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Sein Knöchel schmerzte, aber er schaute zu Boden. Er hatte die Schnüre und Pflöcke umgerissen, mit denen Berenguer de Montagut … Aber das war doch nicht möglich! Arnau drehte sich langsam zu dem Mann um, der ihn aufgefangen hatte. Es konnte doch nicht der Baumeister sein! Er errötete, als er Berenguer de Montagut von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand. Dann fiel sein Blick auf die Arbeiter, die in ihrer Beschäftigung innegehalten hatten und zu ihnen hinübersahen.

»Ich … ich …«, stotterte er. »Wenn Ihr wünscht, könnte ich Euch helfen.« Er deutete auf das Knäuel aus Schnüren zu seinen Füßen. »Es tut mir leid, Meister.«

Plötzlich erhellte sich Berenguer de Montaguts Miene. Er hielt ihn noch immer am Arm gepackt.

»Du bist der Bastaix«, stellte er lächelnd fest. Arnau nickte. »Ich habe dich schon ein paar Mal gesehen.«

Berenguers Lächeln wurde breiter. Die Gesellen atmeten erleichtert auf. Arnau blickte erneut auf die Schnüre, die sich um seine Füße geschlungen hatten.

»Es tut mir leid«, wiederholte er.

»Was soll's.« Der Baumeister gab den Gesellen einen Wink. »Bringt das in Ordnung«, wies er sie an. »Komm her, setzen wir uns. Hast du dir wehgetan?«

»Ich wollte Euch nicht verärgern«, sagte Arnau und verzog schmerzlich das Gesicht, nachdem er in die Hocke gegangen war, um sich aus den Schnüren zu befreien.

»Warte.«

Berenguer de Montagut zog ihn hoch und kniete sich dann hin, um die Schnüre zu entwirren. Arnau wagte es nicht, ihn anzusehen, und blickte zu den Gesellen hinüber, die die Szene verblüfft beobachteten. Der Baumeister ging vor einem einfachen Bastaix in die Knie!

»Wir müssen achtsam mit diesen Männern umgehen!«, rief er allen Anwesenden zu, als er Arnaus Füße befreit hatte. »Ohne sie hätten wir keine Steine. Komm mit mir. Setzen wir uns. Tut es weh?«

Arnau schüttelte den Kopf, aber er humpelte. Trotzdem versuchte er, sich nicht auf den Baumeister zu stützen. Berenguer hakte ihn fest unter und führte ihn zu einigen Säulen, die auf dem Boden darauf warteten, aufgerichtet zu werden. Die beiden setzten sich darauf.

»Ich werde dir ein Geheimnis verraten«, sagte der Baumeister, nachdem sie Platz genommen hatten. Arnau sah Berenguer an. Der Baumeister wollte ihm ein Geheimnis verraten! Was würde ihm an diesem Morgen noch alles passieren? »Ich habe neulich versucht, den Stein hochzuheben, den du hierhergetragen hast. Es ist mir nicht gelungen.« Berenguer schüttelte den Kopf. »Dies ist eure Kirche«, erklärte er dann, während er seinen Blick über den Bau wandern ließ. Arnau bekam eine Gänsehaut. »Eines Tages, zu Lebzeiten unserer Enkel, ihrer Kinder oder Kindeskinder, werden die Leute nicht von Berenguer de Montagut sprechen, wenn sie diesen Bau betrachten, sondern von dir, mein Junge.«

Arnau hatte einen Kloß im Hals. Was sagte der Baumeister da? Wie sollte ein Bastaix wichtiger sein als der große Berenguer de Montagut, Baumeister von Santa María und der Kathedrale von Manresa? Er war doch der wichtige Mann hier.

»Tut es weh?«, erkundigte sich der Baumeister noch einmal.

»Nein … doch, ein bisschen. Ich habe mir nur den Knöchel verrenkt.«

»Das hoffe ich.« Berenguer de Montagut klopfte ihm auf den Rücken. »Wir brauchen deine Steine. Es ist noch viel zu tun.«

Gemeinsam mit dem Baumeister betrachtete nun auch Arnau den Bau.

»Gefällt sie dir?«, fragte Berenguer de Montagut unvermittelt.

Ob sie ihm gefiel? Diese Frage hatte er sich nie gestellt. Er sah, wie die Kirche wuchs, ihre Mauern, ihre Apsiden, ihre herrlichen schlanken Säulen, ihre Strebepfeiler, aber … Gefiel sie ihm?

»Es heißt, sie wird die schönste aller Kirchen werden, die je auf der Welt für die Jungfrau errichtet wurde«, sagte er schließlich.

Berenguer sah Arnau an und lächelte. Wie sollte er einem Jungen, einem Bastaix, erklären, wie diese Kirche aussehen sollte, wenn nicht einmal Bischöfe und Adlige imstande waren, die Größe seines Projekts zu erahnen?

»Wie heißt du?«

»Arnau.«

»Nun gut, Arnau, ich weiß nicht, ob es die schönste Kirche der Welt wird.« Arnau vergaß seinen Fuß und sah den Baumeister an. »Aber ich versichere dir, dass sie einzigartig sein wird, und einzigartig bedeutet weder besser noch schlechter, sondern einfach nur das: einzigartig.«

Berenguer de Montagut ließ seinen Blick über den Bau schweifen, dann sprach er weiter: »Hast du schon einmal von Frankreich oder der Lombardei gehört, von Genua, Pisa, Florenz?« Arnau nickte. Natürlich hatte er von den Feinden seines Landes gehört. »Nun, an all diesen Orten werden ebenfalls Kirchen erbaut. Es sind große Kathedralen, prächtig und über und über mit Schmuckelementen verziert. Die Herrschenden dieser Orte wollen, dass ihre Kirchen die größten und schönsten auf der ganzen Welt sind.«

»Wollen wir das denn nicht?«

»Ja und nein.« Berenguer de Montagut sah ihn an und lächelte. »Wir wollen, dass dies die schönste Kirche der Menschheitsgeschichte wird. Doch das wollen wir mit anderen Mitteln erreichen als die anderen. Wir wollen, dass das Haus der Schutzpatronin des Meeres das Haus aller Katalanen ist, im selben Geist ersonnen und erbaut, der uns zu dem gemacht hat, was wir sind, indem wir auf unsere ureigenen Elemente zurückgreifen: das Meer und das Licht. Begreifst du?«

Arnau dachte einige Sekunden nach. Dann schüttelte er den Kopf.

»Wenigstens bist du ehrlich«, lachte der Baumeister. »Die Herrschenden handeln zu ihrem eigenen, persönlichen Ruhm. Anders hingegen wir. Ich habe gesehen, dass ihr eure Lasten manchmal zu zweit mithilfe einer Stange tragt statt auf dem Rücken.«

»Ja, wenn sie zu groß sind, um sie auf dem Rücken zu tragen.«

»Was würde geschehen, wenn wir die Länge der Stange verdoppelten?«

»Sie würde zerbrechen.«

»Nun, genauso ist es mit den Kirchen der Herrschenden … Nein, ich will damit nicht sagen, dass sie einstürzen«, erklärte er angesichts der erschreckten Miene des Jungen. »Aber weil sie so groß, so hoch und so lang sein sollen, muss man sie sehr schmal bauen. Hoch, lang und schmal, verstehst du?« Diesmal nickte Arnau. »Unsere wird das genaue Gegenteil sein. Sie wird weder so lang werden noch so hoch, dafür aber sehr breit, damit alle Katalanen hineinpassen, vor ihrer Jungfrau vereint. Wenn sie eines Tages fertig ist, wirst du es sehen. Es wird Raum für alle Gläubigen da sein, ohne Unterschiede, und der einzige Schmuck wird das Licht sein, das Licht des Mittelmeeres. Mehr Schmuck brauchen wir nicht. Nur den Raum und das Licht, das dort hineinfallen wird.« Berenguer de Montagut deutete auf das Gewölbe und beschrieb eine Handbewegung bis zum Boden. Arnau folgte seiner Hand mit dem Blick. »Diese Kirche wird für das Volk erbaut werden, nicht zum höheren Ruhme eines Fürsten.«

»Meister …« Einer der Gesellen war zu ihnen getreten. Die Pflöcke und Schnüre waren wieder in Ordnung gebracht.

»Begreifst du nun?«

Eine Kirche für das Volk!

»Ja, Meister.«

»Deine Steine sind Gold wert für diese Kirche, denk daran«, setzte Montagut hinzu und stand auf. »Tut es noch weh?«

Arnau hatte den Knöchel völlig vergessen und schüttelte den Kopf.

Weil er von der Arbeit als Bastaix freigestellt war, kehrte Arnau an diesem Tag früher nach Hause zurück. Er fegte rasch die Kapelle, putzte die Kerzen, ersetzte die bereits heruntergebrannten und verabschiedete sich nach einem kurzen Gebet von der Jungfrau. Pater Albert sah, wie er in aller Eile die Kirche Santa María verließ, und genauso eilig sah ihn Mariona ins Haus stürzen.

»Was ist los?«, fragte ihn die alte Frau. »Was machst du so früh hier?«

Arnau blickte sich in dem Raum um. Dort saßen sie, Mutter und Töchter, am Tisch und nähten. Die drei sahen ihn an.

»Arnau«, fragte Mariona erneut, »ist etwas?«

Arnau merkte, dass er errötete.

»Nein, nein …«

Er hatte sich keine Ausrede ausgedacht! Wie hatte er nur so dumm sein können! Und sie sahen ihn an. Alle sahen ihn an, wie er dort keuchend an der Tür stand.