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Der Zufall wollte es, dass sie in diesem Moment allein waren. Er wollte die Tür hinter sich zuziehen, doch etwas trieb ihn dazu, sich noch einmal nach dem Mädchen umzudrehen. Und da stand sie neben dem Herd, aufrecht und wunderschön, und ihre braunen Augen waren eine Einladung.

Endlich! Arnau errötete und senkte den Blick. Verwirrt versuchte er die Tür zuzuziehen, doch erneut hielt er mitten in der Bewegung inne. Aledis stand immer noch dort und lockte ihn mit ihren großen braunen Augen. Sie lächelte. Aledis lächelte ihm zu.

Seine Hand glitt von der Türklinke, er stolperte und wäre beinahe hingefallen. Er wagte es nicht, sie erneut anzusehen, und lief leichtfüßig in Richtung Strand. Die Tür ließ er offen.

»Er ist verlegen«, flüsterte Aledis ihrer Schwester an diesem Abend zu, bevor ihre Eltern und ihr Bruder sich schlafen legten. Sie lagen nebeneinander auf der Matratze, die sie sich teilten.

»Warum sollte er verlegen sein?«, fragte diese. »Er ist ein Bastaix. Er arbeitet am Strand und schleppt Steine für die Jungfrau. Du bist nur ein Kind. Er ist ein Mann«, setzte sie mit einem Anflug von Bewunderung hinzu.

»Du bist selbst ein Kind«, gab Aledis zurück.

»Ah, da spricht die Frau!«, entgegnete Alesta und drehte ihr den Rücken zu. Es war der Satz, den ihre Mutter immer benutzte, wenn eine von ihnen beiden etwas wollte, was ihrem Alter nicht angemessen war.

»Schon gut, schon gut«, gab Aledis zurück.

War sie etwa keine Frau? Aledis dachte an ihre Mutter, an die Freundinnen ihrer Mutter, an ihren Vater. Vielleicht hatte ihre Schwester recht. Weshalb sollte Arnau, ein Bastaix, der ganz Barcelona seine Verehrung für die Jungfrau unter Beweis gestellt hatte, verlegen sein, weil sie, ein kleines Mädchen, ihn ansah?

»Er ist verlegen. Ich schwör's dir, er ist verlegen«, kam Aledis am nächsten Abend auf das Thema zurück.

»Du bist wirklich lästig! Warum sollte Arnau verlegen sein?«

»Ich weiß es nicht«, antwortete Aledis, »aber es ist so. Er traut sich nicht, mich anzusehen. Er wird verlegen, wenn ich ihn ansehe. Er zuckt zusammen, wird rot, geht mir aus dem Weg …«

»Du bist verrückt!«

»Mag sein, aber …« Aledis wusste, was sie sagte. Am Abend zuvor hatte ihre Schwester sie verunsichert, doch heute würde ihr das nicht gelingen. Sie beobachtete Arnau, wartete den geeigneten Moment ab, und als niemand sie überraschen konnte, trat sie ganz nahe an ihn heran, so nahe, dass sie den Geruch seines Körpers wahrnehmen konnte.

»Hallo, Arnau.«

Es war ein schlichter Gruß, begleitet von einem zärtlichen Blick. Sie stand so dicht neben ihm, dass sie ihn beinahe berührte. Und Arnau errötete erneut, wich ihrem Blick aus und ging ihr aus dem Weg. Als sie ihn weggehen sah, lächelte Aledis, stolz auf eine Macht, derer sie sich bislang nicht bewusst gewesen war.

»Morgen wirst du es sehen«, sagte sie zu ihrer Schwester.

Die Anwesenheit der neugierigen Alesta brachte sie dazu, ihr kleines Geplänkel noch weiter zu treiben. Es konnte nicht schiefgehen. Als Arnau am Morgen das Haus verlassen wollte, lehnte sich Aledis in den Türrahmen und verstellte ihm den Weg. Sie hatte es in Gedanken tausendmal durchgespielt.

»Warum willst du nicht mit mir sprechen?«, fragte sie mit zuckersüßer Stimme, während sie ihm erneut in die Augen sah.

Sie war selbst überrascht über ihre Kühnheit. Sie hatte sich diesen schlichten Satz so oft vorgesagt, wie sie sich gefragt hatte, ob sie es wohl fertigbrachte, ihn auszusprechen, ohne ins Stottern zu kommen. Arnau wandte sich instinktiv Aledis zu, während die übliche Röte auf seinen Wangen erschien. Hinaus konnte er nicht, aber er wagte es auch nicht, Aledis anzusehen.

»Ich … ich …«

»Du, du, du«, unterbrach ihn Aledis, die nun sicherer wurde. »Du weichst mir aus. Früher haben wir geredet und gelacht, und wenn ich jetzt mit dir zu sprechen versuche …«

Aledis straffte ihren Körper, so weit es ihr nur möglich war, und ihre jungen, festen Brüste zeichneten sich deutlich unter dem Kittel ab. Arnau sah sie, und alle Steine des königlichen Steinbruchs zusammen hätten seinen Blick nicht von dem ablenken können, was Aledis ihm dort darbot. Ein Schauder lief ihm den Rücken hinunter.

»Mädchen!«

Die Stimme von Eulàlia, die die Treppe hinunterkam, brachte sie alle in die Realität zurück. Aledis riss die Tür auf und verschwand nach draußen, bevor ihre Mutter das Erdgeschoss erreichte. Arnau sah Alesta an, die die Szene mit offenem Mund von der Küche aus verfolgt hatte, und verließ gleichfalls das Haus. Aledis war bereits verschwunden.

An diesem Abend tuschelten die Mädchen miteinander, ohne Antworten auf die Fragen zu finden, die die neue Erfahrung aufgeworfen hatte und die sie mit niemandem teilen konnten. Doch wenn sich Aledis einer Sache sicher war, dann war es die Macht, die ihr Körper auf Arnau ausübte. Auch wenn sie nicht wusste, wie sie es ihrer Schwester erklären sollte. Es war ein beglückendes Gefühl, das sie völlig erfüllte. Sie fragte sich, ob wohl alle Männer so reagierten, konnte sich aber keinen anderen vorstellen als Arnau. Niemals wäre sie auf die Idee gekommen, sich gegenüber Joan oder einem der Gerberlehrlinge, mit denen Simò befreundet war, so zu verhalten. Allein die Vorstellung … Doch bei Arnau war es anders. Etwas war mit ihr geschehen.

»Was ist bloß mit dem Jungen los?«, fragte Josep, der Zunftmeister, Ramon.

»Ich weiß es nicht«, antwortete dieser ehrlich.

Die beiden Männer sahen zu den Lastkähnen hinüber. Dort stand Arnau und verlangte mit großer Geste, dass man ihm eine der schwersten Lasten aufbürdete. Als er seinen Willen durchgesetzt hatte, sahen Josep, Ramon und die anderen Zunftbrüder ihn mit unsicheren Schritten davongehen, die Lippen zusammengepresst, das Gesicht vor Anstrengung verzerrt.

»Lange hält er dieses Tempo nicht durch«, stellte Josep fest.

»Er ist jung«, versuchte Ramon ihn zu verteidigen.

»Er hält das nicht durch.«

Alle hatten es bemerkt. Arnau forderte die schwersten Bündel und die schwersten Steine und schleppte sie, als ginge es um sein Leben. Er rannte beinahe zur Ausgabestelle zurück und forderte erneut schwerere Lasten, als für ihn gut waren. Am Ende des Arbeitstages schlurfte er erschöpft zu Peres Haus.

»Was ist los, Junge?«, erkundigte sich Ramon am nächsten Tag, als sie gemeinsam Waren zu den städtischen Lagerhäusern trugen.

Arnau gab keine Antwort. Ramon wusste nicht, ob er schwieg, weil er nicht sprechen wollte oder weil er aus irgendeinem Grund nicht sprechen konnte. Erneut war sein Gesicht schmerzverzerrt wegen der schweren Last, die er auf seinen Schultern trug.

»Wenn du ein Problem hast, könnte ich …«

»Nein, nein«, brachte Arnau heraus. Wie sollte er ihm erzählen, dass sich sein Körper vor Verlangen nach Aledis verzehrte? Wie sollte er ihm erzählen, dass er nur dann Ruhe fand, wenn er immer schwerere Lasten auf seinen Schultern trug, bis sein Geist nur noch danach verlangte, ans Ziel zu kommen, und er darüber ihre Augen vergaß, ihr Lächeln, ihre Brüste, ihren ganzen Körper? Wie sollte er ihm erzählen, dass er jedes Mal, wenn Aledis ihr Spiel mit ihm trieb, die Kontrolle über seine Gedanken verlor und er sie nackt neben sich liegen sah und sich vorstellte, wie sie ihn liebkoste? Dann erinnerte er sich an die Worte des Pfarrers über verbotene Beziehungen. »Sünde! Sünde!«, mahnte dieser seine Gläubigen mit fester Stimme. Wie sollte er ihm erzählen, dass er erschöpft nach Hause kommen wollte, um todmüde auf sein Lager zu fallen und trotz der Nähe des Mädchens Schlaf zu finden?

»Nein, nein«, wiederholte er. »Danke, Ramon.«

»Er wird zusammenbrechen«, behauptete Josep bei Feierabend noch einmal.

Diesmal wagte Ramon nicht, ihm zu widersprechen.

»Findest du nicht, dass du zu weit gehst?«, fragte Alesta ihre Schwester eines Abends.