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Doch nun war er nicht länger allein. Bernat umarmte ihn! Bernat war wie ein Bekannter für sie. Sie hatte von ihm geträumt, während Stunden zu Ewigkeiten wurden. »Gib gut auf ihn acht, Bernat«, sagte sie ins Leere hinein. Joanet war glücklich, er lachte und rannte, und …

Joana ließ sich zu Boden gleiten und blieb so sitzen. An diesem Tag rührte sie weder das Brot noch das Wasser an. Ihr Körper hatte kein Verlangen danach.

Joanet kehrte anderntags wieder und auch am nächsten und am übernächsten Tag. Sie hörte ihm zu, wie er lachte und voller Hoffnung von der Welt erzählte. Durch das Fenster drangen nur mehr schwache Laute: ja, nein, geh, lauf, lebe!

»Lauf und genieße das Leben, das du durch meine Schuld nicht gehabt hast«, flüsterte Joana noch, als der Junge schon über die Gartenmauer gesprungen war.

Das Brot stapelte sich in Joanas Gefängnis.

»Weißt du, was passiert ist, Mama?« Joanet schob die Kiste an die Wand und setzte sich darauf. Seine Füße reichten noch nicht bis auf den Boden. »Nein – woher solltest du das wissen?« Zusammengekauert lehnte er sich mit dem Rücken gegen die Wand, an der Stelle, wo er wusste, dass die Hand seiner Mutter nach seinem Kopf tasten würde. »Ich werde es dir erzählen. Es ist sehr lustig. Offenbar hat gestern eines von Graus Pferden …«

Es erschien kein Arm in dem Fensterchen.

»Mama? Hör mal zu, ich sag's dir, es ist wirklich lustig. Eines der Pferde …«

Joanet sah zu dem Fensterchen hinauf.

»Mama?«

Er wartete.

»Mama?«

Er spitzte die Ohren und versuchte, etwas durch das Hämmern der Kesselschmiede hindurch zu hören, das durch das ganze Viertel hallte. Nichts.

»Mama!«, rief er.

Er kniete sich auf die Kiste. Was sollte er tun? Sie hatte ihm immer verboten, sich dem Fenster zu nähern.

»Mama!«, rief er noch einmal, während er sich zu der Öffnung hochreckte.

Sie hatte ihm immer gesagt, er solle sie nicht ansehen, er solle nie versuchen, einen Blick auf sie zu erhaschen. Aber sie antwortete nicht! Joanet spähte durch das Fenster. Drinnen war es ziemlich dunkel.

Er zog sich hoch und schwang ein Bein in die Öffnung. Es ging nicht. Er konnte nur seitlich hinein.

»Mama?«, wiederholte er noch einmal.

Er hielt sich oben am Fenster fest, stellte beide Füße auf das Fensterbrett und schwang sich hinein.

»Mama?«, wisperte er, während sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnten.

Er wartete, bis er ein Loch ausmachen konnte, von dem ein unerträglicher Gestank ausging. Auf der anderen Seite, links von ihm, lag auf einem Strohsack zusammengekauert ein Körper.

Joanet wartete. Der Körper regte sich nicht. Das Dröhnen der Hämmer auf dem Kupfer war draußen geblieben.

»Ich wollte dir etwas Lustiges erzählen«, sagte er und trat näher. Tränen begannen, über seine Wangen zu kullern. »Du hättest gelacht«, stammelte er, als er neben ihr stand.

Joanet hockte sich neben seine tote Mutter. Joana hatte das Gesicht zwischen ihren Händen verborgen, als hätte sie geahnt, dass ihr Sohn in den Kerker kommen würde, als hätte sie nicht gewollt, dass er sie in diesem Zustand sah – nicht einmal im Tod.

»Darf ich dich berühren?«

Der Junge streichelte über das schmutzige, verfilzte, spröde Haar seiner Mutter.

»Du musstest erst sterben, damit wir zusammen sein können.«

Und Joanet begann, bitterlich zu weinen.

Bernat zögerte keinen Augenblick, als ihm Pere und seine Frau bei seiner Heimkehr noch in der Tür aufgeregt mitteilten, dass Joanet nicht nach Hause gekommen war. Sie hatten ihn nie gefragt, wo er hinging, wenn er das Haus verließ. Sie hatten angenommen, dass er nach Santa María ging, doch dort hatte ihn an diesem Tag niemand gesehen. Mariona schlug die Hand vor den Mund.

»Und wenn ihm etwas zugestoßen ist?«, schluchzte sie.

»Wir werden ihn finden«, versuchte Bernat sie zu beruhigen.

Joanet war neben seiner Mutter sitzen geblieben. Er strich ihr mit der Hand übers Haar, fuhr mit den Fingern hindurch, um es zu entwirren. Er unternahm keinen Versuch, ihre Gesichtszüge zu erkennen. Dann stand er auf und sah zu dem Fenster hinauf.

Es wurde dunkel.

»Joanet?«

Joanet sah erneut zum Fenster.

»Joanet?«, hörte er noch einmal eine Stimme auf der anderen Seite des Fensters fragen.

»Arnau?«

»Was ist los?«

Er antwortete von drinnen: »Sie ist tot.«

»Warum bist du nicht …?«

»Ich kann nicht. Hier drinnen gibt es keine Kiste. Es ist zu hoch.«

»Es stinkt entsetzlich«, stellte Arnau fest. Bernat klopfte an die Tür von Ponç, dem Kupferschmied. Was hatte der Junge den ganzen Tag dort drinnen gemacht? Er hämmerte noch einmal kräftig gegen die Tür. Warum machte er nicht auf? In diesem Augenblick öffnete sich die Tür und ein Hüne erschien. Er füllte den gesamten Türrahmen aus. Arnau wich zurück.

»Was wollt ihr?«, raunzte der Kupferschmied. Er war barfuß und trug lediglich ein zerschlissenes Hemd, das ihm bis zu den Knien reichte.

»Ich heiße Bernat Estanyol, und das ist mein Sohn«, sagte Bernat und schob Arnau nach vorne, »der Freund Eures Sohnes Joanet …«

»Ich habe keinen Sohn«, unterbrach ihn Ponç und machte Anstalten, die Tür zuzuschlagen.

»Aber Ihr habt eine Frau«, entgegnete Bernat und drückte die Tür mit dem Arm wieder auf. Ponç gab nach. »Ihr hattet eine Frau«, erklärte er angesichts der Blicke des Kupferschmieds. »Sie ist tot.«

Ponç zeigte keine Regung.

»Und?«, fragte er und zog fast unmerklich die Schultern hoch.

»Joanet ist bei ihr dort drinnen.« Bernat versuchte, alle Härte in seinen Blick zu legen, deren er fähig war. »Er kann nicht heraus.«

»Da hätte er schon sein ganzes Leben lang hingehört, dieser Bastard.«

Bernat hielt dem Blick des Kupferschmieds stand, während er seinen Sohn an der Schulter festhielt. Arnau hätte sich am liebsten ganz klein gemacht, aber als der Kupferschmied ihn ansah, blieb er aufrecht stehen.

»Was gedenkt Ihr zu tun?«, beharrte Bernat.

»Nichts«, antwortete der Kupferschmied. »Morgen, wenn der Raum abgerissen wird, kann der Junge wieder raus.«

»Ihr könnt das Kind nicht die ganze Nacht …«

»In meinem Haus kann ich tun und lassen, was ich will.«

»Ich werde es dem Stadtrichter melden«, drohte Bernat, wohl wissend, dass seine Drohung nutzlos war.

Ponç kniff die Augen zusammen und verschwand wortlos im Haus. Die Tür ließ er offen stehen. Bernat und Arnau warteten, bis er mit einem Seil zurückkehrte, das er Arnau überreichte.

»Hol ihn raus«, wies er ihn an, »und sag ihm, dass ich ihn hier nicht mehr sehen will, jetzt, wo seine Mutter tot ist.«

»Wie …?«, begann Bernat.

»Genauso, wie er sich all die Jahre hineingeschlichen hat«, kam Ponç ihm zuvor. »Über die Gartenmauer. Durch mein Haus kommt ihr nicht.«

»Und die Mutter?«, fragte Bernat.

»Die hat mir der König überlassen mit der Maßgabe, sie nicht zu töten, und dem König werde ich sie zurückgeben, nun, da sie tot ist«, antwortete Ponç rasch. »Ich habe teures Geld als Sicherheit hinterlegt, und bei Gott, ich gedenke nicht, es wegen einer Hure in den Wind zu schreiben.« Mit diesen Worten schlug der Kupferschmied die Tür zu.

Nur Pater Albert, der Joanets Geschichte bereits kannte, und der alte Pere und seine Frau, denen Bernat davon erzählte, erfuhren von dem Unglück des Jungen. Die drei kümmerten sich rührend um ihn, doch der Junge blieb verschlossen. Er, der zuvor ungestüm und quirlig gewesen war, bewegte sich nun schleppend, als lastete ein unerträgliches Gewicht auf seinen Schultern.