Bernat lachte herzlich. »Wenn ich nein sagte, wäret Ihr enttäuscht, oder irre ich mich?«
Pater Albert nickte.
»Er ist nicht mein Sohn, Pater«, fuhr Bernat fort. »Wenn er es wäre, würde ich nicht zulassen, dass der eine Sohn für den anderen arbeitet. Aber wenn es mich nichts kostet, warum nicht? Der Junge hat es verdient. Vielleicht kommt er eines Tages an all die Orte, von denen Ihr erzählt habt.«
»Ich hätte lieber mit Pferden zu tun, so wie du«, sagte Joanet zu Arnau, während sie am Strand entlangspazierten, genau dort, wo Pater Albert und Bernat über seine Zukunft entschieden hatten.
»Es ist sehr hart, Joanet … Joan. Ich putze und putze, und wenn endlich alles glänzt, macht ein Pferd einen Ausritt, und ich fange wieder von vorne an. Und das nur, wenn Tomás mich nicht anschreit und mir ein Paar Steigbügel oder Zaumzeug bringt, damit ich noch einmal darübergehe. Beim ersten Mal gab er mir eine Kopfnuss, doch dann kam unser Vater … Das hättest du sehen sollen! Er setzte ihm die Mistgabel auf die Brust und drückte ihn gegen die Wand, und Tomás begann zu stottern und sich zu entschuldigen.«
»Deshalb wäre ich so gerne bei euch.«
»Ach was!«, entgegnete Arnau. »Seither rührt er mich nicht mehr an, aber es gibt immer etwas, das schlecht geputzt ist. Er macht es selbst schmutzig, weißt du? Ich hab's gesehen.«
»Weshalb sagt ihr es nicht Jesús?«
»Papa sagt, er würde mir nicht glauben. Jesús ist mit Tomás befreundet und würde ihn verteidigen, und die Baronin würde jede Gelegenheit nutzen, um uns anzugreifen. Sie hasst uns. Weißt du, du wirst viele Dinge in der Schule lernen. Ich werde nur das Zeug putzen, das andere schmutzig machen, und mich anschreien lassen.«
Die beiden schwiegen eine Weile, stapften durch den Sand und schauten aufs Meer hinaus.
»Nutz deine Chance, Joan«, sagte Arnau plötzlich und wiederholte die Worte, die er von Bernat gehört hatte.
Joan kam gut voran im Unterricht. Er legte großen Eifer an den Tag, seit ihn der Priester, der zugleich ihr Lehrer war, vor den anderen belobigt hatte. Joan durchfuhr ein angenehmes Kribbeln und er ließ sich von seinen Klassenkameraden bestaunen. Wenn seine Mutter noch lebte! Er würde auf der Stelle losrennen, um sich auf die Kiste zu hocken und ihr zu berichten, wie man ihn gelobt hatte. Der Klassenbeste, hatte der Lehrer gesagt, und alle, alle hatten ihn angesehen. Er war noch nie irgendwo der Beste gewesen!
An diesem Abend kam Joan, eingehüllt in eine Wolke der Zufriedenheit, nach Hause. Pere und Mariona hörten ihm lächelnd und erwartungsvoll zu und baten ihn, noch einmal zu wiederholen, was er gesagt hatte, denn vor lauter Freudenrufen und Gestikulieren war eigentlich nichts zu verstehen gewesen. Als Arnau und Bernat eintrafen, sahen die drei zur Tür. Joan wollte ihnen entgegenlaufen, doch das Gesicht seines Bruders hielt ihn davon ab. Man sah, dass er geweint hatte, und Bernat hatte eine Hand um seine Schulter gelegt und drückte ihn fest an sich.
»Was ist denn?«, fragte Mariona und ging auf Arnau zu, um ihn zu umarmen. Doch eine Handbewegung von Bernat ließ sie innehalten.
»Das muss man aushalten«, sagte er, an niemand Bestimmtes gewandt.
Joan suchte den Blick seines Bruders, doch Arnau sah Mariona an.
Und sie hielten es aus. Tomás, der Stallbursche, wagte es nicht, Bernat zu piesacken, Arnau hingegen schon.
»Er ist auf Streit aus, mein Junge«, versuchte Bernat Arnau zu trösten, wenn dieser wieder einmal beinahe platzte vor Wut. »Wir dürfen nicht in die Falle tappen.«
»Aber wir können nicht ein Leben lang so weitermachen, Papa«, beschwerte sich Arnau irgendwann.
»Das werden wir nicht. Ich habe gehört, wie Jesús ihn ein paar Mal ermahnt hat. Er arbeitet nicht gut und Jesús weiß das. Die Pferde, mit denen er zu tun hat, sind nicht mehr zu führen, sie treten aus und beißen. Nicht mehr lange, und er wird fallen. Nicht mehr lange, mein Junge.«
Und wie Bernat vorausgesehen hatte, ließen die Folgen nicht lange auf sich warten. Die Baronin legte großen Wert darauf, dass Graus Kinder reiten lernten. Es war besser, wenn Grau nichts davon erfuhr, doch die beiden Knaben mussten reiten lernen. Also verließen sie mehrmals wöchentlich nach dem Unterricht die Stadt, Isabel und Margarida in der von Jesús gelenkten Kutsche, die Jungen, der Hauslehrer und Tomás zu Fuß, wobei der Stallbursche ein Pferd am Zügel führte. Auf einem freien Feld vor den Stadttoren erhielten sie nacheinander von Jesús Reitunterricht.
Jesús hielt in der rechten Hand ein langes Seil, das er am Zaumzeug des Pferdes befestigt hatte, sodass das Tier gezwungen war, im Kreis zu laufen. In der linken Hand hielt er eine Peitsche, um das Tier anzutreiben. Die Reitschüler saßen einer nach dem anderen auf und ritten, seinen Anweisungen und Ratschlägen folgend, im Kreis um den Stallmeister herum.
An diesem Tag ließ Tomás, der das Gespann vor der Kutsche beaufsichtigte, kein Auge vom Maul des Pferdes. Es war nur ein Ruck nötig, der fester war als gewöhnlich, nur einer. Es kam immer ein Moment, in dem das Tier scheute.
Genis Puig saß nun auf dem Pferd.
Der Stallbursche sah in das Gesicht des Knaben. Panische Angst stand darin geschrieben. Dieser Junge hatte eine Höllenangst vor Pferden und klammerte sich fest. Es kam immer ein Moment, in dem ein Pferd scheute.
Jesús schnalzte mit der Peitsche, damit das Pferd in Galopp fiel. Das Tier warf den Kopf zurück und zog an dem Seil.
Über Tomás' Gesicht huschte ein Lächeln, das sofort wieder verschwand, als sich das Seil löste und das Pferd plötzlich frei war. Es war nicht schwer gewesen, sich in die Sattelkammer zu schleichen und das Leder des Zaumzeugs so anzuschneiden, das es nur noch lose zusammenhielt.
Isabel und Margarida schrien entsetzt auf. Jesús ließ die Peitsche fallen und versuchte, das Pferd aufzuhalten, doch vergeblich.
Als Genis sah, dass sich das Seil gelöst hatte, begann er zu kreischen und klammerte sich an den Hals des Pferdes. Er presste seine Füße gegen die Flanken des Tieres, welches daraufhin durchging und im gestreckten Galopp auf die Stadttore zurannte, während Genis auf seinem Rücken hin und her geschleudert wurde. Als das Pferd einen kleinen Hügel übersprang, flog der Junge durch die Luft, überschlug sich mehrmals und landete kopfüber in einer Hecke.
Bernat, der in den Stallungen war, hörte zuerst die Hufe der Pferde im gepflasterten Patio und dann die Schreie der Baronin. Statt ruhig und im Schritt in den Hof zu kommen wie sonst, stampften die Pferde heftig auf. Als Bernat zum Stalltor ging, kam Tomás gerade mit dem Pferd hinein. Das Tier war unruhig, es war mit Schweiß bedeckt und schnaubte heftig.
»Was ist los?«, fragte Bernat.
»Die Baronin will deinen Sohn sprechen«, schrie Tomás, während er auf das Pferd einhieb.
Vor den Stallungen war immer noch das Zetern der Frau zu hören. Bernat betrachtete erneut das arme Tier, das unruhig auf den Boden stampfte.
»Die Herrin will dich sprechen!«, brüllte Tomás noch einmal, als Arnau aus der Sattelkammer kam.
Arnau blickte zu seinem Vater. Der zuckte mit den Schultern.
Sie gingen in den Patio. Die Baronin fuchtelte wütend mit der Reitgerte herum, die sie immer bei sich hatte, wenn sie ausritt, und brüllte Jesús, den Hauslehrer und die Sklaven an, die alle zusammengelaufen waren. Margarida und Josep standen hinter ihr. Und daneben Genis, mit blauen Flecken übersät, blutend und mit zerrissenen Kleidern. Als Arnau und Bernat erschienen, ging die Baronin ein paar Schritte auf den Jungen zu und zog ihm die Reitgerte durchs Gesicht. Arnau hielt sich die Wange. Bernat wollte eingreifen, doch Jesús ging dazwischen.
»Sieh dir das an«, brüllte der Stallmeister und reichte Bernat das Seil und das zerrissene Zaumzeug. »Das ist das Werk deines Sohnes!«
Bernat nahm die Gegenstände und untersuchte sie. Auch Arnau, der sich immer noch die Wange hielt, sah sich das Zaumzeug an. Er hatte es tags zuvor überprüft. Er blickte zu seinem Vater auf, und der sah zur Stalltür herüber, von wo aus Tomás die Szene beobachtete.