Pater Albert drückte den Jungen an sich. Joanet sah ihn an und lächelte.
Das Zimmer war einfach, aber sauber. Die ganze Einrichtung bestand aus zwei Matratzen auf dem Boden, und im Hintergrund rauschte das Meer. Arnau spitzte die Ohren, um das Hämmern der Handwerker von Santa María zu hören, die genau hinter ihnen lag. Sie aßen von der Suppe, die Peres Frau gekocht hatte. Arnau betrachtete den Teller, dann sah er auf und lächelte seinen Vater an. Wie weit war nun Estranyas Fraß entfernt! Die drei aßen mit Appetit, beobachtet von der alten Frau, die jederzeit bereit war, ihre Schüsseln erneut zu füllen.
»Ab ins Bett«, verkündete Bernat, als er satt war. »Morgen wartet die Arbeit.«
Joanet zögerte. Er sah Bernat an, und als alle vom Tisch aufgestanden waren, ging er zur Tür.
»Das ist keine Uhrzeit, um noch nach draußen zu gehen, mein Sohn«, sagte Bernat zu ihm, sodass die beiden alten Leute es hören konnten.
13
»Das ist der Bruder meiner Mutter mit seinem Sohn«, erklärte Margarida ihrer Stiefmutter, als diese sich wunderte, dass Grau zwei weitere Leute für nur sieben Pferde eingestellt hatte.
Grau hatte ihr gesagt, dass er nichts mit den Pferden zu tun haben wolle, und tatsächlich ging er nicht einmal hinunter, um die herrlichen Stallungen im Erdgeschoss des Palastes in Augenschein zu nehmen. Sie kümmerte sich um alles, wählte die Tiere aus und brachte ihren besten Stallmeister mit, Jesús, der ihr außerdem riet, einen erfahrenen Stallburschen einzustellen: Tomás.
Aber vier Leute für sieben Pferde waren zu viel, selbst für die Gewohnheiten der Baronin. Das brachte sie bei ihrem ersten Besuch in den Stallungen zur Sprache, nachdem die Estanyols eingestellt worden waren.
Isabel bat Margarida, doch mehr zu erzählen.
»Sie waren Bauern, Leibeigene.«
Isabel sagte nichts, doch in ihr keimte ein Verdacht auf. Das Mädchen fuhr fort: »Der Junge, Arnau, war schuld am Tod meines kleinen Bruders Guiamon. Ich hasse sie! Ich weiß nicht, warum mein Vater sie eingestellt hat.«
»Wir werden es herausfinden«, murmelte die Baronin, den Blick auf Bernats Rücken geheftet, der gerade damit beschäftigt war, eines der Pferde zu striegeln.
Doch an diesem Abend ließ Grau nicht mit sich reden.
»Ich hielt es für angebracht«, antwortete er knapp, nachdem er Isabels Verdacht bestätigt hatte, dass die beiden Landflüchtige waren.
»Wenn mein Vater davon erfährt …«
»Aber er wird es nicht erfahren, nicht wahr, Isabel?«
Grau sah seine Frau an. Sie war bereits zum Abendessen angekleidet, eine der neuen Gewohnheiten, die sie in Graus Familie gebracht hatte. Sie war gerade zwanzig geworden und außergewöhnlich dünn, genau wie Grau. Ihr fehlten die Reize und die sinnlichen Kurven, mit denen ihn Guiamona seinerzeit empfangen hatte, doch sie war eine Adlige, und auch ihr Charakter sollte von Adel sein, dachte Grau.
»Du würdest doch nicht wollen, dass dein Vater erfährt, dass du mit zwei Landflüchtigen unter einem Dach lebst.«
Die Baronin warf ihm einen wütenden Blick zu und verließ den Raum.
Trotz der Abneigung der Baronin und ihrer Stiefkinder stellte Bernat sein Geschick im Umgang mit den Tieren unter Beweis. Er wusste, wie man mit ihnen umgehen musste, wie man sie fütterte, ihre Hufe auskratzte, wie man sie kurierte, wenn es nötig war, und wie man sich in ihrer Nähe bewegte. Wenn es ihm irgendwo an Erfahrung mangelte, dann darin, wie man sie aufputzte.
»Sie wollen, dass sie glänzen«, sagte er eines Tages zu Arnau, als sie auf dem Heimweg waren, »ohne ein einziges Staubkörnchen. Man muss sie immer und immer wieder bürsten, um den Sand aus dem Fell zu entfernen, und sie dann striegeln, bis sie glänzen.«
»Und die Mähnen und Schweife?«
»Die werden gestutzt, geflochten und geschmückt.«
»Wozu brauchen sie so viel Putz an den Pferden?«
Es war Arnau verboten, sich den Tieren zu nähern. Er bewunderte sie in den Ställen, sah zu, wie sie auf die Pflege seines Vaters ansprachen, und genoss es, wenn dieser ihm erlaubte, sie zu streicheln, wenn sie alleine waren. Hin und wieder, wenn niemand zuschaute, hob Bernat den Jungen ausnahmsweise auf eines der Tiere, ohne Sattel, während dieses im Stall stand. Die Aufgaben, die man Arnau zugewiesen hatte, erlaubten es ihm nicht, die Geschirrkammer zu verlassen. Dort putzte er ein ums andere Mal das Sattelzeug; er fettete das Leder ein und rieb mit einem Lappen darüber, bis das Fett eingezogen war und die Oberfläche der Sättel und Zaumzeuge glänzte. Er reinigte die Trensen und Steigbügel und bürstete die Decken und anderes Zubehör, bis auch das letzte Pferdehaar verschwunden war, eine Arbeit, bei der er am Ende Finger und Fingernägel zu Hilfe nehmen musste, um die feinen Borsten zu entfernen, die sich im Stoff verhakt hatten. Wenn er dann noch Zeit hatte, polierte er sorgfältig die Kutsche, die Grau erstanden hatte.
Im Laufe der Monate musste sogar Jesús anerkennen, dass der Bauer ein Händchen für Pferde hatte. Wenn Bernat einen der Ställe betrat, rührten sich die Tiere nicht von der Stelle. Meistens suchten sie sogar seine Nähe. Er tätschelte und streichelte sie und flüsterte ihnen zu, um sie zu beruhigen. Wenn hingegen Tomás in den Stall kam, legten die Pferde die Ohren an und drängten sich an die am weitesten entfernte Wand, während der Stallknecht sie anbrüllte. Was war nur mit dem Mann los? Bisher war er ein vorbildlicher Stallbursche gewesen, dachte Jesús, wenn er wieder einmal das Geschrei hörte.
Jeden Morgen, wenn Vater und Sohn zur Arbeit gingen, machte sich Joanet mit Feuereifer daran, Peres Frau Mariona zu helfen. Er putzte, räumte auf und begleitete sie zum Einkaufen. Später, während sie das Essen kochte, lief er zum Strand, um Pere zu suchen. Dieser hatte sein Leben lang als Fischer gearbeitet und verdiente sich zusätzlich zu den gelegentlichen Zuwendungen seiner Zunft ein paar Münzen dazu, indem er Segel flickte. Joanet leistete ihm Gesellschaft, lauschte aufmerksam seinen Erklärungen und lief hierhin und dorthin, wenn der alte Fischer etwas brauchte.
Und sooft er konnte, ging er seine Mutter besuchen.
»Heute Morgen«, erzählte er ihr eines Tages, »wollte Bernat Pere die Miete bezahlen, aber Pere hat ihm einen Teil des Geldes zurückgegeben. Er hat gesagt, dass der Kleine – weißt du Mama, ›der Kleine‹ bin ich – also, er sagte, Bernat brauchte meinen Anteil nicht zu bezahlen, weil ich im Haus und am Strand helfe.«
Die Gefangene hörte zu, ihre Hand ruhte auf dem Kopf des Kindes. Wie viel hatte sich doch verändert! Seit ihr kleiner Junge bei den Estanyols lebte, hockte er nicht mehr schluchzend dort draußen, um auf ihre stummen Liebkosungen und ein liebes Wort zu warten – eine blinde Liebe, jetzt sprach er, erzählte er, lachte er sogar!
»Bernat hat mich umarmt«, erzählte Joanet weiter, »und Arnau hat mir auf die Schulter geklopft.«
Die Hand schloss sich über dem Haar des Jungen.
Und Joanet sprach weiter. Ohne Punkt und Komma. Von Arnau und Bernat, von Mariona, von Pere, dem Strand, den Fischern, den Segeln, die sie flickten, doch die Frau hörte nicht mehr zu, glücklich darüber, dass ihr Sohn endlich wusste, was eine Umarmung war. Dass ihr Kleiner endlich glücklich war.
»Lauf, mein Junge«, unterbrach ihn seine Mutter irgendwann und versuchte, das Zittern in ihrer Stimme zu verbergen. »Sie warten bestimmt schon auf dich.«
Aus dem Inneren ihres Kerkers hörte Joana, wie ihr Kleiner von der Kiste hüpfte und davonlief. Sie stellte sich vor, wie er über die Mauer sprang, die sie aus ihren Erinnerungen zu verbannen versuchte.
Welchen Sinn hatte das alles noch? Jahrelang hatte sie bei Wasser und Brot in diesen vier Wänden ausgehalten, dessen kleinsten Winkel sie Hunderte Male mit ihren Fingern abgetastet hatte. Sie hatte gegen die Einsamkeit und den Wahnsinn angekämpft, indem sie durch das winzige Fensterchen, das ihr der König, dieser großherzige Herrscher!, zugestanden hatte, den Himmel betrachtete. Sie hatte Fieber und Krankheit überstanden, und das alles nur für ihren kleinen Jungen, um ihm über den Kopf zu streichen, ihm Mut zu machen, ihm das Gefühl zu geben, dass er trotz allem nicht alleine auf der Welt war.