Выбрать главу

Während der ersten Stunden unterwegs hatte sich Aledis einer Gruppe von Bauern angeschlossen, die auf dem Heimweg waren, nachdem sie ihre Waren in der Stadt verkauft hatten. Sie erklärte ihnen, dass sie auf der Suche nach ihrem Mann sei, denn sie sei schwanger und habe sich gesagt, dass er davon wissen solle, bevor er in die Schlacht ziehe. Von ihnen erfuhr sie, dass Figueras fünf oder sechs ordentliche Tagereisen entfernt war, wenn man der Straße nach Gerona folgte. Doch sie hatte auch Gelegenheit, sich die Ratschläge zweier alter, zahnloser Frauen anzuhören, die unter der Last der leeren Körbe, die sie trugen, zusammenzubrechen schienen. Dennoch schritten sie unbeirrt vorwärts, barfuß, mit einer erstaunlichen Energie in ihren alten, dünnen Körpern.

»Es ist nicht gut, wenn eine Frau alleine auf diesen Straßen unterwegs ist«, sagte eine von ihnen kopfschüttelnd.

»Nein, das ist nicht gut«, pflichtete die andere bei.

Es vergingen einige Sekunden, lang genug, damit die beiden wieder zu Atem kamen.

»Erst recht nicht, wenn sie jung und hübsch ist«, setzte die Zweite hinzu.

»Wie wahr, wie wahr«, nickte die Erste.

»Was soll mir schon geschehen?«, fragte Aledis unbedarft. »Der Weg ist voller anständiger Leute wie euch.«

Sie musste wieder warten, während die beiden alten Frauen erneut schwiegen und ihre Schritte beschleunigten, damit der Abstand zu der Gruppe von Bauern nicht noch größer wurde.

»Hier begegnen dir noch Leute. Es gibt viele Dörfer rund um Barcelona, die, wie wir, von der Stadt leben. Doch ein Stück weiter«, setzte sie hinzu, ohne vom Boden aufzusehen, »wenn die Entfernungen zwischen den Dörfern immer größer werden und es keine Stadt gibt, in der man Zuflucht suchen kann, sind die Wege einsam und gefährlich.«

Diesmal hatte ihre Reisegefährtin nichts hinzuzufügen. Doch nach einer weiteren Pause wandte sie sich noch einmal an Aledis.

»Wenn du alleine bist, dann achte darauf, dich nicht blicken zu lassen. Versteck dich beim kleinsten Geräusch und vermeide jegliche Gesellschaft.«

»Auch wenn es Ritter sind?«, fragte Aledis.

»Dann ganz besonders«, entfuhr es der einen.

»Wenn du das Getrappel von Pferdehufen hörst, versteck dich und bete!«, rief die andere.

»Hör zu, Mädchen«, riet ihr die eine, und die andere nickte zustimmend, »ich an deiner Stelle würde in die Stadt zurückkehren und dort auf meinen Mann warten. Die Wege sind sehr gefährlich, besonders wenn die Soldaten und Ritter mit dem König auf Feldzug sind. Dann gibt es kein Gesetz, niemand sieht nach dem Rechten, und niemand fürchtet die Strafe eines Königs, der mit anderen Dingen beschäftigt ist.«

Aledis ging nachdenklich neben den beiden alten Frauen her. Sich vor den Rittern verstecken? Weshalb sollte sie das tun? Alle Edelleute, die in die Werkstatt ihres Mannes gekommen waren, hatten sich ihr gegenüber höflich und respektvoll verhalten. Noch nie hatte sie von den zahlreichen Händlern, die ihren Mann mit Material belieferten, von Überfällen und Gewalttaten auf den Straßen des Prinzipats gehört. Hingegen erinnerte sie sich an die Schauergeschichten von gefährlichen Seeüberfahrten, Reisen durchs Maurenland oder die entlegensten Gegenden des Sultans von Ägypten, die sie gerne zum Besten gaben. Ihr Mann hatte ihr erzählt, dass die Wege in Katalonien seit über zweihundert Jahren den Gesetzen und dem Schutz des Königs unterstanden und eine Person, die es wagte, ein Verbrechen auf einer Straße des Königs zu begehen, wesentlich härter bestraft werde, als hätte er dasselbe Verbrechen an einem anderen Ort begangen. »Für den Handel sind friedliche Straßen unverzichtbar!«, hatte er hinzugesetzt. »Wie sollten wir unsere Waren in ganz Katalonien verkaufen, wenn der König nicht für Ruhe sorgt?«

Aledis betrachtete die beiden alten Frauen, die schweigend weitergingen, mit ihren Körben beladen und die nackten Füße nachziehend. Wer sollte es wagen, ein Verbrechen gegen seine Majestät zu begehen? Welcher Christ würde es riskieren, exkommuniziert zu werden, weil er einen Überfall auf katalanischen Wegen verübte? Das waren ihre Gedanken, als die Bauern nach San Andrés abbogen.

»Leb wohl, Mädchen«, verabschiedeten sich die beiden Alten. »Und höre auf unsere Worte«, gab ihr eine von ihnen mit auf den Weg. »Wenn du dich entschließt weiterzugehen, dann sei vorsichtig. Halte dich von Dörfern und Städten fern. Man könnte dich sehen und dir folgen. Mache nur an Gehöften halt, und nur an solchen, wo du Frauen und Kinder siehst.«

Aledis blickte der Gruppe hinterher. Die beiden alten Frauen bemühten sich, den Anschluss an die übrigen Bauern nicht zu verlieren. Als sich die Stimmen ihrer Reisegefährten in der Ferne verloren, fühlte sich Aledis allein. Sie hatte noch einen weiten Weg vor sich. Sie blickte in die Ferne, eine Hand schützend vor die Sonne haltend, die bereits hoch am Himmel stand, einem azurblauen Himmel ohne eine einzige Wolke, der sich am Horizont mit der weiten, üppigen Landschaft Kataloniens vereinte.

Vielleicht waren es nicht nur das Gefühl von Einsamkeit, von dem das Mädchen ergriffen wurde, nachdem die Bauern verschwunden waren, und das Unbehagen, allein in einer unbekannten Gegend zu sein. Tatsächlich hatte Aledis noch nie den Himmel und die Erde gesehen, ohne dass sich dem Betrachter etwas in den Weg gestellt hatte. Sich um die eigene Achse drehen und stets bis zum Horizont blicken zu können! Aledis ließ den Blick schweifen, bis zu der Stelle, hinter der, wie man ihr gesagt hatte, Figueras lag. Sie spürte den Gerüchen der Stadt nach, dem Geruch nach Leder, dem Geschrei der Menschen, dem Lärmen einer lebendigen Stadt. Doch da war nichts. Sie war allein. Plötzlich fielen ihr die Worte der beiden alten Frauen wieder ein. Sie versuchte, Barcelona in der Ferne auszumachen. Fünf oder sechs Tagesreisen! Wo sollte sie nur schlafen? Was sollte sie essen? Sie wog prüfend ihr Bündel. Und wenn es stimmte, was die alten Frauen sagten? Was sollte sie tun? Was konnte sie gegen einen Ritter oder gegen einen Verbrecher ausrichten? Die Sonne stand hoch am Himmel. Aledis blickte wieder in die Richtung, wo sich Figueras befand … und Arnau.

Sie war doppelt wachsam. Sie hielt Augen und Ohren offen, achtete auf jedes Geräusch, das in der Einsamkeit des Weges zu hören war. Gegen Mittag, in der Nähe von Monteada, dessen Burg, auf der gleichnamigen Anhöhe errichtet, über die Ebene von Barcelona wachte, füllte sich der Weg wieder mit Bauern und Händlern. Aledis schloss sich ihnen an, als gehörte sie zu einer der Gruppen, die in die Stadt strömten, doch als sie die Stadttore erreichte, erinnerte sie sich an die Ratschläge der alten Frauen und ging querfeldein um die Stadt herum, bis sie wieder auf den Weg traf.

Erleichtert stellte Aledis fest, dass sich mit jedem Schritt ihre Ängste zerstreuten, die sie gepackt hatten, nachdem sie alleine auf dem Weg zurückgeblieben war. Nördlich von Monteada traf sie erneut Bauern und Händler, die meisten zu Fuß, einige auf Karren, Maultieren oder Eseln. Alle grüßten sie freundlich, und Aledis begann diese offene Art des Umgangs zu genießen. Wie schon zuvor schloss sie sich einer Gruppe an, diesmal von Händlern, die auf dem Weg nach Ripollet waren. Sie halfen ihr, einen Seitenarm des Río Besos zu durchwaten, doch kaum auf der anderen Seite angekommen, bogen sie nach links ab, in Richtung Ripollet. Wieder alleine, traf Aledis nach kurzer Zeit auf den richtigen Río Besos. Zu dieser Jahreszeit führte er noch genug Wasser, um eine Durchquerung zu Fuß unmöglich zu machen.