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Raistlin hielt inne. Er hatte nicht beabsichtigt, das Portal so schnell zu durchschreiten. Er hätte gern noch ein wenig Zeit gehabt. Die Ankunft des Kenders bedeutete, daß die Zeit verändert werden konnte. Der Tod des Gnoms stellte sicher, daß von dem magischen Gerat keine Störung ausgehen würde – die Störung, die den Tod von Fistandantilus herbeigeführt hatte.

Die Zeit war gekommen.

Raistlin schenkte dem Portal einen letzten sehnsüchtigen Blick. Dann verbeugte er sich vor seiner Königin, wandte sich um und schritt zielstrebig den Korridor entlang.

Crysania kniete in ihrem Zimmer und betete.

Sie hatte wieder ins Bett gehen wollen, als sie von dem Kender zurückgekehrt war, aber eine seltsame Vorahnung erfüllte sie. Der Schlaf wollte nicht kommen. Sie war munter, hellwach, wie sie es noch nie in ihrem ganzen Leben gewesen war.

Der Himmel war hell erleuchtet – das kalte Feuer der Sterne brannte in der Dunkelheit; der silberne Mond Solinari glänzte wie ein Dolch. Sie konnte jeden Gegenstand in ihrem Zimmer mit unheimlicher Deutlichkeit erkennen. Alles schien sie zu beobachten, mit ihr zu warten.

Wie versteinert starrte sie auf die Sterne. Ihre Finger, die auf dem Stein ruhten, wurden eiskalt. Sie nahm ihr Zittern wahr und drehte sich um, sagte sich, daß es Zeit zum Schlafengehen sei. Aber in der Nacht herrschte immer noch dieses atemlose Warten.

Und dann hörte sie die Trompete. Rein und schneidend drang die Melodie in ihr Herz, sang ein Lob des Sieges, das ihr Blut in Wallung versetzte.

In diesem Augenblick öffnete sich die Tür ihres Zimmers.

Sie war nicht überrascht. Es war, als hätte sie seine Ankunft erwartet, und sie drehte sich um, um ihm ins Gesicht zu blicken. Raistlin stand in der Tür.

Sie hielt den Atem an. Sie hatte ihn in der Ekstase seiner Magie erlebt, sie hatte ihn Niederlage und Tod bekämpfen sehen. Jetzt sah sie ihn in der Fülle seiner Kraft, in der Herrlichkeit seiner finsteren Macht. Uralte Weisheit war in seinem Gesicht scharf herausgearbeitet.

»Die Zeit ist gekommen, Crysania«, sagte er und streckte ihr die Hände entgegen.

Sie ergriff sie. Ihre Finger waren eiskalt, seine Berührung brannte in ihr Fleisch. »Ich habe Angst«, flüsterte sie.

Er zog sie an sich. »Du brauchst keine Angst zu haben«, sagte er. »Dein Gott ist bei dir. Ich sehe ihn deutlich. Es ist meine Göttin, die Angst hat, Crysania. Ich spüre ihre Furcht! Wir beide, du und ich, werden die Grenzen der Zeit überschreiten und das Reich des Todes betreten. Gemeinsam werden wir die Dunkelheit bekämpfen. Gemeinsam werden wir Takhisis auf die Knie zwingen!« Er hielt sie an seine Brust gedrückt, seine Arme umfingen sie. Seine Lippen schlossen sich über den ihren.

Crysania ließ das magische Feuer, das die Körper der Toten verzehrte, ihren Körper verzehren, das kalte, ängstliche, weißgekleidete Gefäß, in dem sie sich in all den Jahren versteckt hatte.

Er wich zurück, fuhr mit der Hand über ihren Mund, hob ihr Kinn, so daß sie in seine Augen sehen konnte. Und dort, gespiegelt von seiner Seele, sah sie sich in einer flammenden Aura strahlenden, reinen weißen Lichtes glühen. Sie sah sich wunderschön, geliebt, verehrt. Sie sah sich die Wahrheit und die Gerechtigkeit in die Welt bringen, jedes Leid, jede Angst und jede Verzweiflung verbannen. »Gepriesen sei Paladin«, flüsterte sie.

»Gepriesen sei er«, erwiderte Raistlin. »Ich werde dir noch einen Zauber geben. So wie ich dich im Eichenwald von Shoikan beschützt habe, so sollst du beschützt sein, wenn wir durch das Portal gehen.«

Sie erbebte. Er preßte die Lippen auf ihre Stirn. Schmerz schoß durch ihren Körper. Sie zuckte zusammen, schrie aber nicht auf.

Er lächelte sie an. »Komm.«

15

»Die Nachschubwagen?« fragte Caramon in ruhigem Ton, dem Ton einer Person, die die Antwort bereits kennt.

»Keine Nachricht, Herr«, erwiderte Garik. Er vermied Caramons gelassenen Blick. »Aber... aber wir erwarten sie...«

»Sie werden nicht kommen. Sie wurden überfallen. Das weißt du genau.« Caramon lächelte müde.

»Aber wir haben endlich Wasser gefunden«, berichtete Garik und strengte sich an, fröhlich zu klingen. Er zog einen kleinen Kreis um eine winzige grüne Stelle auf der Karte, die vor ihm auf dem Tisch lag.

Caramon schnaubte. »Ein Loch, das bis Mittag leer sein wird. Sicher, es wird sich über Nacht wieder auffüllen, aber mein eigener Schweiß schmeckt besser. Dieses verdammte Zeug muß mit Salz versetzt worden sein.«

»Es ist aber trinkbar. Wir haben natürlich Wachen aufgestellt.«

»Nun gut«, sagte Caramon und fuhr sich seufzend durch sein lockiges Haar. Es war heiß in dem Zimmer. Ein übereifriger Diener hatte Holz in den Kamin geworfen, bevor Caramon, der an das Leben im Freien gewohnt war, ihn aufhalten konnte. Der große Mann hatte ein Fenster geöffnet, um die frische, klare Luft hereinzulassen, aber das Feuer in seinem Rücken briet ihn trotzdem ganz schön. »Wie viele Fahnenflüchtige haben wir heute?«

Garik räusperte sich. »Ungefähr hundert, Herr«, sagte er.

»Wohin sind sie? Nach Pax Tarkas?«

»Ja, Herr. Das vermuten wir.«

»Was gibt es noch?« fragte Caramon grimmig; seine Augen musterten Gariks Gesicht. »Du hältst doch irgend etwas zurück.«

Der junge Ritter wünschte sich flüchtig, daß gewisse Lügen nicht gegen den Ehrenkodex, den er heilig hielt, verstießen. So wie er sein Leben opfern würde, um diesem Mann Schmerz zu ersparen, so würde er auch lügen. Er zögerte, aber als er zu Caramon aufsah, erkannte er, daß es nicht notwendig war. Der General wußte es bereits.

Caramon nickte langsam. »Die Barbaren?«

Garik sah auf die Karten.

»Alle?«

»Ja, Herr.«

Caramon schloß die Augen. Seufzend hob er eine der kleinen Holzfiguren auf, die auf der Karte plaziert waren und die Aufstellung seiner Soldaten darstellten. Nachdenklich drehte er sie in seinen Fingern. Dann wandte er sich mit einem bitteren Fluch um und schleuderte die Figur ins Feuer. »Ich kann Schattennacht wohl nicht die Schuld geben. Es wird für ihn und seine Männer jetzt nicht einfach sein. Die Bergzwerge halten zweifellos die Bergpässe hinter uns besetzt – darum sind unsere Nachschubwagen auch nicht angekommen. Er muß sich seinen Weg nach Hause erkämpfen. Mögen die Götter bei ihm sein.« Er schwieg kurz, dann ballte er die Fäuste zusammen. »Verflucht sei mein Bruder!« knurrte er. »Verflucht sei er!«

Gariks Blick flog durch das Zimmer, als ob er befürchtete, daß sich die schwarzgekleidete Gestalt aus dem Schatten materialisierte.

»Nun«, sagte Caramon, richtete sich auf und studierte wieder die Karte, »das bringt uns auch nicht weiter. Unsere einzige Hoffnung liegt darin, daß wir den Rest unserer Armee in der Ebene aufstellen. Wir müssen die Zwerge zum Rückzug bewegen, sie zwingen, im Freien zu kämpfen, damit wir unsere Kavallerie einsetzen können. Wir werden niemals ins Gebirge kommen«, fügte er hinzu, »aber zumindest können wir uns mit der Hoffnung zurückziehen, Pax Tarkas mit unseren noch intakten Streitkräften zurückzugewinnen. Wenn wir erst einmal da sind, können wir es befestigen und...«

»General!« Einer der Wächter an der Tür betrat das Zimmer. »Entschuldige, Herr, aber ein Bote ist angekommen.«

»Schick ihn herein.«

Ein junger Mann betrat das Zimmer. Staubbedeckt, die Wangen rot von der Kälte, warf er dem lodernden Feuer einen sehnsüchtigen Blick zu, wollte aber zuerst seine Botschaft überbringen.

»Nein, geh weiter, wärm dich«, sagte Caramon und winkte den Mann zum Kamin hinüber.

»Danke, Herr«, sagte der Mann. Er trat zum Feuer. »Ich habe zu melden, daß die Hügelzwerge aufgebrochen sind.«

»Aufgebrochen?« wiederholte Caramon verblüfft und erhob sich. »Aufgebrochen wohin?«

»Sie marschieren auf Thorbadin zu.« Der Bote zögerte. »Und, Herr, die Ritter sind mit ihnen gegangen.«

»Das ist Wahnsinn!« Caramons Faust schlug auf den Tisch. »Mein Bruder.«