Выбрать главу

»Arnau Estanyol wurde lediglich vorläufig vom Bürgerheer befreit.«

Guillem betonte das ›vorläufig‹. Arnau konnte jederzeit wieder von der Inquisition belangt werden. Der Augenblick war gekommen. In den Stunden des Wartens hatte er immer wieder darüber nachgedacht, während er die Schwerter der Inquisitionsbeamten betrachtete. Er durfte Nicolaus Intelligenz nicht unterschätzen. Die Inquisition hatte keine Handhabe gegen einen Mauren – es sei denn, Nicolau konnte beweisen, dass er die Inquisition direkt angegriffen hatte. Er durfte einem Inquisitor auf keinen Fall einen Handel anbieten. Der Vorschlag musste von Eimeric ausgehen. Ein Ungläubiger durfte nicht versuchen, das Sanctum Officium zu bestechen.

Nicolaus Blick ermunterte Guillem fortzufahren. Du kriegst mich nicht, dachte er.

»Vielleicht habt Ihr recht«, sagte er. »In der Tat gibt es keinen logischen Grund, eine solche Geldsumme zu bieten, nachdem Arnau befreit wurde.« Die Augen des Inquisitors verengten sich zu schmalen Schlitzen. »Ich verstehe nicht, weshalb man mich hierhergeschickt hat; mir wurde gesagt, Ihr würdet verstehen, doch ich teile Eure triftige Ansicht. Ich bedaure, Eure Zeit verschwendet zu haben.«

Guillem wartete, dass Nicolau eine Entscheidung traf. Als der Inquisitor sich aufrichtete und ihn ansah, wusste Guillem, dass er gewonnen hatte.

»Geht«, befahl er dem Juden. Als der Mann die Tür hinter sich geschlossen hatte, sprach Nicolau weiter, bot ihm jedoch immer noch keinen Stuhl an. »Euer Freund ist frei, das stimmt, doch der Prozess gegen ihn ist noch nicht abgeschlossen. Ich habe sein Geständnis. Auch in Freiheit könnte ich ihn wegen mehrfacher Ketzerei verurteilen. Die Inquisition darf keine Todesurteile vollstrecken. Das ist Sache des weltlichen Arms, des Königs. Eure Freunde müssen wissen, dass der Wille des Königs unbeständig ist. Vielleicht, eines Tages …«

»Ich bin überzeugt, dass sowohl Ihr als auch der König tun werdet, was Ihr tun müsst«, antwortete Guillem.

»Für den König gibt es keinen Zweifel daran, was er zu tun hat: die Ungläubigen bekämpfen und das Christentum in alle Winkel des Reiches tragen. Doch die Kirche … Oft ist es schwierig zu entscheiden, was für ein Volk am besten ist. Euer Freund Arnau Estanyol hat seine Schuld eingestanden und dieses Geständnis darf nicht ungestraft bleiben.« Nicolau hielt inne und sah Guillem forschend an. »Andererseits«, fuhr er angesichts des Schweigens seines Gesprächspartners fort, »sollten die Kirche und die Inquisition großzügig sein, wenn sie mit dieser Haltung andere Bedürfnisse erfüllen können, die letzten Endes zum Wohle aller sind. Würden deine Freunde, die dich hergeschickt haben, eine mildere Strafe akzeptieren?«

›Ich werde nicht mit dir verhandeln, Eimeric‹, dachte Guillem. ›Nur Allah – gelobt und gepriesen sei sein Name! – weiß, was du gewinnst, wenn du mich verhaftest. Nur ER weiß, ob uns hinter diesen Wänden Ohren belauschen. Der Vorschlag muss von dir kommen.‹

»Niemand wird jemals die Entscheidungen der Inquisition in Zweifel ziehen«, entgegnete er.

Nicolau rutschte auf seinem Stuhl hin und her.

»Du hast eine Privataudienz bei mir gefordert mit der Begründung, du könntest etwas haben, was mich interessiert. Du sagtest, Freunde von Arnau Estanyol könnten dafür sorgen, dass sein größter Geldgeber auf eine Summe von fünfzehntausend Libras verzichtet. Was willst du, Ungläubiger?«

»Ich weiß, was ich nicht will«, antwortete Guillem knapp.

»Nun denn«, sagte Nicolau und erhob sich. »Eine verschwindend geringe Strafe: Arnau hat während eines Jahres jeden Sonntag in der Kathedrale Buße zu tun, und deine Freunde sorgen dafür, dass der Gläubiger auf den Kredit verzichtet.«

»In Santa María.« Guillem war selbst überrascht, aber die Worte waren aus seinem tiefsten Inneren gekommen. Wo, wenn nicht in Santa María, sollte Arnau Buße tun?

57

Mar versuchte den Männern zu folgen, die Arnau wegbrachten, doch die Menschenmassen hinderten sie daran. Sie erinnerte sich an Aledis' letzte Worte: »Gib gut auf ihn acht«, hatte diese ihr durch den Lärm hindurch zugerufen. Dann hatte sie gelächelt.

Mar hatte zurückgeschaut, während die Menge sie mit sich davonriss.

»Gib gut auf ihn acht«, rief Aledis noch einmal, während Mar sich immer wieder umdrehte und denen auszuweichen versuchte, die ihr entgegenkamen. »Ich habe ihn vor vielen Jahren einmal geliebt.«

Plötzlich war sie verschwunden.

Mar wäre beinahe hingefallen und überrannt worden. »Frauen haben hier nichts verloren«, herrschte ein Mann sie an, der sie rücksichtslos angerempelt hatte.

Die Banner hatten bereits die Plaza de Sant Jaume am Ende der Calle del Bisbe erreicht. Zum ersten Mal an diesem Morgen versiegten Mars Tränen, und aus ihrer Kehle löste sich ein Schrei, der die Männer um sie herum verstummen ließ. »Arnau!« Sie schrie, rempelte diejenigen, die vor ihr liefen, an und kämpfte sich mit den Ellenbogen durch die Menge.

Das Bürgerheer versammelte sich auf der Plaza del Blat. Mar stand nicht weit von dem Gnadenbild der Jungfrau entfernt, das auf den Schultern der Bastaixos über dem Stein in der Mitte des Platzes tanzte. Doch wo war Arnau? Mar sah, wie einige Männer mit den Ratsherren der Stadt diskutierten. Zwischen ihnen … Ja, dort war er. Es waren nur ein paar Schritte, doch die Leute auf dem Platz standen dichtgedrängt. Sie zerkratzte den Arm eines Mannes, der sich weigerte, zur Seite zu treten. Der Mann zog einen Dolch, und für einen Moment fürchtete sie, er würde zustechen. Doch dann lachte er schallend und ließ sie vorbei. Gleich hinter ihm musste Arnau stehen, doch als sie an dem Mann vorbei war, waren da nur die Ratsherren und der Zunftmeister der Bastaixos.

»Wo ist Arnau?«, fragte sie keuchend und schwitzend.

Der Bastaix mit dem Schlüssel des Marienschreins um den Hals sah zu ihr herab. Arnaus Aufenthaltsort war geheim. Die Inquisition …

»Ich bin Mar Estanyol«, sprudelte es aus ihr hervor. »Ich bin die Tochter von Ramon dem Bastaix. Du musst ihn gekannt haben.«

Nein, er hatte ihn nicht gekannt, aber er hatte von ihm gehört und wusste, dass Arnau seine Tochter bei sich aufgenommen hatte.

»Lauf schnell zum Strand«, sagte er nur.

Mar überquerte den Platz und flog die Calle de la Mar hinunter. Dort gab es kein Gedränge mehr. Auf Höhe des Konsulats hatte sie Arnau eingeholt. Er wurde von sechs Bastaixos getragen, weil er noch immer geschwächt war.

Mar wollte zu ihnen stürzen, doch einer der Bastaixos stellte sich ihr in den Weg. Guillems Anweisungen waren unmissverständlich gewesen: Niemand sollte Arnaus Aufenthaltsort kennen.

»Lass mich los!«, schrie Mar und strampelte mit den Füßen in der Luft.

Der Bastaix hatte sie um die Taille gefasst und versuchte, ihr nicht wehzutun. Sie wog nicht einmal halb so viel wie die Steine und Lasten, die er jeden Tag trug.

»Arnau! Arnau!«

Wie oft hatte er davon geträumt, diese Stimme zu hören? Als er die Augen öffnete, sah er, wie er von einigen Männern davongetragen wurde, deren Gesichter er kaum erkennen konnte. Sie brachten ihn irgendwohin, hastig, schweigend. Was ging hier vor sich? Wo war er? »Arnau!« Ja, es war die Stimme des Mädchens, das er damals auf dem Hof von Felip de Ponts verraten hatte.

»Arnau!« Er war am Strand. Die Erinnerungen verschmolzen mit dem Rauschen der Wellen und der salzigen Brise. Was machte er am Strand?

»Arnau!«

Die Stimme kam von weit weg.

Die Bastaixos wateten durch das Wasser zu einem Boot, das Arnau zu der Felucke bringen sollte, die Guillem angemietet hatte und die draußen im Hafen wartete. Das Meerwasser spritzte an Arnau hoch.