Und was war mit der Kirche? Als er seinem Vater diese Frage gestellt hatte, war dessen Stimme noch wütender geworden.
»Mönche, Ordensleute, Priester, Diakone, Erzdiakone, Kanoniker, Äbte, Bischöfe … sie alle sind um keinen Deut besser als die Feudalherren, die uns unterdrücken! Sie haben uns sogar untersagt, den Habit zu nehmen, damit wir unser Land nicht verlassen können und unsere Knechtschaft ewig währt!«
»Bernat«, hatte er ihm bei diesen Gelegenheiten geraten, wenn die Kirche zur Zielscheibe seines Zorns wurde, »vertraue nie denen, die behaupten, Gott zu dienen. Sie werden dir gute Worte geben, die so hochgestochen sind, dass du sie nicht verstehst. Sie werden dich mit Argumenten zu überzeugen versuchen, denen nur sie folgen können, bis sie sich deines Verstandes bemächtigt haben. Sie werden dir gegenüber als gütige Menschen auftreten, die behaupten, uns vor dem Bösen und der Versuchung erretten zu wollen, doch in Wirklichkeit steht ihre Meinung über uns fest, und all diese Soldaten Christi, wie sie sich nennen, werden keinen Deut von dem abweichen, was in ihren Büchern steht.«
»Vater«, hatte Bernat ihn daraufhin gefragt, »was steht in ihren Büchern über uns Bauern?«
Sein Vater hatte über die Felder geblickt, bis dorthin, wo sie in den Himmel übergingen.
»Sie sagen, wir seien wie die Tiere, unfähig zu begreifen, was Höflichkeit bedeutet. Sie sagen, wir seien schändlich, niederträchtig und verabscheuungswürdig, schamlos und unwissend. Sie sagen, wir seien grausam und starrsinnig, wir hätten keine Ehre verdient, weil wir sie nicht zu schätzen wüssten, und verstünden nur die Sprache der Gewalt. Sie sagen …«
»Ist es denn so, Vater?«
»Das wollen sie aus uns machen, mein Sohn.«
»Aber Ihr betet jeden Tag, und als Mutter starb …«
»Zur Jungfrau bete ich, mein Sohn, zur Jungfrau. Unsere Jungfrau Maria hat nichts mit den Mönchen und Priestern zu schaffen. An sie können wir weiterhin glauben.«
Bernat Estanyol hätte sich gerne morgens auf die Fensterbrüstung gelehnt und mit seiner jungen Frau gesprochen, ihr erzählt, was ihm sein Vater erzählt hatte, und mit ihr gemeinsam über die Felder geschaut.
Im Oktober spannte Bernat die Ochsen an und lockerte mit dem Pflug die Felder auf, damit Sonne, Luft und Dünger der Erde wieder Kraft gaben. Dann säte er mit Francescas Hilfe das Getreide aus. Sie warf aus einem Korb die Saatkörner aus, während er zunächst mit dem Ochsengespann die Erde umpflügte und sie nach der Aussaat mithilfe einer schweren Eisenplatte wieder festdrückte. Sie arbeiteten schweigend, ein Schweigen, das nur von den Rufen unterbrochen wurde, mit denen Bernat die Ochsen antrieb und die im ganzen Tal widerhallten. Bernat glaubte, durch die gemeinsame Arbeit würden sie sich ein wenig näherkommen, aber Francesca blieb gleichgültig. Sie nahm ihren Korb und warf die Saat aus, ohne ihn auch nur anzusehen.
Der November kam, und Bernat widmete sich den Arbeiten, die in dieser Zeit des Jahres zu tun waren. Er mästete die Schweine, machte Feuerholz für das Gehöft und Häcksel für die Felder, bereitete die Äcker und Gemüsebeete vor, die im Frühjahr bestellt wurden, und beschnitt und pfropfte die Reben. Wenn er nach Hause kam, hatte sich Francesca um den Haushalt, den Gemüsegarten, die Hühner und die Kaninchen gekümmert. Abend für Abend setzte sie ihm schweigend das Essen vor und ging dann schlafen. Morgens stand sie vor ihm auf, und wenn Bernat nach unten kam, standen das Frühstück und der Brotbeutel mit dem Mittagessen auf dem Tisch. Während er frühstückte, hörte er, wie sie das Vieh im Stall versorgte.
Weihnachten war im Handumdrehen vorüber und im Januar endete die Olivenernte. Bernat besaß nicht sehr viele Olivenbäume, gerade genug, um den Bedarf des Hofes an Öl zu decken und die Abgaben an den Herrn zu zahlen.
Danach ging es für Bernat ans Schweineschlachten. Zu Lebzeiten seines Vaters hatten sich die Nachbarn, die sonst nur selten zum Hof der Estanyols kamen, stets am Schlachttag eingefunden. Bernat hatte diese Tage als wahre Festtage in Erinnerung. Die Schweine wurden geschlachtet, und dann wurde gegessen und getrunken, während die Frauen das Fleisch verarbeiteten.
Eines Morgens erschienen die Esteves: Vater, Mutter und zwei der Brüder. Bernat begrüßte sie im Hof. Francesca wartete hinter ihm.
»Wie geht es dir, Tochter?«, fragte ihre Mutter.
Francesca antwortete nicht, ließ sich jedoch umarmen. Bernat beobachtete die Szene: Die Mutter schloss ihre Tochter liebevoll in die Arme, in der Hoffnung, diese werde es ihr gleichtun. Doch das tat sie nicht; sie blieb stocksteif. Bernat sah seinen Schwiegervater an.
»Francesca«, sagte Pere Esteve nur, während er es nicht über sich brachte, seiner Tochter in die Augen zu blicken.
Ihre Brüder begrüßten sie mit einer Handbewegung.
Francesca ging zum Stall, um das Schwein zu holen; die übrigen blieben im Hof stehen. Niemand sagte etwas, nur das erstickte Schluchzen der Mutter war zu hören. Bernat war versucht, sie zu trösten, ließ es jedoch bleiben, als er sah, dass weder ihr Mann noch ihre Söhne Anstalten dazu machten.
Francesca erschien mit dem Schwein, das sich weigerte, ihr zu folgen, so als wüsste es, welches Schicksal ihm bevorstand, und übergab es ihrem Mann. Bernat und Francescas Brüder warfen das Schwein um und setzten sich darauf. Die schrillen Schreie des Tieres hallten durch das ganze Tal der Estanyols. Pere Esteve trennte ihm mit einem sicheren Schnitt die Kehle durch, und alle warteten schweigend ab, während das Blut des Tieres in die Schüsseln floss, die von den Frauen ausgetauscht wurden, wenn sie voll waren.
Sie tranken nicht einmal ein Glas Wein, während Mutter und Tochter das mittlerweile zerteilte Schwein verarbeiteten.
Als gegen Abend die Arbeit beendet war, versuchte die Mutter erneut, ihre Tochter zu umarmen. Bernat beobachtete die Szene und wartete auf eine Reaktion seiner Frau, doch die gab es nicht. Ihr Vater und ihre Brüder verabschiedeten sich mit gesenktem Blick von ihr. Die Mutter trat zu Bernat.
»Ruf mich, wenn du meinst, dass das Kind kommt«, sagte sie zu ihm, etwas abseits von den anderen. »Ich glaube nicht, dass sie es tun wird.«
Die Esteves machten sich auf den Heimweg. Als Francesca an diesem Abend die Treppe zur Schlafkammer hinaufstieg, konnte Bernat nicht anders, als auf ihren Leib zu starren.
Ende Mai, am ersten Tag der Ernte, blickte Bernat, die Sichel über der Schulter, auf seine Felder. Wie sollte er alleine das ganze Getreide einbringen? Vor zwei Wochen hatte er Francesca jegliche Anstrengung verboten, nachdem sie zweimal ohnmächtig geworden war. Bernat blickte erneut über die riesigen Felder, die ihn erwarteten. Die Frauen auf dem Land bekamen ihre Kinder während der Arbeit, aber nachdem Francesca zum zweiten Mal zusammengebrochen war, hatte er nicht umhingekonnt, sich Sorgen zu machen. Und wenn das Kind nicht seines war?
Bernat packte die Sichel und begann mit Kraft, das Korn zu schneiden. Die Ähren flogen nur so durch die Luft. Die Mittagssonne stand hoch am Himmel. Bernat hielt nicht einmal inne, um zu essen. Das Feld war schier endlos. Er hatte immer gemeinsam mit seinem Vater das Korn geschnitten, selbst als dieser bereits krank gewesen war. Die Getreideernte schien ihm neue Kraft zu verleihen. »Auf geht's, mein Sohn!«, hatte er ihn ermuntert. »Warten wir nicht, bis uns ein Unwetter oder ein Hagelschauer die Ernte vernichten.« Und dann hatten sie gesichelt. Wenn einer von beiden müde war, hatte er Unterstützung beim anderen gesucht. Sie hatten im Schatten gegessen und guten Wein getrunken, den gereiften seines Vaters, und geplaudert und gelacht … Nun hörte er seine Sichel durch die Luft zischen und die Ähren schneiden, sonst nichts, nur die Sichel, und die Frage, wer der Vater seines zukünftigen Kindes war, ging ihm einfach nicht mehr aus dem Kopf.
In den folgenden Tagen war Bernat bis Sonnenuntergang bei der Ernte. Einmal arbeitete er sogar im Mondschein. Wenn er zum Gehöft zurückkehrte, stand das Abendessen auf dem Tisch. Er wusch sich am Becken und aß lustlos. Bis sich eines Abends plötzlich die Wiege bewegte, die er während des Winters getischlert hatte, als Francescas Schwangerschaft nicht mehr zu übersehen gewesen war. Bernat bemerkte es aus den Augenwinkeln, löffelte aber weiter seine Suppe. Ein Löffel, zwei, drei. Die Wiege bewegte sich erneut. Bernat starrte hinüber, der vierte Löffel mit Suppe war in der Luft versteinert. Er sah sich im Raum um, ob etwas auf die Anwesenheit seiner Schwiegermutter hindeutete, aber nein. Francesca hatte das Kind alleine zur Welt gebracht … und sich dann schlafen gelegt.