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»Ich soll ihn aufhalten«, sagte Dalamar. »Ich soll das Portal blockieren.« Seine Hand fuhr über ihre gewölbten Lippen.

»Welche Belohnung erhältst du für diese gefährliche Aufgabe?« Sie drückte sich enger an ihn, biß spielerisch in seine Fingerspitzen.

»Dann bin ich der Herr des Turms«, antwortete er. »Und das nächste Oberhaupt des Ordens der Schwarzen Roben. Warum?«

»Ich könnte dir helfen«, sagte Kitiara mit einem Seufzer und ließ ihre Finger über Dalamars Brust nach oben zu seinen Schultern gleiten.

Fast krampfhaft schlossen sich Dalamars Hände noch fester um sie, zogen sie noch näher.

»Ich könnte dir helfen«, wiederholte Kitiara. »Du kannst ihn nicht allein bekämpfen.«

»Ah, meine Liebe«, Dalamar musterte sie mit einem bitteren Lächeln, »wem würdest du helfen – mir oder ihm?«

»Nun«, antwortete Kitiara, »das hängt ganz davon ab, wer gewinnt!«

Dalamars Lächeln wurde breiter, seine Lippen fuhren über ihre Haut. Er flüsterte in ihr Ohr: »So verstehen wir uns, Fürstin.«

»Oh, wir verstehen uns«, sagte Kitiara und seufzte vor Lust. »Und jetzt genug von meinem Bruder! Ich würde gern etwas fragen. Etwas, was mich schon seit langem neugierig macht. Was tragt ihr Zauberkundigen eigentlich unter euren Roben, Dunkelelf?«

»Sehr wenig«, murmelte Dalamar. »Und was tragt ihr Kriegerinnen unter eurer Rüstung?«

»Nichts.«

Kitiara war verschwunden.

Dalamar lag dösend in seinem Bett. Sein Kopfkissen roch immer noch nach dem Duft ihres Haares, nach Parfüm und Stahl – eine seltsame, berauschende Mischung.

Der Dunkelelf streckte sich genüßlich aus. Sie würde ihn verraten, daran zweifelte er nicht. Und sie wußte, daß er sie vernichten würde, falls sie ihm bei der Erfüllung seines Ziels im Weg stände. Keiner empfand dieses Wissen als bitter. In der Tat verlieh es ihrem Liebesspiel eine zusätzliche seltsame Würze.

Dalamar schloß die Augen und ließ sich in den Schlaf treiben, als er durch das geöffnete Fenster das Geräusch von Drachenflügeln hörte, die sich zum Flug spreizten. Er stellte sich Kitiara vor, auf ihrem blauen Drachen sitzend, der Drachenhelm im Mondschein glitzernd...

»Dalamar!«

Der Dunkelelf zuckte zusammen und richtete sich auf. Er war hellwach. Furcht rann durch seinen Körper. Bei dieser vertrauten Stimme erzitternd, sah er sich im Zimmer um.

»Meister?« fragte er zögernd. Niemand war da. Er legte eine Hand an den Kopf. »Ein Traum«, murmelte er.

»Dalamar!«

Wieder die Stimme, dieses Mal unmißverständlich. Dalamar sah sich hilflos um, seine Furcht steigerte sich. Es sah Raistlin nicht ähnlich zu spielen. Der Erzmagier hatte den Zeitreisezauber geworfen. Er war in die Vergangenheit zurückgereist. Er war vor einer Woche aufgebrochen und würde erst in vielen Wochen zurückerwartet werden.

»Meister, ich höre dich«, sagte Dalamar und versuchte, mit fester Stimme zu sprechen. »Aber ich kann dich nicht sehen. Wo...«

»Ich bin, wie du vermutest, in der Vergangenheit, Lehrling. Ich spreche zu dir durch die Kugel der Drachen. Ich habe eine Aufgabe für dich. Hör mir sorgfältig zu und folge genau meinen Anweisungen. Handle sofort. Keine Zeit darf verlorengehen. Jede Sekunde ist wertvoll...«

Dalamar schloß die Augen, um sich besser konzentrieren zu können, und hörte deutlich die Stimme. Aber er hörte auch Gelächter, das durch das offene Fenster drang. Irgendein Fest zu Ehren des Frühlings hatte begonnen. Draußen an den Toren der Altstadt brannten Feuer, tauschten junge Leute im Licht des Tages Blumen und in der Dunkelheit Küsse aus. Die Luft war süß und schwer von Freude und Liebe und dem Geruch der blühenden Rosen.

Aber dann sprach Raistlin, und Dalamar achtete auf nichts anderes mehr. Er vergaß Kitiara. Er vergaß die Liebe. Er vergaß den Frühling.

3

Bertrem ging leise durch die Korridore der Großen Bibliothek von Palanthas. Er hatte das Frühlingsfest von den Fenstern der Großen Bibliothek aus beobachtet, und jetzt, da er zu seiner Arbeit zwischen den Tausenden von Büchern und Schriftrollen zurückkehrte, die in der Bibliothek verwahrt wurden, verweilte die Melodie eines Liedes noch in seinem Kopf.

»Ta-tum, ta-tum«, sang Bertrem leise, um kein Echo in den riesigen Korridoren der Großen Bibliothek hervorzurufen.

Da die Bibliothek bereits für die Nacht geschlossen und verriegelt war, war Bertrems Gesang das einzige Geräusch, das ein Echo hervorrufen konnte. Die meisten anderen Ästheten – Mitglieder des Ordens, deren Leben dem Studium und der Erhaltung der Großen Bibliothek gewidmet war – schliefen bereits oder waren in ihre eigenen Arbeiten vertieft.

»Ta-tum, ta-tum. Die Augen meiner Geliebten sind die Augen einer Hirschkuh. Ta-tum, ta-tum. Und ich bin der Jäger, der sich heranschleicht...« Bertrem gab sich sogar einem improvisierten Tanzschritt hin.

»Ta-tum, ta-tum. Ich hebe meinen Bogen und ziehe meinen Pfeil...« Bertrem hüpfte um eine Ecke. »Ich schieße den Pfeil ab. Er fliegt in das Herz meiner Geliebten und... Nanu! Wer bist denn du?«

Bertrems Herz sprang in seine Kehle, als er plötzlich einer hochgewachsenen Gestalt mit schwarzen Roben und schwarzer Kapuze mitten in der schwachbeleuchteten Marmorhalle gegenüberstand.

Die Gestalt antwortete nicht. Sie stand einfach da und starrte ihn schweigend an.

Bertrem raffte seinen Verstand und seinen Mut zusammen und funkelte den Eindringling an. »Was hast du hier zu suchen? Die Bibliothek ist geschlossen! Ja, selbst für die Schwarzen Roben.« Er runzelte die Stirn und winkte mit einer dicken Hand. »Verschwinde. Komm morgen wieder und nimm die Vordertür, so wie jeder andere auch.«

»Aber ich bin nicht jeder andere«, entgegnete die Gestalt. Bertrem zuckte zusammen; die Gestalt hatte zwar solamnisch geredet, aber er hatte einen elfischen Akzent herausgehört. »Und was Türen betrifft, sind sie für jene bestimmt, die nicht die Macht haben, durch Mauern zu gehen. Ich habe diese Macht, so wie ich auch die Macht zu anderen Dingen habe, von denen viele nicht so angenehm sind.«

Bertrem erschauerte. Diese glatte, kühle Elfenstimme sprach keine müßigen Drohungen aus. »Du bist ein Dunkelelf«, entgegnete Bertrem anschuldigend; sein Gehirn überschlug sich mit der Frage, was er tun sollte. Sollte er Alarm schlagen? Nach Hilfe schreien?

»Ja.« Die Gestalt entfernte ihre schwarze Kapuze, so daß das magische Licht, das in den von der Decke herabhängenden Kugeln gefangengehalten wurde – ein Geschenk der Zauberkundigen an Astinus während des Zeitalters der Träume —, auf sein Elfengesicht fiel. »Mein Name ist Dalamar. Ich diene...«

»Raistlin Majere!« keuchte Bertrem. Er sah sich unbehaglich um, in der Erwartung, daß der Erzmagier ihn unverzüglich anspringen werde.

Dalamar lächelte.

Aber in dem Lächeln lag eine kalte, zielstrebige Entschlossenheit, die Bertrem erschauern ließ. »Was... was willst du?« stammelte er.

»Du meinst, was mein Herr will«, berichtigte Dalamar. »Hab keine Angst. Ich suche hier lediglich Wissen, sonst nichts. Wenn du mir hilfst, werde ich genauso schnell und lautlos verschwinden, wie ich gekommen bin.«

Wenn ich ihm nicht helfe... Bertrem zitterte vom Kopf bis zu den Füßen. »Ich will tun, was in meiner Macht steht, Magus«, stotterte er, »aber du solltest wirklich mit...«

»... mir reden«, ertönte eine Stimme aus dem Schatten.

Bertrem fiel vor Erleichterung fast in Ohnmacht.

»Astinus!« stotterte er und zeigte auf Dalamar, »dies... er... ich habe ihn nicht hereingelassen... erschien... Raistlin Majere...«

»Ja, Bertrem«, sagte Astinus besänftigend. Er trat vor. »Ich weiß alles, was sich ereignet hat.« Dalamar hatte sich nicht bewegt, nicht einmal zu verstehen gegeben, daß er sich der Gegenwart Astinus’ bewußt war. »Kehre zu deinen Studien zurück, Bertrem«, fuhr Astinus fort; seine tiefe Baritonstimme dröhnte durch die stummen Korridore. »Ich werde mich um diese Angelegenheit kümmern.«

»Ja, Meister!« Bertrem wich dankbar in den Korridor zurück; seine Roben flatterten um ihn, sein Blick war auf den Dunkelelf gerichtet, der sich weder gerührt noch gesprochen hatte.