halten«, sagte Raistlins Stimme zu der kleinen dunklen Gestalt. »Die Chance ist zwar gering, daß ihn jemand hier unten hört, aber ich will kein Risiko eingehen.«

Die kleine dunkle Gestalt antwortete etwas. Tolpan schloß die Augen und ließ das kühle Wasser eines blauen Sees über seine glühende Haut fließen. Vielleicht hatte sein Geist inzwischen beschlossen, seinen Körper doch noch mitzunehmen.

»Wenn ich gegangen bin«, ertönte Raistlins Stimme aus dem Wasser hervor, »verschließ die Tür hinter mir und lösche das Licht aus. Mein Bruder ist in letzter Zeit sehr argwöhnisch.

Sollte er die magische Tür entdecken, wird er zweifellos hier herunterkommen. Er darf nichts finden. Alle diese Zellen müssen leer erscheinen.«

Die Gestalt murmelte etwas, und die Tür quietschte in ihren Angern.

Das Wasser des Sees begann plötzlich um Tolpan zu kochen. Tentakel schlängelten sich plötzlich hervor, ergriffen ihn. »Raistlin!« bettelte er. »Laß mich nicht allein. Hilf mir!«

Aber die Tür schlug zu. Die kleine dunkle Gestalt schlurfte an Tolpans Seite. Tolpan starrte sie in traumähnlichem Entsetzen an und erkannte, daß es ein Zwerg war.

»Flint?« murmelte er. »Nein! Arak!« Er versuchte zu laufen, aber die Wassertentakel griffen nach seinen Füßen. »Raistlin!« schrie er und versuchte fortzukriechen. Aber seine Füße machten nicht mit. Etwas ergriff ihn! Die Tentakel! Tolpan kreischte vor Panik.

»Halt den Mund, du Bastard. Trink das.« Die Tentakel ergriffen ihn am Haarzopf und hielten eine Tasse an seine Lippen. »Trink das, oder ich reiße dir die Haare mit den Wurzeln aus!«

Verstört nahm Tolpan einen Schluck. Die Flüssigkeit war bitter, aber kühl und lindernd. Er war durstig, so durstig! Schluchzend nahm er dem Zwerg die Tasse weg und schluckte den Inhalt hinunter. Dann legte er sich auf sein Kissen zurück. Innerhalb von Sekunden glitten die Tentakel fort, der Schmerz in seinen Gliedern ging zurück, und das klare, süße Wasser des Sees schloß sich über seinem Kopf.

Crysania erwachte aus einem Traum mit dem entschiedenen Eindruck, daß jemand ihren Namen gerufen hatte. Obwohl sie sich nicht erinnerte, das Wort gehört zu haben, war das Gefühl so stark, daß sie sofort hellwach war und sich im Bett aufrichtete, bevor ihr eigentlich bewußt war, was sie geweckt hatte.

War es ein Teil ihres Traumes gewesen? Nein. Der Eindruck blieb und verstärkte sich.

Jemand war in ihrem Zimmer! Sie sah sich schnell um. Solinaris Licht, das durch ein kleines Fenster am anderen Ende des Zimmers schien, tat wenig, um es zu beleuchten. Crysania öffnete den Mund, um die Wache zu rufen, aber sie spürte eine Hand auf ihren Lippen.

Dann materialisierte sich Raistlin aus der dunklen Nacht und setzte sich an ihr Bett. »Verzeih mir, daß ich dich geängstigt habe, Verehrte Tochter«, sagte er flüsternd. »Ich brauche deine Hilfe, und ich wollte nicht die Aufmerksamkeit der Wachen erregen.«

Langsam entfernte er seine Hand.

»Ich war nicht verängstigt«, protestierte Crysania. Er lächelte, und sie errötete. Er war so nah bei ihr, daß er ihr Zittern spüren konnte. »Du hast mich... nur erschreckt, das ist alles. Ich habe geträumt. Du schienst ein Teil des Traumes zu sein.«

»Natürlich«, erwiderte Raistlin gelassen. »Das Portal ist hier, und folglich sind wir den Göttern sehr nahe.«

Es ist nicht die Nähe der Götter, die mich zittern läßt, dachte Crysania mit einem Seufzer, als sie die glühende Wärme des Körpers neben sich spürte, seine geheimnisvollen, berauschenden Düfte roch. Wütend bewegte sie sich von ihm fort, unterdrückte ihre Wünsche und Sehnsüchte. Er steht über solchen Dingen. Sollte sie zeigen, daß sie schwächer war? Sie fuhr fort: »Du hast gesagt, du brauchtest meine Hufe. Warum?« Plötzlich wurde sie von Angst gepackt. Sie ergriff seine Hand. »Dir geht es gut, oder nicht? Deine Wunde...«

Ein schmerzlicher Krampf verzerrte Raistlins Gesicht, dann wurde sein Ausdruck hart und bitter. »Nein, mir geht es gut«, sagte er kurz.

»Dank Paladin«, sagte Crysania lächelnd und ließ ihre Hand in seiner verweilen.

Raistlins Augen verengten sich. »Der Gott erhält von mir keinen Dank!« murmelte er.

Crysania erbebte. Sie versuchte ihre Hand aus seiner zu ziehen, aber Raistlin, durch ihre Bewegung aus seinem Tagtraum herausgeholt, wandte ihr sein Gesicht zu.

»Verzeih mir, Verehrte Tochter«, sagte er und ließ sie los. »Der Schmerz war unerträglich. Ich betete um den Tod. Er wurde mir versagt.«

»Du kennst den Grund«, erwiderte Crysania; ihre Angst verlor sich in ihrem Mitgefühl. Sie ließ ihre Hand auf die Decke neben seine zitternde Hand fallen, berührte sie aber nicht.

»Ja, und ich akzeptiere es. Dennoch kann ich ihm nicht verzeihen. Aber das ist eine Angelegenheit zwischen deinem Gott und mir«, sagte Raistlin tadelnd.

Crysania biß sich auf die Lippen. »Ich akzeptiere meine Zurechtweisung. Sie war verdient.« Sie schwieg einen Augenblick. Auch Raistlin war nicht zum Sprechen geneigt; die Linien in seinem Gesicht vertieften sich.

»Du hast Caramon gesagt, daß die Götter mit uns seien. Dann hast du also mit meinem Gott geredet... mit Paladin?« wagte Crysania zu fragen.

»Natürlich.« Raistlin lächelte sein verzerrtes Lächeln. »Überrascht dich das?«

Crysania seufzte. Sie ließ den Kopf sinken. Das schwache Mondlicht ließ ihr schwarzes Haar in einem sanften blauen Glanz, ihre Haut in reinstem Weiß erstrahlen. Ihr Duft erfüllte den Raum, erfüllte die Nacht. Sie spürte eine Berührung an ihrem Haar. Als sie den Kopf hob, sah sie Raistlins Augen vor Leidenschaft brennen. Sie hielt den Atem an, aber in diesem Augenblick erhob sich Raistlin.

Crysania seufzte. »Du hast also mit beiden Göttern geredet?« fragte sie sehnsüchtig.

»Ich habe mit allen dreien geredet«, erwiderte Raistlin.