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Unbewusst streckte Bernat die Hand aus und näherte sie Francescas Wange, so als wollte er ihr begreiflich machen, dass er sie verstand.

»Ich …«, versuchte er es erneut.

Er berührte sie nicht. Als sich seine Hand näherte, verkrampften sich sämtliche Muskeln des Mädchens. Bernat schlug die Hände vors Gesicht und weinte.

Francesca blieb reglos und mit abwesendem Blick liegen.

Schließlich hörte Bernat auf zu weinen, stand auf, zog die Hose hoch und verschwand durch die Bodenluke, die ins Untergeschoss führte. Als seine Schritte verklungen waren, stand auch Francesca auf und ging zu der Truhe, die das gesamte Mobiliar der Schlafkammer darstellte, um sich ihre eigenen Kleider herauszuholen. Als sie sich angezogen hatte, suchte sie langsam ihre verstreut herumliegenden Habseligkeiten zusammen, darunter das kostbare weißleinene Hemd. Sie faltete es sorgfältig zusammen, wobei sie darauf achtete, dass die Fetzen genau aufeinander zu liegen kamen, und legte es in die Truhe.

2

Francesca schlich durchs Haus wie eine gequälte Seele. Sie erfüllte ihre hausfraulichen Pflichten, doch sie tat es schweigend, während eine Traurigkeit von ihr ausging, die schon bald jeden Winkel des Hauses der Estanyols erfasste.

Bernat hatte oft versucht, sich für das zu entschuldigen, was geschehen war. Je weiter der Schrecken ihres Hochzeitstages in die Ferne rückte, desto ausführlicher wurden Bernats Erklärungen: die Angst vor der Grausamkeit des Herrn, die Folgen sowohl für ihn als auch für sie, wenn er den Gehorsam verweigert hätte. Und »Es tut mir leid« – Tausende Male hatte Bernat diese Worte zu Francesca gesagt, die ihn ansah und ihm stumm zuhörte, so als wartete sie auf den Moment, in dem Bernats Ausführungen unweigerlich auf denselben entscheidenden Punkt kamen: »Es wäre ein anderer gekommen, hätte ich es nicht getan …« An diesem Punkt verstummte Bernat jedes Mal. Jede Entschuldigung versagte, und erneut stand die Vergewaltigung zwischen ihnen wie eine unüberwindliche Hürde. Die Entschuldigungen und das Schweigen, das er zur Antwort bekam, legten sich über die Wunde, die Bernat schließen wollte, und das schlechte Gewissen ging in den alltäglichen Pflichten verloren, bis Bernat schließlich vor Francescas Gleichgültigkeit resignierte.

Jeden Morgen, wenn er bei Tagesanbruch aufstand, um sein hartes Tagewerk als Bauer zu verrichten, sah Bernat aus dem Schlafzimmerfenster. Das hatte er schon mit seinem Vater getan, selbst in dessen letzten Zeiten. Gemeinsam hatten sie sich auf die mächtige steinerne Brüstung gelehnt und den Himmel betrachtet, um zu sehen, was für ein Tag sie erwartete. Sie hatten über ihr fruchtbares, von regelmäßigen Ackerfurchen durchzogenes Land geblickt, das sich in das weite Tal zu Füßen des Gehöfts erstreckte, sie hatten den Vögeln zugehört und aufmerksam auf die Geräusche der Tiere im Stall gelauscht. Es waren Momente stillen Einverständnisses zwischen Vater und Sohn und ihrem Land gewesen, die wenigen Minuten, in denen sein Vater wieder zu Sinnen zu kommen schien. Bernat hatte davon geträumt, diese Momente mit seiner Frau zu teilen, anstatt sie alleine zu erleben, während er sie im Untergeschoss wirtschaften hörte, und ihr all das erzählen zu können, was er selbst aus dem Mund seines Vaters gehört hatte, wie dieser vorher von seinem, und so weiter über Generationen hinweg.

Er hatte davon geträumt, ihr erzählen zu können, dass dieses reiche Land einmal freieigener Besitz der Estanyols gewesen war und seine Vorfahren es mit Freude und Sorgfalt bestellt und seine Früchte geerntet hatten, ohne Abgaben oder Steuern zahlen zu müssen oder überheblichen, ungerechten Herren verpflichtet zu sein. Er hatte davon geträumt, mit ihr, seiner Frau, der zukünftigen Mutter der Erben dieses Landes, dieselbe Trauer teilen zu können, die er mit seinem Vater geteilt hatte, als dieser ihm von den Gründen berichtet hatte, deretwegen die Kinder, die sie ihm einmal schenken würde, nun, dreihundert Jahre später, eines anderen Knechte sein würden. Er hätte ihr gerne voller Stolz erzählt, dass vor dreihundert Jahren die Estanyols und viele andere als freie Männer ihre Waffen in ihren Häusern aufbewahrt hatten, um unter dem Befehl des Grafen Ramon Borrell und seines Bruders Ermengol d'Urgell das alte Katalonien vor den Einfallen der Sarazenen zu verteidigen. Er hätte ihr gerne erzählt, wie mehrere Estanyols unter dem Befehl des Grafen Ramon in dem siegreichen Heer gekämpft hatten, welches in Albesa, unweit von Balaguer in der Ebene von Urgell, die Sarazenen des Kalifats von Cordoba besiegte. Sein Vater hatte ihm voller Begeisterung davon erzählt, wenn sie die Zeit dazu gehabt hatten, doch die Begeisterung war Wehmut gewichen, als er vom Tod des Grafen Ramon Borrell im Jahre 1017 berichtete. Ihm zufolge hatte dieser Todesfall sie zu Leibeigenen gemacht. Der fünfzehnjährige Sohn des Grafen Ramon Borrell war diesem auf den Thron gefolgt. Seine Mutter, Ermessenda von Carcassonne, hatte die Regierungsgeschäfte übernommen, und die Barone von Katalonien, die Seite an Seite mit den Bauern gekämpft hatten, nutzten nun, da die Grenzen des Prinzipats gesichert waren, das Machtvakuum. Sie bedrängten die Bauern, jene zu ermorden, die nicht nachgaben, und sich dann ihres Landes zu bemächtigen. Den früheren Besitzern erlaubten sie, den Boden weiterhin zu bestellen, wenn sie dem Grundherrn einen Teil ihrer Ernte ablieferten. Die Estanyols hatten nachgegeben, aber viele Familien auf dem Lande waren grausam dahingemetzelt worden.

»Als freie Männer, die wir waren«, hatte sein Vater ihm erzählt, »haben wir Seite an Seite mit den Rittern gegen die Mauren gekämpft – als Fußvolk natürlich –, aber gegen die Ritter hatten wir keine Chance. Als die nächsten Grafen von Barcelona die Zügel in Katalonien wieder an sich reißen wollten, sahen sie sich einem reichen und mächtigen Adel gegenüber, mit dem sie zu paktieren gezwungen waren, und das immer auf unsere Kosten. Zuerst war es unser Land, das alte Katalonien, dann unsere Freiheit, unser Leben … und schließlich unsere Ehre. Deine Großeltern waren es, die unsere Freiheit verloren«, hatte er mit zitternder Stimme erzählt, den Blick unverwandt auf die Felder gerichtet. »Man untersagte ihnen, ihr Land zu verlassen. Man machte sie zu Leibeigenen, die an ihren Grund und Boden gefesselt waren, wie später ihre Kinder – ich – und ihre Enkelkinder – du. Unser Leben … dein Leben liegt in den Händen des Grundherrn, dem es obliegt, Recht zu sprechen, und der das Recht hat, uns zu misshandeln und unsere Ehre zu verletzen. Wir können uns nicht einmal wehren! Wenn dir jemand Unrecht tut, musst du zu deinem Grundherrn gehen, damit dieser Entschädigung fordert, und wenn er sie bekommt, behält er die Hälfte für sich.«

Dann zählte er ihm immer wieder die zahlreichen Rechte des Herrn auf, Rechte, die sich Bernat ins Gedächtnis eingegraben hatten, weil er es nie gewagt hatte, den aufgebrachten Monolog seines Vaters zu unterbrechen. Der Herr konnte von einem Leibeigenen jederzeit einen Teil seines Besitzes einbehalten, wenn dieser ohne Testament starb, wenn er kinderlos blieb oder seine Frau Ehebruch beging, wenn der Hof abbrannte oder er diesen belieh, wenn er die Leibeigene eines anderen Grundherrn heiratete und natürlich, wenn er ihn verlassen wollte. Der Grundherr konnte in der ersten Nacht mit der Braut schlafen, er konnte die Frauen dazu verpflichten, seine Kinder zu stillen, und ihre Töchter, als Mägde auf der Burg zu dienen. Ein Leibeigener war verpflichtet, ohne Entgelt das Land des Grundherrn zu bestellen und zur Verteidigung der Burg zu kämpfen. Er musste einen Teil der Erträge seiner Felder abliefern und seinen Herrn oder seine Gesandten in seinem Haus aufnehmen und sie während ihres Aufenthaltes bewirten. Er musste für die Nutzung des Waldes oder des Weidelandes ebenso zahlen wie für die Benutzung der herrschaftlichen Schmiede, des Backhauses oder der Mühle, und er musste zu Weihnachten und anderen Feiertagen Geschenke abliefern.