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»Willst du zusehen, wie er dort verwest? Willst du zusehen, wie er vor den Toren der Stadt baumelt, während Krähen und Würmer seinen Körper auffressen?«

Arnau machte eine Pause, damit sein Bruder sich diese Szenerie vorstellen konnte.

»Willst du, dass die Baronin unseren Vater weiter verspottet … sogar noch im Tod?«

»Ist es auch keine Sünde?«, fragte Joan plötzlich.

Arnau versuchte, seinen Bruder in der Dunkelheit zu erkennen, doch er erahnte nur einen Schatten.

»Er hatte nur Hunger! Ich weiß nicht, ob es eine Sünde ist, aber ich werde nicht zulassen, dass unser Vater an einem Strick verfault. Wenn du mir helfen willst, dann leg dir diese Decke um und tu weiter gar nichts. Wenn nicht …«

Arnau lief die Calle de la Mar hinunter, während Joan, in die Decke gehüllt, auf die Plaza del Blat ging. Er hatte den Blick fest auf Bernat gerichtet, eines von zehn Gespenstern, die auf den Karren baumelten, schwach beleuchtet vom Widerschein des Feuers, um das die Soldaten saßen. Joan wollte sein Gesicht nicht sehen, seine heraushängende, schwarz verfärbte Zunge, doch seine Augen gehorchten seinem Willen nicht, und so ging er weiter, den Blick starr auf Bernat gerichtet. Die Soldaten beobachteten ihn, während er näher kam. Unterdessen lief Arnau zu Peres Haus. Er nahm seinen Wasserschlauch und schüttete das Wasser aus, dann füllte er Lampenöl hinein. Pere und seine Frau, die am Feuer saßen, sahen ihm zu.

»Mich gibt es nicht«, sagte Arnau mit versagender Stimme zu ihnen. Er kniete vor ihnen nieder und ergriff die Hand der alten Frau, die ihn liebevoll ansah. »Joan wird ich sein. Mein Vater hatte nur einen Sohn. Kümmert euch um ihn, wenn etwas passiert.«

»Aber Arnau …«, begann Pere.

»Psst«, wisperte Arnau.

»Was hast du vor, Junge?«, wollte der Alte wissen.

»Ich muss es tun«, entgegnete Arnau und stand auf.

Es gibt mich nicht. Ich bin Arnau Estanyol. Die Soldaten beobachteten Joan immer noch. Einen Toten zu verbrennen musste eine Sünde sein, dachte er. Bernat sah ihn an! Joan blieb einige Meter vor dem Gehenkten stehen. Er sah ihn an!

»Ist etwas, Junge?« Einer der Soldaten machte Anstalten, aufzustehen.

»Nein, nichts«, antwortete Joan, bevor er weiter auf die Augen des Toten zuging, die ihn fragend ansahen.

Arnau nahm eine Lampe und verließ das Haus. Unterwegs rieb er sich das Gesicht mit Schlamm ein. Sein Vater hatte ihm so oft von ihrer Ankunft in dieser Stadt erzählt, die ihn nun getötet hatte. Auch er hatte sich damals Schlamm ins Gesicht reiben müssen, um am Stadttor nicht erkannt zu werden. Arnau ging um die Plaza del Blat herum, über die Plaza de la Llet und die Plaza de la Corretgeria, bis er die Calle Tapineria erreichte. Dann stand er vor den aufgereihten Karren mit den Gehängten. Joan saß zu Füßen seines Vaters und versuchte das verräterische Zittern zu unterdrücken.

Arnau ließ die Lampe in der Straße stehen, warf sich den Schlauch über den Rücken und schlich zur Rückseite der Karren, die direkt an der Mauer des stadtrichterlichen Palasts standen. Bernat befand sich auf dem vierten Karren. Die Soldaten saßen immer noch schwatzend um das Feuer am anderen Ende der Reihe. Arnau kroch hinter die ersten Karren. Als er den zweiten erreichte, wurde eine Frau auf ihn aufmerksam. Ihre Augen waren vom Weinen verquollen. Arnau erstarrte, doch die Frau wandte den Blick ab und gab sich weiter ihrem Schmerz hin. Der Junge kletterte auf den Karren, auf dem sein Vater baumelte. Joan hörte ihn und drehte sich um.

»Schau nicht hin!« Sein Bruder hörte auf, in die Dunkelheit zu spähen. »Und versuch, nicht so zu zittern«, raunte Arnau ihm zu.

Er richtete sich auf, um Bernats Körper zu erreichen, doch ein Geräusch zwang ihn, sich wieder hinzulegen. Er wartete einige Sekunden und unternahm einen weiteren Versuch. Erneut ließ ihn ein Geräusch zusammenzucken, doch diesmal blieb Arnau stehen. Die Soldaten schwatzten immer noch. Arnau hob den Schlauch hoch und begann, das Öl über den Leichnam seines Vaters zu gießen. Der Kopf war ziemlich hoch, also reckte er sich, so gut er konnte, und presste den Schlauch fest zusammen, damit das Öl herausspritzte. Ein zähflüssiger Strahl begann Bernats Haar zu verkleben. Als das Öl aufgebraucht war, schlich Arnau in die Calle Tapineria zurück.

Er hatte nur einen einzigen Versuch. Arnau hielt die Lampe hinter seinen Rücken, um den schwachen Lichtschein zu verbergen. »Ich muss beim ersten Mal treffen.« Er sah zu den Soldaten hinüber. Nun war er es, der zitterte. Er atmete tief ein und betrat dann den Platz. Bernat und Joan waren etwa zehn Meter von ihm entfernt. Er drehte die Flamme hoch und trat aus dem Verborgenen hervor. Die Lampe in der Hand, kam es ihm vor, als würde es taghell auf der Plaza del Blat. Die Soldaten blickten zu ihm hinüber. Arnau wollte schon losrennen, als er feststellte, dass keiner von ihnen Anstalten machte, sich zu bewegen. »Weshalb sollten sie auch? Woher sollen sie wissen, dass ich meinen Vater verbrennen will? Meinen Vater verbrennen!« Die Lampe in seiner Hand zitterte. Beobachtet von den Soldaten, erreichte er Joan. Niemand unternahm etwas. Arnau blieb vor dem Leichnam seines Vaters stehen und betrachtete ihn ein letztes Mal. Das glänzende Öl auf seinem Gesicht verbarg die Angst und den Schmerz, der zuvor in ihm zu erkennen gewesen war.

Arnau schleuderte die Lampe auf den Leichnam, und Bernat fing Feuer. Die Soldaten sprangen auf, sahen die Flammen und rannten hinter Arnau her. Die Scherben der Lampe fielen auf den Karren, auf dem sich das Öl gesammelt hatte, das von Bernats Körper herabgetropft war, und auch dieser ging in Flammen auf.

»Stehen bleiben!«, hörte er die Soldaten rufen.

Arnau wollte loslaufen, als er sah, dass Joan immer noch vor dem Karren saß. Er war vollständig von der Decke bedeckt und wirkte wie paralysiert. Die übrigen Trauernden betrachteten stumm die Flammen, in ihrem eigenen Schmerz versunken.

»Halt! Halt, im Namen des Königs!«

»Beweg dich, Joan.« Arnau wandte sich zu den Soldaten um, die jetzt auf ihn zugerannt kamen. »Beweg dich! Du wirst verbrennen!«

Er konnte Joan nicht dort lassen. Das Öl, das auf den Boden getropft war, kam der zitternden Gestalt seines Bruders immer näher. Arnau wollte ihn wegziehen, als sich die Frau, die ihn zuvor entdeckt hatte, zwischen sie stellte.

»Lauf«, drängte sie ihn.

Arnau schüttelte den ersten Soldaten ab und rannte davon. Verfolgt von den Rufen der Soldaten, lief er durch die Calle Bòria bis zum Portal Nou. Je länger sie ihn verfolgten, desto später würden sie zu seinem Vater zurückkehren, um das Feuer zu löschen, dachte er im Laufen. Die Soldaten, die nicht mehr die Jüngsten waren und ihre Ausrüstung schleppen mussten, würden niemals einen Jungen einholen, dessen Füße förmlich vom Feuer getragen wurden.

»Im Namen des Königs!«, hörte er hinter sich.

Etwas zischte an seinem rechten Ohr vorbei. Arnau konnte hören, wie die Lanze vor ihm auf dem Boden aufschlug. Er sauste über die Plaza de la Llana, während mehrere Lanzen ihr Ziel verfehlten. Dann lief er an der Kapelle Bernat Marcus vorbei bis zur Galle Carders. Die Rufe der Soldaten begannen, sich in der Ferne zu verlieren. Zum Portal Nou konnte er nicht; dort waren mit Sicherheit weitere Soldaten postiert. In Richtung Meer würde er bis Santa María kommen, in Richtung Berge bis Sant Pere de les Puelles, doch dort würde er wieder auf die Stadtmauer treffen.

Arnau entschied sich für das Meer. Er ging um das Kloster San Agustín herum und verlor sich in dem Gewirr der Gassen hinter dem Mercadal-Viertel. Er sprang über Mauern, schlich durch Gärten und hielt sich immer im Dunkeln. Als er sicher war, dass ihm nur das Echo seiner Schritte folgte, ging er langsamer. Dem Wasserlauf des Rec Comtal folgend, erreichte er den Pia d'en Llull beim Kloster Santa Clara und von dort aus ohne weitere Schwierigkeiten die Plaza del Born, seine Kirche, seine Zufluchtsstätte. Doch als er unter das hölzerne Gerüst am Portal kriechen wollte, bemerkte er etwas, das seine Aufmerksamkeit erregte: Auf dem Boden lag eine Laterne, deren schwache Flamme kurz vor dem Verlöschen war. Er spähte ringsum und entdeckte die Gestalt des Aufsehers. Er lag reglos auf dem Boden, als hätte ihn jemand niedergeschlagen.