»Drei?« fragte sie verblüfft. »Gilean?«
»Wer ist denn Astinus, wenn nicht Gileans Sprachrohr?« fragte Raistlin verächtlich. »Falls er nicht Gilean persönlich ist, wie einige spekulieren. Aber dies ist sicherlich nichts Neues für dich...«
»Ich habe niemals mit der Dunklen Königin geredet«, sagte Crysania.
»Wirklich?« fragte Raistlin mit einem durchdringenden Blick. »Weiß sie nichts von deinen Herzenswünschen? Hat sie dir nichts angeboten?«
Als Crysania in seine Augen sah, seine Nähe spürte und von Sehnsucht überflutet wurde, konnte sie nicht antworten. Sie schüttelte den Kopf. »Wenn sie das hat«, antwortete sie fast unhörbar, »hat sie nur mit einer Hand etwas angeboten und es mir mit der anderen versagt.«
»Ich bin nicht hierher gekommen, um theologische Fragen zu erörtern«, sagte Raistlin. »Ich habe andere, unmittelbarere Sorgen.«
»Natürlich.« Crysania errötete und strich ihr wirres Haar aus dem Gesicht. »Ich entschuldige mich. Du brauchtest mich, hast du gesagt...«
»Tolpan ist hier.«
»Tolpan?« wiederholte Crysania in blanker Verblüffung.
»Ja, und er ist sehr krank. In der Tat liegt er im Sterben. Ich brauche deine Heilkräfte.«
»Aber ich verstehe nicht. Wie ist er hierhergekommen?« stammelte Crysania verwirrt. »Du hast gesagt, er sei in unsere eigene Zeit zurückgekehrt.«
»Das habe ich auch geglaubt«, gab Raistlin ernst zurück. »Aber offensichtlich habe ich mich geirrt. Das magische Gerät brachte ihn hierher. Er ist auf Kendermanier durch die Welt gezogen, hat sich nur vergnügt. Schließlich hörte er von dem Krieg und kam hier an, um am Abenteuer teilzunehmen. Unglücklicherweise hat er sich bei seinen Wanderungen mit der Pest angesteckt.«
»Das ist ja schrecklich! Natürlich komme ich.« Sie griff nach ihrem Fellumhang am Ende des Bettes, hüllte ihn sich um die Schultern und bemerkte gleichzeitig, daß sich Raistlin von ihr abgewandt hatte.
»Ich bin fertig«, sagte Crysania, während sie ihren Umhang befestigte. Raistlin drehte sich um und hielt ihr seine Hand entgegen. Crysania sah ihn verwirrt an.
»Wir müssen auf den Wegen der Nacht reisen«, sagte er ruhig. »Wie ich dir bereits sagte, will ich nicht die Wachen alarmieren.«
»Aber warum nicht?« fragte sie.
»Was soll ich meinem Bruder sagen? Verstehst du mein Dilemma?« fragte Raistlin, während er sie aufmerksam musterte. »Wenn ich es ihm sage, wird er sich Sorgen machen, in einer Zeit, in der er zusätzliche Bürden nicht auf sich nehmen kann. Tolpan hat das magische Gerät zerbrochen. Auch darüber wird sich Caramon aufregen, selbst wenn er weiß, daß ich beabsichtige, ihn nach Hause zu schicken. Aber trotzdem – ich sollte ihm sagen, daß der Kender hier ist.«
»Caramon hat in den vergangenen Tagen unglücklich ausgesehen«, sagte Crysania nachdenklich.
»Der Krieg läuft nicht gut«, informierte Raistlin sie schonungslos. »Die Armee zerfällt. Die Barbaren reden tagtäglich davon zu verschwinden. Sie sind vielleicht sogar schon aufgebrochen. Die Zwerge unter Feuerschmied sind ein unzuverlässiges Volk; sie bedrängen Caramon zuzuschlagen, noch bevor er bereit ist. Die Nachschubwagen sind verschwunden, niemand weiß, was aus ihnen geworden ist. Seine eigene Truppe ist unruhig, aufgebracht. Und der Gipfel wäre es, einen Kender zu haben, der umherstreift, ziellos plappert, ihn ablenkt...« Er seufzte. »Dennoch kann ich Caramon diese Information nicht vorenthalten.«
Crysanias Lippen zogen sich zusammen. »Ich halte es nicht für klug, ihn zu informieren.« Als sie Raistlins zweifelnden Blick sah, fuhr sie fort: »Caramon kann nichts tun. Wenn der Kender wirklich krank ist, wie du vermutest, kann ich ihn heilen, aber er wird noch einige Tage geschwächt sein. Er wäre nur eine zusätzliche Bürde für deinen Bruder. Caramon plant, in einigen Tagen zu marschieren. Wir werden uns um den Kender kümmern, und wenn er sich völlig erholt hat, kann er zu seinem Freund, wenn das sein Wunsch ist.«
Der Erzmagier seufzte wieder, widerstrebend und zweifelnd. Dann zuckte er die Schultern. »Nun gut, Verehrte Tochter«, sagte er. »Ich werde mich in dieser Hinsicht von dir leiten lassen. Deine Worte sind klug. Wir werden Caramon nicht erzählen, daß der Kender zurückgekehrt ist.«
Er trat zu ihr, und Crysania, die aufsah, erhaschte ein seltsames Lächeln auf seinem Gesicht. Er legte den Arm um sie und hielt sie fest.
Sie schloß die Augen. Eingehüllt in seine Wärme, lauschte sie seinem pochenden Herzschlag...
»Du hältst ihn hier? In den Verliesen?« fragte Crysania, in der eisigen, feuchten Luft zitternd.
»Shirak.« Raistlin ließ den Kristall am Stab des Magus erglühen. »Er liegt dort drüben«, sagte er.
Ein primitives Bett stand an einer Wand. Crysania eilte hin. Als sie neben dem Kender kniete und ihre Hand auf seine fiebernde Stirn legte, schrie Tolpan auf. Seine Augen öffneten sich, aber er starrte sie an, ohne sie zu sehen.
Raistlin, der ihr gefolgt war, deutete auf den Dunkelzwerg, der in einer Ecke hockte. »Laß uns allein«, wies er ihn an, dann trat er an das Bett. Hinter sich hörte er die Zellentür zuschlagen.
»Wie kannst du ihn in dieser Dunkelheit eingesperrt halten?« herrschte Crysania ihn an.
»Hast du jemals zuvor Pestopfer behandelt, Crysania?« fragte Raistlin. Bitter lächelnd beantwortete er seine eigene Frage. »Nein, natürlich nicht. Die Pest ist ja niemals nach Palanthas gekommen. Sie hat niemals diese wunderschöne, reiche Stadt heimgesucht...« Er gab sich keine Mühe, seinen Abscheu zu verbergen. »Nun, sie ist zu uns gekommen«, fuhr Raistlin fort. »Die ärmeren Viertel von Haven wurden heimgesucht. Natürlich gab es keine Heiler. Selbst die Verwandten flohen vor ihnen. Ich tat, was ich konnte. Wenn ich sie nicht heilen konnte, habe ich zumindest ihren Schmerz gelindert. Mein Meister mißbilligte das.« Raistlin sprach mit gedämpfter Stimme, und Crysania erkannte, daß er ihre Gegenwart vergessen hatte. »Auch Caramon – er fürchtet um meine Gesundheit, sagte er. Pah!« Raistlin lachte ohne Heiterkeit. »Er fürchtete um sich selbst. Der Gedanke an Pest ängstigt ihn mehr als eine Goblinarmee. Aber wie hätte ich ihnen den Rücken zuwenden können? Sie hatten niemand, sie waren allein im Sterben.«
Ein verängstigtes Kreischen des Kenders unterbrach ihn. Tolpan starrte ihn verstört an. »Bitte, Raistlin! Bring mich nicht zur Dunklen Königin zurück...«
»Still, Tolpan«, sagte Crysania leise. »Beruhige dich. Ich bin Crysania. Du kennst mich doch! Ich werde dir helfen.«
Tolpan richtete seine weit aufgerissenen, fiebrigen Augen auf die Klerikerin und musterte sie einen Augenblick verständnislos. Dann klammerte er sich mit einem Schluchzen an sie. »Laß nicht zu, daß er mich zurück in die Hölle bringt, Crysania! Laß nicht zu, daß er dich mitnimmt! Es ist entsetzlich. Wir werden alle sterben, wie der arme Gnimsch. Die Dunkle Königin hat es mir gesagt!«
»Er phantasiert«, murmelte Crysania und versuchte, sich von Tolpans klammernden Händen zu lösen und ihn wieder hinzulegen. »Welch seltsame Wahnideen! Ist das normal bei Pestopfern?«
»Ja«, erwiderte Raistlin. Er musterte Tolpan aufmerksam und kniete sich dann an seine Seite. »Manchmal ist es am besten, sie aufzumuntern. Es beruhigt ihn vielleicht. Tolpan...« Er legte seine Hand auf die Brust des Kenders.
Tolpan brach auf dem Bett zusammen. Er schrak vor dem Magier zurück, erbebte und starrte ihn entsetzt an. »Ich werde gut sein, Raistlin«, wimmerte er. »Verletz mich nicht, nicht wie den armen Gnimsch. Blitz, Blitz!«
»Tolpan«, sagte Raistlin mit fester Stimme.
In ihr lag ein Hauch von Zorn und Verärgerung, der Crysania veranlaßte, ihn tadelnd anzusehen. Aber als sie lediglich den Ausdruck kühler Sorge auf seinem Gesicht sah, glaubte sie sich verhört zu haben. Sie schloß die Augen, berührte das Medaillon von Paladin und begann ein Heilgebet zu murmeln.
»Ich werde dich nicht verletzen, Tolpan. Lieg still.« Als Raistlin sah, daß Crysania ins Gebet vertieft war, zischte er: »Sag es mir, Tolpan. Sag mir, was die Dunkle Königin gesagt hat.«