Am nächsten Morgen verlor Aledis ihre Jungfräulichkeit unter einem gebrechlichen, kraftlosen Körper, der ungeschickt Besitz von ihr ergriff. Sie fragte sich, ob sie je etwas anderes dabei würde empfinden können als Ekel.
Wenn Aledis aus irgendeinem Grund nach unten in die Werkstatt musste, betrachtete sie die jungen Lehrlinge ihres Mannes. Weshalb nur würdigten sie sie keines Blickes? Sie hingegen schaute genau hin. Ihre Augen ruhten auf den Muskeln dieser jungen Burschen und ergötzten sich an den Schweißperlen, die ihnen auf der Stirn standen, über Gesicht und Hals hinabrannen und auf ihren starken, kräftigen Körpern glänzten. Aledis' Blicke verfolgten die steten Bewegungen ihrer Arme, während sie das Leder walkten, immer und immer wieder … Doch die Anweisung ihres Mannes war unmissverständlich gewesen: »Zehn Peitschenhiebe für jeden, der meine Frau zum ersten Mal ansieht. Beim zweiten Mal setzt es zwanzig Hiebe, beim dritten Mal ist das Essen gestrichen.« Aledis fragte sich Nacht für Nacht, wo die Lust blieb, von der man ihr erzählt hatte, die Lust, nach der ihre Jugend verlangte und die ihr der Greis niemals würde schenken können, dem man sie zur Frau gegeben hatte.
In manchen Nächten zerkratzte ihr der alte Gerbermeister mit seinen zerschundenen Händen die Haut, andere Male zwang er sie, ihn mit der Hand zu befriedigen, dann wieder drang er in sie ein, in aller Hast, bevor ihn die Schwäche daran hinderte, den Akt zu vollziehen. Danach schlief er immer sofort ein. In einer dieser Nächte stand Aledis leise auf, um ihn nicht zu wecken, doch der Alte drehte sich nicht einmal um.
Sie schlich in die Werkstatt hinunter. Dort ging sie zwischen den Arbeitstischen umher, die sich im Halbdunkel abzeichneten, und strich mit den Fingern über die glatten Tischplatten. Begehrt ihr mich nicht? Gefalle ich euch nicht? Aledis dachte sehnsuchtsvoll an die Lehrlinge, während sie zwischen den Tischen umherschlich, als plötzlich ein schwacher Lichtstrahl in einer Ecke der Gerberei ihre Aufmerksamkeit erregte. In der Bretterwand, die die Werkstatt von dem Schlafraum der Lehrlinge trennte, befand sich ein kleines Astloch. Aledis blickte hindurch und schreckte zurück. Sie zitterte. Dann presste sie erneut das Auge an die Öffnung. Sie waren nackt! Für einen Moment befürchtete sie, ihr Atem könnte sie verraten. Einer von ihnen lag auf seinem Bett und berührte sich selbst!
»An wen denkst du?«, fragte ein anderer ganz nah an der Wand, hinter der Aledis lauschte. »An die Frau des Meisters?«
Der andere gab keine Antwort. Aledis brach der Schweiß aus. Ohne es zu merken, glitt eine Hand zwischen ihre Beine, und während sie den Jungen beobachtete, der an sie dachte, lernte sie, sich selbst Lust zu verschaffen. Den Rücken gegen die Wand gelehnt, ließ sie sich zu Boden sinken.
Am nächsten Morgen ging Aledis voller Verlangen an dem Arbeitsplatz des Lehrlings vorbei. Vor dem Tisch hielt sie unwillkürlich inne. Schließlich blickte der Lehrling einen Augenblick hoch. Sie wusste, dass der Junge sich berührt und dabei an sie gedacht hatte, und lächelte.
Am Nachmittag wurde Aledis in die Werkstatt gerufen. Dort erwartete sie der Gerbermeister, hinter dem Lehrling stehend.
»Meine Liebe«, sagte er zu ihr, als sie vor ihm stand, »du weißt doch, dass ich es nicht mag, wenn man meine Lehrlinge ablenkt.«
Aledis betrachtete den Rücken des Jungen. Zehn feine, blutige Striemen zeichneten sich darauf ab. Sie gab keine Antwort. In dieser Nacht schlich sie nicht in die Werkstatt hinunter, auch nicht in der nächsten und übernächsten. Doch dann begann sie wieder, sich erneut Nacht für Nacht davonzustehlen, um ihren Körper zu liebkosen und dabei an Arnaus Hände zu denken. Er war alleine. Seine Augen hatten es ihr verraten. Sie musste ihn bekommen!
23
In Barcelona wurde immer noch gefeiert.
Es war ein bescheidenes Haus, wie die Häuser aller Bastaixos, obwohl dieses Bartolomé gehörte, einem der Zunftmeister. Wie die meisten Bastaixos wohnte auch er in einer der engen Gassen, die von Santa María, der Plaza del Born oder dem Pia d'en Llull zum Strand führten. Das Erdgeschoss, in dem sich der Herd befand, war aus Lehmziegeln gebaut, das nachträglich errichtete Obergeschoss aus Holz.
Arnau lief das Wasser im Munde zusammen angesichts des Essens, das Bartolomés Frau zubereitete: Weißbrot aus Weizenmehl, Kalbfleisch mit Gemüse, das zusammen mit Speck vor den Augen der Gäste in einer großen Pfanne auf dem Herd brutzelte, gewürzt mit Paprika, Zimt und Safran. Dazu gab es Honigwein, Käse und süße Kuchen.
»Was feiern wir?«, fragte Arnau. Ihm gegenüber am Tisch saß Joan, zu seiner Linken Bartolomé und zu seiner Rechten Pater Albert.
»Das wirst du noch erfahren«, antwortete der Pfarrer.
Arnau sah Joan an, doch dieser schwieg.
»Du wirst schon sehen«, bestätigte Bartolomé. »Jetzt iss.«
Arnau zuckte ratlos mit den Schultern, während Bartolomés älteste Tochter ihm einen Teller Fleisch und einen halben Laib Brot reichte.
»Meine Tochter Maria«, sagte Bartolomé.
Arnau nickte, doch seine Aufmerksamkeit galt dem Teller.
Als das Essen vor den vier Männern stand und der Pfarrer das Tischgebet gesprochen hatte, begannen sie schweigend zu essen. Bartolomés Frau, seine Tochter und vier weitere Kinder saßen mit ihren Tellern auf dem Fußboden, doch sie aßen lediglich den üblichen Eintopf.
Arnau kostete von dem Fleisch mit Gemüse. Welch unbekannte Genüsse! Paprika, Zimt und Safran – das aßen normalerweise nur die Adligen und reichen Händler. »Wenn wir diese Gewürze entladen«, hatte ihm einer der Hafenschiffer einmal am Strand erzählt, »dann schicken wir ein Stoßgebet zum Himmel. Wenn sie ins Wasser fallen oder verderben, hätten wir nicht genug Geld, um für den Schaden aufzukommen. Der Kerker wäre uns gewiss.« Er brach ein Stück Brot und führte es zum Mund. Dann ergriff er das Glas mit dem Honigwein. Aber warum sahen sie ihn so an? Die anderen beobachteten ihn, da war er sich sicher. Nur Joan blickte nicht vom Essen auf. Arnau widmete sich wieder dem Fleisch, doch er sah aus den Augenwinkeln, wie Joan und Pater Albert sich Zeichen gaben.
»Also, was ist hier los?« Arnau legte den Löffel hin.
Bartolomé sah ihn an.
»Dein Bruder hat beschlossen, den Habit zu nehmen und in den Franziskanerorden einzutreten«, erklärte Pater Albert.
»Das ist es also.« Arnau erhob sein Weinglas und prostete Joan lächelnd zu. »Herzlichen Glückwunsch! Das ist doch wunderbar!«
Doch Joan stieß nicht mit ihm an. Genauso wenig wie Bartolomé und der Priester. Arnau zögerte, sein Glas immer noch erhoben. Was war hier los? Abgesehen von den vier kleineren Kindern, die ungerührt weiteraßen, sahen ihn alle an.
Arnau stellte das Glas ab.
»Und?«, wandte er sich direkt an seinen Bruder.
»Ich kann nicht.« Arnau schaute überrascht drein. »Ich will dich nicht alleine zurücklassen. Ich werde nur in den Orden eintreten, wenn ich weiß, dass du … dass du eine gute Frau an deiner Seite hast, die zukünftige Mutter deiner Kinder.«
Joan begleitete seine Worte mit einem Seitenblick auf Bartolomés Tochter, die ihr Gesicht verbarg.
Arnau seufzte.
»Du solltest heiraten und eine Familie gründen«, mischte sich Pater Albert ein.
»Du kannst nicht alleine bleiben«, erklärte Joan.
»Es wäre eine Ehre für mich, wenn du meine Tochter Maria zur Frau nähmest«, sagte Bartolomé mit einem Blick auf seine Tochter, die sich verlegen an ihre Mutter schmiegte. »Du bist ein gesunder, fleißiger Mann, anständig und gottesfürchtig. Ich biete dir eine gute Frau, der ich genügend Mitgift gäbe, damit ihr euch eine eigene Wohnung suchen könntet. Außerdem weißt du ja, dass die Zunft ihren verheirateten Mitgliedern mehr zahlt.«