Als sie ankamen, waren die Gäste bereits gegangen. Nachdem man das Fehlen der Kinder entdeckt hatte, wollten sich Grau und die Sklaven gerade auf die Suche nach ihnen machen.
»Es war Arnau«, beschuldigte ihn Margarida, während Guiamona und die maurische Sklavin den Kleinen in ein heißes Bad setzten. »Er hat uns überredet, zum Strand zu gehen. Ich wollte nicht …« Das Mädchen unterstrich seine Lügen durch bittere Tränen, die beim Vater stets Wirkung zeigten.
Doch weder das heiße Bad noch die Decken noch die heiße Suppe brachten Guiamon wieder auf die Beine. Das Fieber stieg. Grau ließ nach seinem Arzt schicken, aber auch dessen Behandlung zeigte keine Wirkung. Das Fieber stieg weiter. Guiamon begann zu husten und sein Atem wurde zu einem mühsamen Keuchen.
»Mehr kann ich nicht für ihn tun«, resignierte Doktor Sebastià Font in der dritten Nacht, die er vorbeikam.
Guiamona schlug die Hände vor ihr blasses, eingefallenes Gesicht und brach in Tränen aus.
»Das kann nicht sein!«, brüllte Grau. »Es muss doch irgendein Mittel geben.«
»Mag sein, aber …« Der Arzt kannte Grau und seine Abneigungen genau, doch die Situation war verzweifelt. »Du müsstest Jafudà Bonsenyor rufen lassen.«
Grau schwieg.
»Hol ihn her«, bat Guiamona schluchzend.
Ein Jude, dachte Grau. Wer einen Juden schlägt, schlägt den Teufel, hatte man ihm in seiner Jugend beigebracht. Als junger Bursche war Grau mit den anderen Lehrlingen hinter den jüdischen Frauen hergelaufen, um ihre Krüge zu zerbrechen, wenn sie zu den öffentlichen Brunnen gingen, um Wasser zu schöpfen. Schließlich hatte der König auf Bitten der jüdischen Gemeinde von Barcelona diese Demütigungen verboten. Grau hasste die Juden. Sein ganzes Leben lang hatte er jene verfolgt oder angespuckt, die das Judenzeichen trugen. Sie waren Ketzer, sie hatten Jesus Christus getötet … Und nun sollte er einen von ihnen in sein Haus lassen?
»Hol ihn her!«, schrie Guiamona.
Das Geschrei hallte durchs ganze Viertel. Bernat und die anderen hörten es und kauerten sich auf ihren Strohsäcken zusammen. Seit drei Tagen hatte Bernat weder Arnau noch Habiba gesehen, aber Jaume hielt ihn über die Ereignisse auf dem Laufenden.
»Deinem Sohn geht es gut«, sagte er zu ihm, wenn sie niemand beobachtete.
Jafudà Bonsenyor eilte gleich herbei, als man ihn rief. Er trug einen schlichten schwarzen Umhang mit Kapuze und dem gelben Zeichen der Juden. Grau beobachtete ihn aus dem Esszimmer, wie er sich, gebückt und mit seinem langen grauen Bart, in Guiamonas Anwesenheit Sebastiàs Erklärungen anhörte. »Mach ihn gesund, Jude!«, sagte er stumm, als sich ihre Blicke begegneten. Jafudà Bonsenyor neigte den Kopf. Er war ein Gelehrter, der sein ganzes Leben dem Studium der Philosophie und der heiligen Schriften gewidmet hatte. Im Auftrag König Jaimes II. hatte er das Llibre de páranles de savis y filósofs verfasst. Aber er war auch Arzt, der bedeutendste Arzt der jüdischen Gemeinde. Doch als er Guiamon sah, schüttelte Jafudà Bonsenyor nur den Kopf.
Als Grau die Schreie seiner Frau hörte, stürzte er zur Treppe. Guiamona kam in Begleitung von Sebastià die Treppe hinunter, gefolgt von Jafudà.
»Du Jude!«, entfuhr es Grau, und er spuckte vor ihm aus.
Zwei Tage später starb Guiamon.
Gleich nach der Beerdigung des Jungen, als alle in Trauerkleidung nach Hause zurückkamen, winkte Grau Jaume zu sich und Guiamona.
»Ich möchte, dass du jetzt gleich Arnau mitnimmst und dafür sorgst, dass er nie wieder einen Fuß in dieses Haus setzt.«
Guiamona hörte schweigend zu.
Grau berichtete Jaume, was Margarida erzählt hatte: Arnau habe sie angestiftet. Seine beiden Kinder hätten diesen verbotenen Ausflug niemals aushecken können. Guiamona hörte seine Worte und seine Anschuldigungen, mit denen er ihr vorwarf, ihren Bruder und ihren Neffen bei sich aufgenommen zu haben. Und obwohl sie im Grunde ihres Herzens wusste, dass das Unglück nur durch ein Zusammentreffen unseliger Umstände geschehen war, hatte der Tod ihres Jüngsten ihr die Kraft geraubt, ihrem Mann zu widersprechen. Dass Margarida Arnau bezichtigte, machte es ihr nahezu unmöglich, dem Jungen gegenüberzutreten. Er war der Sohn ihres Bruders. Sie wünschte ihm nichts Böses, aber es war ihr lieber, ihn nicht mehr sehen zu müssen.
»Binde die Maurin an einen Deckenbalken in der Töpferei«, befahl Grau Jaume, bevor sich dieser auf die Suche nach Arnau machte, »und rufe das gesamte Personal zusammen, auch den Jungen.«
Der Gedanke war Grau bei der Beerdigung gekommen: Die Sklavin trug die Schuld. Sie hatte auf die Kinder aufpassen sollen. Während Guiamona weinte und der Priester seine Gebete aufsagte, hatte er die Augen zusammengekniffen und sich gefragt, wie er sie bestrafen sollte. Das Gesetz verbot ihm lediglich, sie zu töten oder zu verstümmeln, doch niemand konnte ihm einen Vorwurf daraus machen, wenn sie an den Folgen der Bestrafung starb. Grau hatte es noch nie mit einem so schweren Vergehen zu tun gehabt. Er dachte an die Foltern, von denen er gehört hatte: den Körper mit siedendem Tierfett übergießen … Ob Estranya genügend Fett in der Küche hatte? Sie in Fesseln legen oder in ein Verlies werfen – das war zu wenig. Sie prügeln, in Fußeisen legen … oder auspeitschen.
»Pass auf, wenn du sie benutzt«, hatte der Kapitän eines seiner Schiffe gesagt, nachdem er ihm das Geschenk gemacht hatte. »Mit einem einzigen Hieb kannst du einem Menschen die Haut abziehen.« Seit damals hatte er sie aufbewahrt: eine kostbare orientalische Peitsche aus geflochtenem Leder, dick, aber leicht und einfach zu handhaben. Sie endete in einer Reihe von Riemen, die mit scharfkantigen Metallstücken besetzt waren.
Irgendwann war der Priester verstummt, und mehrere Messdiener waren mit Weihrauchfässern um den Sarg herumgegangen. Guiamona hatte gehustet.
Nun war die Maurin mit den Händen an einen Deckenbalken gefesselt, sodass nur ihre Zehenspitzen den Boden berührten.
»Ich will nicht, dass mein Junge das mit ansieht«, sagte Bernat zu Jaume.
»Das ist nicht der richtige Moment, Bernat«, riet ihm Jaume. »Bring dich nicht in Schwierigkeiten …«
Bernat schüttelte erneut den Kopf.
»Du hast sehr hart gearbeitet, Bernat, bring deinen Jungen nicht in Schwierigkeiten.«
Noch in Trauerkleidung trat Grau in den Kreis, den die Sklaven, Lehrlinge und Gesellen um Habiba bildeten.
»Zieh sie aus«, befahl er Jaume.
Die Maurin versuchte die Beine anzuziehen, als sie merkte, dass er ihr Hemd zerriss. Ihr nackter, dunkler, schweißnasser Körper war den Blicken der unfreiwilligen Zuschauer ausgeliefert … und der Peitsche, die Grau auf dem Boden ausgebreitet hatte. Bernat packte Arnau, der zu schluchzen begonnen hatte, fest bei den Schultern.
Grau holte aus und ließ die Peitsche auf den nackten Torso niederfahren. Das Leder klatschte auf den Rücken und die metallbesetzten Riemen schlangen sich um den Körper und gruben sich in ihre Brüste. Ein feiner Blutstriemen erschien auf der dunklen Haut der Maurin, während an ihren Brüsten das rohe Fleisch hervortrat. Der Schmerz durchfuhr sie. Habiba warf den Kopf nach hinten und heulte auf. Arnau begann heftig zu zittern und flehte Grau an aufzuhören.
Grau holte erneut aus.
»Du solltest auf meine Kinder aufpassen!«
Das Klatschen des Leders zwang Bernat, seinen Sohn zu sich umzudrehen und seinen Kopf gegen seinen Bauch zu drücken. Die Sklavin schrie erneut auf. Arnaus Schreie wurden durch den Körper seines Vaters gedämpft. Grau peitschte die Maurin aus, bis ihr Rücken und ihre Schultern, ihre Brüste, ihr Hintern und ihre Beine eine einzige blutige Masse waren.
»Sag deinem Meister, dass ich gehe.«
Jaume presste die Lippen aufeinander. Für einen Moment war er versucht, Bernat zu umarmen. Doch sie wurden von einigen Lehrlingen beobachtet.