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Am Cagalell legte er eine weitere Rast ein, den Stein auf einen Felsvorsprung gestützt. Dort erschienen die ersten Bastaixos, die bereits auf dem Rückweg zum Steinbruch waren. Niemand sagte etwas. Sie sahen sich nur an. Arnau biss die Zähne zusammen und hob den Stein wieder an. Einige Bastaixos nickten ihm aufmunternd zu, doch keiner von ihnen blieb stehen. »Es ist seine Herausforderung«, sagte einer von ihnen, als Arnau ihn nicht mehr hören konnte. Er blickte zurück und sah, wie sich der Stein langsam vorwärtsbewegte. »Er muss alleine zurechtkommen«, pflichtete ein anderer bei.

Als Arnau die westliche Stadtmauer und das Kloster Framenors hinter sich gelassen hatte, begegneten ihm die ersten Einwohner Barcelonas. Er konzentrierte sich weiter auf seine Füße. Er war schon in der Stadt! Seeleute, Fischer, Frauen und Kinder, Werftarbeiter, Schiffszimmerleute – alle beobachteten schweigend den schweißüberströmten Jungen, der sich mit schmerzverzerrtem Gesicht unter der Last des Steins krümmte. Alle starrten auf die Füße des jungen Bastaix, denen Arnaus ganze Aufmerksamkeit galt, und alle feuerten ihn wortlos an: einer vor den anderen, einer vor den anderen …

Einige schlossen sich Arnau schweigend an, und so erreichte der Junge nach über zwei Stunden Plackerei die Kirche Santa María, gefolgt von einer kleinen, stillen Menschenmenge. Die Bauarbeiten kamen zum Stillstand. Die Maurer beugten sich über die Gerüste und die Zimmerleute und Steinmetzen ließen ihre Arbeit ruhen. Pater Albert, Pere und Mariona erwarteten ihn. Angel, der Sohn des Hafenschiffers, der mittlerweile Geselle geworden war, kam ihm entgegengelaufen.

»Los!«, schrie er. »Du bist da! Du bist am Ziel! Los, komm schon!«

Von den Gerüsten herunter waren aufmunternde Rufe zu hören. Diejenigen, die Arnau gefolgt waren, brachen in Jubel aus. Ganz Santa María stimmte mit ein, sogar Pater Albert jubelte mit. Arnau jedoch blickte weiter auf seine Füße, einen vor den anderen, einen vor den anderen … Bis er die Stelle erreichte, wo die Steine abgeladen wurden. Dort stürzten sich die Lehrlinge und Gesellen auf den Stein, den der Junge herangeschleppt hatte.

Erst jetzt sah Arnau auf, immer noch gebeugt und zitternd, und lächelte. Die Leute drängten sich um ihn und beglückwünschten ihn. Arnau wusste nicht, wer ihn dort umringte, er erkannte nur Pater Albert, der zum Friedhof Las Moreres hinübersah. Arnau folgte seinem Blick.

»Für Euch, Vater«, flüsterte er.

Als die Leute sich zerstreuten und Arnau erneut zum Steinbruch aufbrechen wollte, hinter seinen Zunftbrüdern her, von denen einige die Strecke bereits zum dritten Mal zurückgelegt hatten, rief der Priester ihn zu sich. Er hatte Anweisungen von Josep erhalten, dem Zunftmeister.

»Ich habe eine Aufgabe für dich«, sagte er zu ihm. Arnau blieb stehen und sah ihn erstaunt an. »Die Sakramentskapelle muss ausgefegt, aufgeräumt und mit neuen Kerzen versehen werden.«

»Aber …«, wandte Arnau mit einem Blick auf die Steine ein.

»Es gibt kein Aber.«

19

Es war ein harter Tag gewesen. So kurz nach der Sommersonnenwende war es abends lange hell, und die Bastaixos arbeiteten von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, be- und entluden die Schiffe, die in den Hafen kamen, immer angetrieben von den Händlern und Kapitänen, die so wenig Zeit wie möglich im Hafen von Barcelona verlieren wollten.

Als Arnau müde nach Hause kam, die Füße nachziehend, die Capçana in der Hand, wandten sich ihm acht Gesichter zu. Bei Pere und Mariona am Tisch saßen ein Mann und eine Frau. Joan, ein Junge und zwei Mädchen sahen ihn vom Fußboden aus an, den Rücken an die Wand gelehnt. Alle aßen mit Appetit aus ihren Schüsseln.

»Arnau«, sagte Pere, »ich möchte dir unsere neuen Mieter vorstellen. Das ist Gastó Segura, ein Gerbergeselle.« Der Mann nickte lediglich mit dem Kopf, ohne mit dem Essen aufzuhören. »Seine Frau Eulàlia.« Diese lächelte ihm zu. »Und ihre drei Kinder, Simò, Aledis und Alesta.«

Arnau, der rechtschaffen müde war, hob kurz die Hand in Richtung Joan und der Gerberkinder und wollte die Schüssel nehmen, die Mariona ihm anbot. Doch etwas trieb ihn dazu, sich noch einmal zu den drei Neuankömmlingen umzudrehen. Diese Augen! Die Augen der beiden Mädchen waren auf ihn geheftet. Sie waren riesig, dunkelbraun und lebhaft. Die beiden lächelten.

»Iss jetzt, Junge!«

Das Lächeln verschwand. Alesta und Aledis blickten in ihre Schüsseln, und Arnau sah den Gerber an, der aufgehört hatte zu essen und eine Kopfbewegung in Richtung Mariona machte, die neben dem Feuer stand und ihm die Schüssel entgegenhielt.

Mariona überließ ihm ihren Platz am Tisch, und Arnau begann seinen Eintopf zu löffeln. Gastó Segura, der ihm gegenübersaß, schlürfte und kaute mit offenem Mund. Jedes Mal, wenn Arnau von seinem Teller aufsah, begegnete er dem Blick des Gerbers, der auf ihn gerichtet war.

Nach einer Weile stand Simò auf, um Mariona seine Schüssel und die seiner Schwestern zu geben, die bereits leer waren.

»Ab ins Bett«, befahl Gastó in das Schweigen hinein.

Dann sah der Gerber Arnau mit zusammengekniffenen Augen an. Der fühlte sich unbehaglich und konzentrierte sich auf seine Schüssel. Er hörte nur, wie die Mädchen aufstanden und sich schüchtern verabschiedeten. Als ihre Schritte verklungen waren, sah Arnau wieder auf. Gastós Aufmerksamkeit schien nachgelassen zu haben.

»Wie sind sie?«, fragte er Joan in dieser Nacht, als sie zum ersten Mal unten schliefen, ihre Strohsäcke zu beiden Seiten des Herdes auf dem Boden ausgebreitet.

»Wer?«, fragte Joan zurück.

»Die Töchter des Gerbers.«

»Wie sollen sie schon sein? Normal«, sagte Joan und machte ein ratloses Gesicht, das sein Bruder in der Dunkelheit nicht sehen konnte. »Ganz normale Mädchen. Nehme ich zumindest an«, zögerte er. »Eigentlich weiß ich es nicht. Sie haben mich nicht mit ihnen sprechen lassen. Ihr Bruder hat mir nicht einmal gestattet, ihnen die Hand zu geben. Stattdessen hat er meine Hand ergriffen und mich von ihnen weggezogen.«

Doch Arnau hörte ihm nicht mehr zu. Wie konnten diese Augen normal sein? Und sie hatten ihm zugelächelt. Beide.

Als es Tag wurde, kamen Pere und Mariona nach unten. Arnau und Joan hatten ihre Strohsäcke bereits weggeräumt. Kurz darauf erschienen der Gerber und sein Sohn. Die Frauen waren nicht dabei. Gastó hatte ihnen verboten herunterzukommen, bis die Jungen gegangen waren. Arnau verließ Peres Haus in Gedanken an diese riesigen braunen Augen.

»Heute bist du für die Kapelle zuständig«, sagte einer der Zunftmeister zu ihm, als er zum Strand kam. Tags zuvor hatte er beobachtet, wie der Junge schwankend das letzte Bündel ablud.

Arnau nickte. Es machte ihm nichts mehr aus, dass man ihn zur Kapelle schickte. Niemand zweifelte mehr an seinen Fähigkeiten als Bastaix. Die Zunftmeister hatten ihn in die Bruderschaft aufgenommen, und auch wenn er noch nicht so viel tragen konnte wie Ramon und die meisten anderen, so stürzte er sich doch mit Feuereifer auf seine Arbeit, die ihm Freude machte. Alle mochten ihn. Aber diese braunen Augen … Womöglich würden sie ihn daran hindern, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren, und außerdem war er müde – er hatte nicht gut geschlafen neben dem Herd. Er betrat Santa María durch das Hauptportal der alten Kirche, das noch stand. Gastó Segura hatte nicht zugelassen, dass er sie ansah. Warum durfte er die Mädchen nicht ansehen? Und heute Morgen hatte er ihnen bestimmt verboten … Er stolperte über eine Schnur und wäre beinahe hingefallen. Er strauchelte noch einige Meter weiter und riss weitere Schnüre mit, bis ihn schließlich ein Paar Hände festhielt. Er verrenkte sich den Knöchel und stieß einen Schmerzensschrei aus.

»He, pass gefälligst auf.«, hörte er den Mann sagen, der ihm geholfen hatte. »Sieh nur, was du angerichtet hast!«