»Guter Mann«, wandte er sich an einen Arbeiter, der an ihm vorbeiging, »wo finde ich das Töpferviertel?« Seine Schwester Guiamona hatte einen Töpfer geheiratet.
»Geh diese Straße entlang«, antwortete ihm der Mann in Eile, »bis du zum nächsten Platz kommst, der Plaza de Sant Jaume. Dort siehst du einen Brunnen. Halte dich rechts und geh weiter bis zur neuen Stadtmauer am Portal de la Boquería. Aber dort gehst du nicht ins Raval, sondern immer an der Mauer entlang in Richtung Meer bis zum nächsten Stadttor, dem Portal de Trentaclaus. Dort ist das Töpferviertel.«
Bernat versuchte vergeblich, sich all diese Namen zu merken, aber als er noch einmal nachfragen wollte, war der Mann bereits verschwunden.
»Geh diese Straße entlang bis zur Plaza de Sant Jaume«, sagte er zu Arnau. »Daran erinnere ich mich noch. Auf dem Platz biegen wir nach rechts ab, daran erinnern wir uns auch noch, nicht wahr, mein Sohn?«
Arnau hörte auf zu weinen, sobald er die Stimme seines Vaters hörte.
»Und jetzt?«, fragte Bernat laut. Sie standen auf einem anderen Platz, der Plaza de Sant Miquel. »Dieser Mann hat nur von einem Platz gesprochen. Aber wir können nicht falsch gegangen sein.«
Bernat versuchte einige Leute zu fragen, doch niemand blieb stehen.
»Alle haben es eilig«, sagte er zu Arnau, als er einen Mann vor – ja, vor was? einer Burg? – stehen sah. »Der da scheint keine Eile zu haben. Vielleicht … Guter Mann«, rief er ihm zu, während er an seinem schwarzen Umhang zupfte.
Selbst Arnau, der sich an seine Brust klammerte, zuckte zusammen, als der Mann sich umdrehte, so sehr erschrak Bernat.
Der alte Jude schüttelte nachsichtig den Kopf. »Sprich«, sagte er zu ihm.
Bernat konnte den Blick nicht von dem gelben Zeichen wenden, das auf der Brust des alten Mannes prangte. Dann warf er einen Blick in das, was er für eine befestigte Burg gehalten hatte. Alle, die dort ein und aus gingen, waren Juden! Alle trugen dieses Zeichen. Ob es erlaubt war, mit ihnen zu sprechen?
»Willst du etwas?«, fragte der Alte noch einmal.
»Wie … wie komme ich ins Töpferviertel?«
»Folge dieser Straße«, wies ihm der alte Mann die Richtung, »dann kommst du zum Portal de la Boquería. Folge der Mauer in Richtung Meer, und am nächsten Stadttor ist das Viertel, nach dem du suchst.«
Bernat hatte gehört, dass man keine fleischlichen Beziehungen mit Juden unterhalten dürfe. Deswegen zwang die Kirche sie, dieses Zeichen zu tragen, damit niemand behaupten konnte, er habe nicht gewusst, dass es sich um einen Juden handelte. Die Priester sprachen stets voller Empörung über diese Leute, doch dieser alte Mann …
»Danke, guter Mann«, sagte Bernat und lächelte vorsichtig.
»Ich danke dir«, antwortete dieser, »doch in Zukunft gib acht, dass man dich nicht mit einem von uns sprechen sieht, geschweige denn mit einem Lächeln.«
Der alte Mann verzog schmerzlich den Mund.
Am Portal de la Boquería sah Bernat eine große Anzahl von Frauen, die Fleisch kauften, Hühnerklein und Ziegenfleisch. Er sah ein Weilchen zu, wie sie die Ware prüften und mit den Händlern feilschten. »Das ist das Fleisch, das unserem Herrn solche Probleme macht«, sagte er zu dem Kind. Dann lachte er bei dem Gedanken an Llorenç de Bellera. Wie oft hatte er gesehen, wie dieser versucht hatte, die Hirten und Viehzüchter einzuschüchtern, die ihr Fleisch in die gräfliche Stadt lieferten! Aber mehr hatte er nicht gewagt, als ihnen mit seinen Pferden und seinen Soldaten Angst einzujagen. Wer Vieh nach Barcelona lieferte, hatte Weiderecht im gesamten Prinzipat, denn es durften nur lebende Tiere in die Stadt gebracht werden.
Bernat machte einen Bogen um den Markt und ging hinunter zum Portal de Trentaclaus. Hier waren die Straßen schmaler, und als er zu dem Stadttor kam, bemerkte er, dass vor den Häusern Dutzende von Keramikgegenständen trockneten, Teller, Schüsseln, Töpfe, Krüge oder Ziegel.
»Ich suche das Haus von Grau Puig«, sagte er zu einem der Soldaten, die das Stadttor bewachten.
Die Puigs waren Nachbarn der Estanyols gewesen. Bernat erinnerte sich an Grau, den vierten von acht Söhnen, die von dem wenigen Land, das die Puigs besaßen, nicht satt wurden. Seine Mutter hatte die Leute sehr geschätzt, weil die Mutter der Puigs ihr bei der Geburt von Bernat geholfen hatte. Grau war der Klügste und Fleißigste der acht. Deshalb war Josep Puigs Wahl auf den damals Zehnjährigen gefallen, als ein Verwandter sich angeboten hatte, einen seiner Söhne als Töpferlehrling in Barcelona anzunehmen.
Doch da Josep Puig schon kaum seine Familie ernähren konnte, hätte er nur schwerlich die zwei Scheffel Weizen und die zehn Sueldos aufbringen können, die sein Verwandter für die fünf Lehrjahre forderte. Dazu kamen noch die zwei Sueldos, die Llorenç de Bellera dafür verlangte, dass er einen seiner Untertanen freigab, und die Kleidung, die Grau während der ersten beiden Jahre benötigte. Im Lehrvertrag verpflichtete sich der Meister lediglich, diesen in den letzten drei Jahren einzukleiden.
Deshalb war Puig in Begleitung seines Sohnes Grau, der etwas älter war als Bernat und seine Schwester, auf dem Hof der Estanyols vorstellig geworden. Der verrückte Estanyol hörte sich Josep Puigs Vorschlag aufmerksam an: Wenn er seiner Tochter die verlangten Dinge als Mitgift gab und diese Grau im Voraus aushändigte, würde sein Sohn mit achtzehn Jahren, wenn er Töpfergeselle war, die Ehe mit Guiamona eingehen. Der verrückte Estanyol sah Grau an. Manchmal, wenn seine Familie nicht mehr ein noch aus gewusst hatte, hatte der Junge ihnen bei der Feldarbeit geholfen. Er hatte nie um etwas gebeten, aber er war immer mit einem bisschen Gemüse oder Getreide nach Hause zurückgekehrt. Der verrückte Estanyol hatte Vertrauen in ihn, und so ging er auf den Vorschlag ein.
Nach fünf harten Lehrjahren war Grau Geselle geworden. Er tat, was sein Meister von ihm verlangte, und zufrieden mit seinen Leistungen, begann dieser ihm einen Lohn zu zahlen. Mit achtzehn Jahren löste Grau sein Versprechen ein und heiratete Guiamona.
»Junge«, hatte sein Vater damals zu Bernat gesagt, »ich habe beschlossen, Guiamona noch einmal eine Mitgift zu geben. Wir sind nur zu zweit und haben das beste, größte und fruchtbarste Land in der ganzen Gegend. Sie können das Geld gut gebrauchen.«
»Aber Vater«, war ihm Bernat ins Wort gefallen, »weshalb rechtfertigt Ihr Euch?«
»Weil deine Schwester ihre Mitgift schon bekommen hat und du mein Erbe bist. Es ist dein Geld.«
»Tut das, was Ihr für richtig haltet.«
Vier Jahre später, mit zweiundzwanzig, stellte sich Grau der öffentlichen Prüfung, die von den vier Zunftmeistern abgenommen wurde. Unter den aufmerksamen Blicken der Männer fertigte er seine ersten eigenen Stücke an, einen Krug, zwei Teller und eine Schüssel, und wurde von ihnen zum Meister ernannt. Dies ermöglichte es ihm, eine eigene Werkstatt in Barcelona zu eröffnen und natürlich das Meisterzeichen zu verwenden, das für eventuelle Reklamationen in jede Keramik geprägt werden musste, die seine Werkstatt verließ. Grau wählte in Anlehnung an seinen Nachnamen einen stilisierten Berg.
Grau und Guiamona, die ein Kind erwartete, bezogen ein kleines eingeschossiges Häuschen im Töpferviertel, das auf königliche Anordnung im äußersten Westen der Stadt lag, zwischen der von König Jaime I. errichteten Stadtmauer und dem alten Festungsring der Stadt. Sie kauften das Haus von Guiamonas Mitgift, die sie für einen solchen Zweck zurückgelegt hatten.
In diesem Haus, in dem sich die Werkstatt im Wohnraum befand und der Brennofen in der Schlafkammer stand, begann Grau zu einem Zeitpunkt mit seinem Gewerbe, als sich der Handel in Katalonien im Aufschwung befand. Von den Handwerkern wurde verlangt, sich zu spezialisieren, was viele von ihnen, die in der Tradition verhaftet waren, verweigerten.