»Arnau!«
»Wartet«, stammelte er und versuchte sich aufzurichten. »Diese Stimme … Wer ist das?«
»Eine Frau«, antwortete einer der Männer. »Sie wird keine Probleme machen. Wir müssen uns beeilen …«
Arnau stand neben dem Boot, gestützt von den Bastaixos, und blickte zum Strand zurück. »Mar wartet auf dich.« Die Erinnerung an Guillems Worte brachte alles um ihn herum zum Schweigen. Guillem, Nicolau, die Inquisition, der Kerker – alles stürzte wie in einem Strudel auf ihn ein.
»Meine Güte!«, rief er. »Bringt sie her, ich flehe euch an!«
Einer der Bastaixos watete rasch zu der Stelle, wo Mar noch immer festgehalten wurde.
Arnau sah sie auf sich zulaufen.
Die Bastaixos beobachteten sie ebenfalls, bis Arnau sich von ihnen losriss. Er sah aus, als könnte ihn die kleinste Welle davonspülen.
Das Mädchen blieb vor Arnau stehen, der mit hängenden Armen dastand. Eine Träne rollte über seine Wange. Mar trat zu ihm und küsste sie weg.
Sie wechselten kein Wort, während Mar den Bastaixos half, ihn in das Boot zu heben.
Eine direkte Auseinandersetzung mit dem König würde ihn nicht weiterbringen.
Seit Guillem gegangen war, lief Nicolau in seinem Arbeitszimmer auf und ab. Wenn Arnau kein Geld mehr besaß, würde es ihm nichts nützen, ihn zu verurteilen. Der Papst würde ihn niemals von dem Versprechen entbinden, das er ihm gegeben hatte. Der Ungläubige hatte ihn am Wickel. Wenn er die Erwartungen des Papstes erfüllen wollte …
Als es an der Tür klopfte, hielt er kurz inne, doch nach einem flüchtigen Blick auf die Tür setzte Nicolau seine Wanderung fort.
Ja, eine geringere Strafe würde seinen Ruf als Inquisitor retten, eine Konfrontation mit dem König vermeiden und ihm genügend Geld einbringen, um …
Es klopfte wieder.
Nicolau warf erneut einen Blick zur Tür.
Er hätte diesen Estanyol nur zu gerne auf den Scheiterhaufen gebracht. Und seine Mutter? Was war aus der alten Frau geworden? Bestimmt hatte sie die allgemeine Verwirrung genutzt, um sich davonzustehlen.
Wieder hallte das Klopfen durch den Raum. Nicolau, der in der Nähe der Tür stand, riss diese ungestüm auf.
»Was gibt es?«
Jaume de Bellera stand mit geballter Faust da und wollte soeben ein weiteres Mal anklopfen.
»Was wollt Ihr?«, fragte der Inquisitor. Dann sah er den Soldaten, der im Vorraum Wache halten sollte und nun, von Genis Puigs Schwert bedroht, in einer Ecke kauerte. »Wie könnt Ihr es wagen, einen Soldaten der Inquisition zu bedrohen?«, wetterte er.
Genis senkte das Schwert und sah seinen Begleiter an.
»Wir warten schon lange«, antwortete der Herr von Navarcles.
»Ich habe doch gesagt, dass ich niemanden sehen will«, sagte Nicolau zu dem Soldaten, der nun von Genis' bedrohlichen Schwert befreit war.
Der Inquisitor wollte die Tür zuschlagen, doch Jaume de Bellera hinderte ihn daran.
»Ich bin ein katalanischer Baron«, sagte er, jedes Wort betonend, »und ich verdiene den Respekt, der meiner Position zusteht.«
Genis nickte zu den Worten seines Freundes und stellte sich mit gezücktem Schwert erneut dem Soldaten in den Weg, der dem Inquisitor zu Hilfe kommen wollte.
Nicolau sah dem Herrn von Bellera in die Augen. Er konnte um Hilfe rufen – die übrigen Soldaten wären gleich zur Stelle, doch diese zusammengekniffenen Augen … Wer wusste, wozu zwei Männer fähig waren, die es gewohnt waren, ihren Willen durchzusetzen? Er seufzte. Dies schien nicht der beste Tag seines Lebens zu sein.
»Nun denn, Herr Baron«, lenkte er ein, »was wollt Ihr?«
»Ihr habt versprochen, Arnau Estanyol zu verurteilen. Stattdessen habt Ihr ihn entkommen lassen.«
»Ich kann mich nicht entsinnen, etwas versprochen zu haben. Und dass ich ihn hätte entkommen lassen … Euer König, dessen Adelstitel Ihr für Euch beansprucht, hat der Kirche seine Hilfe verweigert. Bittet ihn um Erklärungen.«
Jaume Bellera stammelte unverständlich vor sich hin und fuchtelte mit den Händen.
»Ihr könnt ihn immer noch verurteilen«, sagte er schließlich.
»Er ist entkommen«, erklärte Nicolau.
»Wir werden ihn Euch bringen!«, rief Genis Puig, der weiterhin den Soldaten in Schach hielt, ihnen jedoch aufmerksam zuhörte.
Nicolau sah ihn an. Weshalb sollte er ihnen Erklärungen geben?
»Wir haben Euch reichlich Beweise für seine Verfehlungen geliefert«, bemerkte Jaume de Bellera. »Die Inquisition kann nicht …«
»Welche Beweise?«, blaffte Eimeric. Diese beiden Trottel boten ihm die Gelegenheit, seine Ehre zu retten. »Welche Beweise? Die Aussage eines Besessenen wie Euch, Herr Baron?« Jaume de Bellera wollte etwas entgegnen, doch Nicolau brachte ihn mit einer brüsken Handbewegung zum Schweigen. »Ich habe nach diesen Dokumenten gesucht, die der Bischof angeblich nach Eurer Geburt ausstellte.« Die beiden maßen sich mit Blicken. »Ich habe keine gefunden, wisst Ihr das?«
Genis Puig ließ die Hand mit dem Schwert sinken.
»Sie müssen sich in den Archiven des Bischofs befinden«, verteidigte sich Jaume de Bellera.
Nicolau schüttelte nur den Kopf.
»Und Ihr, Herr Edelmann?«, brüllte Nicolau, nun an Genis gewandt. »Was habt Ihr gegen Arnau Estanyol?« Der Inquisitor sah Genis die Angst dessen an, der etwas zu verbergen hatte. Das war seine Arbeit. »Wisst Ihr, dass es ein Vergehen ist, die Inquisition zu belügen?« Genis sah Hilfe suchend zu Jaume de Bellera, doch der starrte auf irgendeinen Punkt im Arbeitszimmer des Inquisitors. Er war auf sich allein gestellt. »Was habt Ihr mir zu sagen?« Genis wand sich und versuchte dem Blick des Inquisitors auszuweichen. »Was hat Euch der Geldwechsler getan?«, ereiferte sich Nicolau. »Hat er Euch vielleicht in den Ruin getrieben?«
Genis reagierte. Es war nur eine Sekunde, in der er den Inquisitor ansah. Das war es. Was konnte ein Geldwechsler einem Edelmann anderes antun, als ihn zu ruinieren?
»Mich nicht«, antwortete Genis.
»Euch nicht? Euren Vater vielleicht?«
Genis sah zu Boden.
»Ihr habt versucht, Euch mittels einer Lüge der Inquisition zu bedienen! Ihr habt falsches Zeugnis abgelegt, um persönliche Rache zu üben!«
Die empörte Stimme des Inquisitors brachte Jaume de Bellera wieder zur Besinnung.
»Er hat seinen Vater verbrannt«, sagte Genis fast unhörbar.
Nicolau fuchtelte in der Luft herum. Was sollte er nun tun? Sie zu verhaften und ihnen den Prozess zu machen, würde nur eine Angelegenheit wieder aufleben lassen, die man besser so rasch wie möglich begrub.
»Ihr geht jetzt zum Schreiber und zieht Eure Aussagen zurück, andernfalls … Habt ihr verstanden?«, brüllte er. Die beiden nickten fügsam. »Die Inquisition kann niemanden aufgrund von Falschaussagen verurteilen. Und nun geht«, schloss er mit einer Geste zu dem Wachsoldaten.
»Du hast bei deiner Ehre Rache geschworen«, rief Genis Puig Jaume de Bellera in Erinnerung, als sie sich zur Tür wandten.
Nicolau hörte genau, was der Mann sagte. Und er hörte auch die Antwort.
»Kein Herr von Navarcles hat je seinen Schwur gebrochen«, beteuerte Jaume de Bellera.
Der Inquisitor kniff die Augen zusammen. Ihm reichte es. Er hatte einen Angeklagten freigelassen. Er hatte soeben zwei Zeugen angewiesen, ihre Aussagen zurückzuziehen. Er schacherte mit einem … mit einem Händler aus Pisa? Er wusste nicht einmal, mit wem er es zu tun hatte! Und wenn Jaume de Bellera sein Versprechen wahrmachte, bevor die Inquisition an das Vermögen kam, das Arnau noch besaß? Würde der Ungläubige sich an die Abmachung halten? Über diese Angelegenheit musste ein für alle Mal der Mantel des Schweigens gehüllt werden.
»Nun, diesmal wird der Herr von Navarcles seinen Schwur nicht halten«, brüllte er den beiden Männern hinterher.
Die beiden fuhren herum.
»Was sagt Ihr da?«, empörte sich Jaume de Bellera.
»Das Sanctum Officium kann nicht zulassen, dass zwei …« – er machte eine abschätzige Handbewegung –, »… dass zwei Laien ein gültiges Urteil in Frage stellen. Das ist göttliches Recht. Eine andere Rache gibt es nicht! Habt Ihr verstanden, Bellera?« Der Adlige zögerte. »Wenn Ihr Euren Schwur einlöst, werde ich Euch vor Gericht bringen, weil Ihr vom Teufel besessen seid. Habt Ihr mich jetzt verstanden?«