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Nachdem sie die Brotlaibe abgegeben hatten, verließen Estranya und Arnau das Töpferviertel und betraten durch die Stadtmauer das Zentrum Barcelonas. Am Anfang war Arnau der Sklavin problemlos gefolgt, während er über das Wogen ihrer dunklen Fleischmassen grinste.

»Was gibt es da zu grinsen?«, hatte ihn die Mulattin mehr als einmal gefragt.

Dann hatte Arnau in ihr rundes, plattes Gesicht gesehen und sich das Lachen verkniffen.

»Du willst lachen? Dann lach«, herrschte sie ihn auf der Plaza del Blat an, während sie ihm einen Sack Mehl aufbürdete. »Und, wo ist dein Grinsen jetzt hin?«, fragte sie ihn an der Bajada de la Llet, als sie ihm die Milch zu tragen gab, die seine Cousins trinken würden. Sie wiederholte ihre Frage noch einmal auf der Plazoleta de les Cols, wo sie Kohl, Hülsenfrüchte oder Gemüse einkauften, und auf der Plaza de l'Oli, wo sie Öl, Wild oder Geflügel erstanden.

Ab da trottete Arnau mit gesenktem Kopf quer durch Barcelona hinter der Sklavin her. An den Fastentagen, die mit hundertsechzig Tagen fast die Hälfte des Jahres ausmachten, wogten die Fleischberge der Mulattin zum Strand hinunter, unweit der Kirche Santa María. Dort kämpfte Estranya auf einem der beiden Fischmärkte der Stadt – dem alten und dem neuen – darum, die besten Delphine, Thunfische, Störe, Makrelen, Zackenbarsche oder Adlerfische zu ergattern.

»Jetzt werden wir deinen Fisch kaufen«, sagte sie lächelnd, wenn sie das Gewünschte bekommen hatte.

Dann gingen sie zum Hinterausgang des Fischmarktes und die Mulattin kaufte die Abfälle. Auch dort standen auf beiden Märkten viele Leute an, doch diesmal stritt sie sich mit niemandem.

Trotzdem waren Arnau die Fastentage lieber als jene, an denen Estranya Fleisch zu besorgen hatte, denn um die Fischabfälle zu kaufen, waren es nur zwei Schritte bis zum Hinterausgang. Für Schlachtabfälle hingegen musste Arnau durch halb Barcelona laufen, bevor er sich, mit den Einkäufen der Mulattin beladen, auf den Heimweg machen konnte.

In den Fleischereien neben den Schlachthäusern der Stadt kauften sie das Fleisch für Grau und seine Familie. Wie alles Fleisch, das innerhalb der Stadt angeboten wurde, war es erstklassige Ware. Es war verboten, tote Tiere in die Stadt zu bringen. Das Fleisch, das in der gräflichen Stadt verkauft wurde, stammte ausnahmslos von lebenden Tieren, die erst in der Stadt geschlachtet wurden.

Um die Schlachtabfälle zu kaufen, die den Bediensteten und den Sklaven vorgesetzt wurden, musste man die Stadt über die Carrer de la Portaferrisa verlassen, bis man zu dem Markt kam, auf dem verendete Tiere und allerlei Fleisch unbekannter Herkunft feilgeboten wurden. Estranya lächelte Arnau an, wenn sie dieses Fleisch kaufte. Dann lud sie ihm das Bündel auf, und nachdem sie noch einmal am Backhaus vorbeigegangen waren, um das Brot abzuholen, kehrten sie in Graus Haus zurück, Estranya mit ihren wogenden Hüften, Arnau mit hängender Zunge.

Eines Morgens, als Estranya und Arnau gerade ihre Besorgungen bei dem großen Schlachthof an der Plaza del Blat machten, begannen die Glocken der Kirche Sant Jaume zu läuten. Es war weder Sonntag noch ein Feiertag. Estranya blieb wie angewurzelt stehen, groß und mächtig, wie sie war. Jemand rief etwas über den Platz. Arnau konnte nicht verstehen, was er sagte, doch viele andere stimmten in sein Geschrei ein, und die Menschen begannen, in alle Himmelsrichtungen davonzustieben. Der Junge sah Estranya an, eine Frage auf den Lippen, die jedoch ungestellt blieb. Er legte die Bündel ab. Die Getreidehändler schlugen hastig ihre Stände ab. Die Leute rannten immer noch schreiend hin und her und die Glocken von Sant Jaume hörten gar nicht mehr auf zu läuten. Arnau wollte zur Plaza de Sant Jaume laufen, aber … Läuteten da nicht auch die Glocken von Santa Clara? Er spitzte die Ohren, und in diesem Augenblick begannen auch die Glocken von Sant Pere, von Framenors und von Sant Just zu läuten. Alle Glocken der Stadt! Wie betäubt blieb Arnau mit offenem Mund stehen, während er die Menschen kopflos hin und her laufen sah.

Plötzlich sah er Joanets Gesicht vor sich. Sein Freund konnte nicht stillstehen vor Aufregung.

»Via fora ! Via fora!«, schrie er.

»Was?«, fragte Arnau.

»Via fora!«, brüllte ihm Joanet ins Ohr.

»Was heißt das?«

Joanet bedeutete ihm zu schweigen und zeigte auf das alte Hauptportal des stadtrichterlichen Palasts.

Arnau sah genau in dem Moment zu dem Portal hinüber, als ein Amtsdiener des Stadtrichters auf die Straße trat. Er war zum Kampf gerüstet, trug einen silbern schimmernden Harnisch und ein großes Schwert am Gürtel. In seiner Rechten hielt er eine vergoldete Fahnenstange mit dem Banner von Sant Jordi, einem roten Kreuz auf weißem Grund. Hinter ihm erschien, ebenfalls zum Kampf gerüstet, ein weiterer Mann, der das Banner der Stadt trug. Die beiden Männer gingen zur Mitte des Platzes bis zu dem Stein, der die Stadt in Viertel aufteilte. Dort angekommen, erhoben sie die Banner von Sant Jordi und Barcelona und riefen wie aus einem Munde: »Via fora! Via fora!«

Die Glocken läuteten noch immer und das ›Via fora‹ wurde von den Bürgern durch alle Straßen der Stadt getragen.

Joanet, der das Schauspiel mit ehrfürchtigem Schweigen verfolgt hatte, brach in ein ohrenbetäubendes Geschrei aus.

Endlich schien Estranya zu reagieren und zog Arnau weiter. Doch der Junge riss sich von der Hand der Mulattin los, wie gebannt von den beiden Männern, die in ihren schimmernden Harnischen und mit ihren Schwertern reglos mitten auf dem Platz standen und die bunten Banner hochhielten.

»Wir gehen, Arnau«, befahl ihm Estranya.

»Nein«, widersetzte sich dieser, angestachelt von Joanet.

»Los, komm schon. Das hier geht uns nichts an.«

»Was sagst du da, Sklavin?« Die Worte kamen von einer Frau, die genauso gebannt wie die Kinder gemeinsam mit anderen Frauen die Ereignisse beobachtete und den Wortwechsel zwischen Arnau und der Mulattin mit angehört hatte. »Ist der Junge ein Sklave?« Estranya schüttelte den Kopf. »Er ist also ein Bürger der Stadt?« Arnau nickte. »Wie kannst du es dann wagen, zu behaupten, das ›Via fora‹ gehe den Jungen nichts an?«

Estranya zögerte.

»Wer bist du, Sklavin«, fragte sie eine andere Frau, »dass du dem Jungen die Ehre verweigerst, die Rechte Barcelonas zu verteidigen?«

Estranya senkte den Kopf. Was würde ihr Herr sagen, wenn er davon erfuhr? Er hielt so große Stücke auf die Ehre der Stadt. Die Glocken läuteten noch immer. Joanet war zu den Frauen getreten und forderte Arnau auf, sich ihm anzuschließen.

»Frauen dürfen nicht mit dem Bürgerheer ziehen«, rief die erste Frau Estranya in Erinnerung.

»Und Sklaven erst recht nicht«, setzte eine andere hinzu.

»Wer, glaubst du, soll sich um unsere Männer kümmern, wenn nicht solche Jungen wie diese beiden?«

Estranya wagte es nicht, den Blick zu heben.

»Wer soll ihnen das Essen kochen, Botengänge erledigen, ihnen die Stiefel putzen oder die Armbrüste säubern?«

»Geh dorthin, wo du hingehörst«, rieten sie ihr. »Sklaven haben hier nichts verloren.«

Estranya nahm die Taschen, die bislang Arnau getragen hatte, und machte sich davon. Joanet lächelte erfreut und sah die Frauen bewundernd an. Arnau stand immer noch an derselben Stelle.

»Lauft schon, Jungs«, forderten die Frauen sie auf, »und kümmert euch um unsere Männer.«

»Und sag meinem Vater Bescheid!«, rief Arnau Estranya hinterher, die erst drei oder vier Meter weit gekommen war.

Joanet merkte, dass Arnau der Sklavin, die sich mühsam vorwärtsschleppte, unverwandt hinterhersah, und erriet seine Zweifel.