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»Ja … nein …« Aledis betrachtete sich erneut. Das Kleid war lindgrün. Ob diese Frauen etwas hatten, das man sich um die Schultern legen konnte? Wenn sie sich bedeckte, würde niemand sie für eine Dirne halten.

Die Patronin musterte sie von oben bis unten. Sie hatte sich nicht getäuscht. Ein sinnlicher Körper, der jeden Offizier erfreuen würde. Und ihre Augen? Die beiden Frauen sahen sich an. Sie waren riesig. Braun. Doch sie blickten traurig.

»Was führt dich hierher, Mädchen?«

»Mein Mann. Er ist in der Armee und ist aufgebrochen, ohne zu wissen, dass er Vater wird. Ich wollte es ihm sagen, bevor er in die Schlacht zieht.«

Sie sagte das, ohne zu stocken, genau wie bei den Händlern, die sie aus dem Fluss gerettet hatten, nachdem der Fährmann versucht hatte, sich ihrer zu entledigen. Als die Händler aufgetaucht waren, hatte er die Flucht ergriffen. Sie zogen die ohnmächtige Aledis aus dem Wasser, und als sie sahen, dass sie vergewaltigt worden war, hatten sie Mitleid mit ihr.

»Man muss ihn beim Stadtrichter anzeigen«, sagten sie zu ihr.

Aber was sollte sie dem Stellvertreter des Königs sagen? Und wenn ihr Mann hinter ihr her war? Und wenn man sie entdeckte? Es würde zu einem Prozess kommen, und dann …

»Nein. Ich muss das königliche Feldlager erreichen, bevor die Truppen nach Roussillon aufbrechen«, sagte sie, nachdem sie ihnen erklärt hatte, dass sie schwanger sei und ihr Mann nichts davon wisse. »Dort werde ich meinem Mann alles erzählen, und er wird entscheiden.«

Die Händler begleiteten sie bis nach Gerona. Bei der Kirche Sant Feliu vor den Toren der Stadt trennte sich Aledis von ihnen. Der Älteste schüttelte den Kopf, als er sie so alleine und zerlumpt vor der Kirche stehen sah. Aledis hatte sich jedoch an den Ratschlag der alten Frauen erinnert: Halte dich von den Dörfern und Städten fern, und das beherzigte sie nun. Gerona war eine Stadt mit sechstausend Einwohnern. Von dort, wo sie stand, konnte sie das Dach der Kirche Santa María sehen, die sich noch im Bau befand. Daneben den Bischofspalast und neben diesem die hohe, trutzige Torre Gironella, die stärkste Verteidigungsanlage der Stadt. Nachdem sie eine Weile die Ansicht genossen hatte, machte sie sich wieder auf den Weg nach Figueras.

Die Patronin beobachtete Aledis, während diese in Erinnerungen an ihre Reise versunken war. Sie bemerkte, dass das Mädchen zitterte.

Aledis spürte das eng anliegende Kleid auf ihrem flachen, festen Bauch. Sie trat nervös von einem Fuß auf den anderen und sah zu Boden. Was starrte diese Frau sie so an?

Über das Gesicht der Patronin huschte ein zufriedenes Lächeln, das Aledis nicht sehen konnte. Wie oft war sie Zeugin solcher stummen Geständnisse geworden? Mädchen, die sich Geschichten ausdachten, deren Lügen jedoch nicht einmal dem geringsten Druck standhielten. Dann wurden sie nervös und schlugen die Augen nieder wie dieses Mädchen. Wie viele Schwangerschaften hatte sie gesehen? Dutzende? Hunderte? Noch nie hatte ihr ein Mädchen mit einem so festen, flachen Bauch erzählt, es sei schwanger. Ein Irrtum? Womöglich, aber es war unvorstellbar, dass sie nur wegen eines Irrtums hinter ihrem Mann herlief, der auf dem Weg in den Krieg war, um ihm davon zu erzählen.

»In dieser Aufmachung kannst du nicht ins königliche Feldlager gehen.« Aledis blickte auf, als sie die Patronin hörte, und sah erneut an sich herunter. »Es ist uns untersagt, dort zu erscheinen. Wenn du willst, könnte ich deinen Mann ausfindig machen.«

»Ihr? Ihr würdet mir helfen? Weshalb solltet Ihr das tun?«

»Habe ich dir nicht schon geholfen? Ich habe dir zu essen gegeben, habe dich gewaschen und angekleidet. Niemand in diesem Lager von Verrückten hat das getan, oder?« Aledis nickte. Es lief ihr kalt den Rücken herunter, wenn sie daran dachte, wie man sie behandelt hatte. »Warum wundert dich das also?« Aledis zögerte. »Gewiss, wir sind öffentliche Frauen, doch das bedeutet nicht, dass wir kein Herz haben. Wenn mir vor Jahren jemand geholfen hätte …« Die Patronin blickte ins Leere, ihre Worte hingen in der Luft. »Nun, egal. Wenn du willst, kann ich es tun. Ich kenne viele Leute im Feldlager. Es wäre nicht schwer für mich, deinen Mann herzuholen.«

Aledis wägte das Angebot ab. Warum eigentlich nicht?

Die Patronin hingegen dachte an ihre zukünftige Neuerwerbung. Es würde ein Leichtes sein, den Mann zu beseitigen. Ein Streit im Feldlager … Die Soldaten schuldeten ihr zahlreiche Gefälligkeiten, und zu wem sollte das Mädchen dann gehen? Sie war alleine. Sie würde sich ihr anvertrauen. Die Schwangerschaft, so sie der Wahrheit entsprach, stellte kein Problem dar. Wie viele solcher Probleme hatte sie für ein paar Münzen gelöst?

»Ich danke Euch«, stimmte Aledis zu.

Jetzt gehörte sie ihr.

»Wie heißt dein Mann und woher kommt er?«

»Er gehört dem Bürgerheer von Barcelona an und er heißt Arnau, Arnau Estanyol.« Die Patronin fuhr zusammen. »Ist etwas?«, fragte Aledis.

Die Frau nahm einen Hocker und setzte sich. Sie atmete schwer.

»Nein«, antwortete sie. »Es muss diese verfluchte Hitze sein. Reich mir mal den Fächer dort.«

Es konnte nicht sein, sagte sie sich, während Aledis ihrer Bitte nachkam. Ihre Schläfen pochten. Arnau Estanyol! Es konnte nicht sein.

»Beschreibe mir deinen Mann«, sagte sie, während sie dasaß und sich Luft zufächelte.

»Oh, er muss ganz einfach zu finden sein. Er ist Lastenträger im Hafen. Er ist jung und stark, groß und schön, und er hat ein Muttermal neben dem rechten Auge.«

Die Patronin fächelte sich schweigend Luft zu. Ihr Blick ging durch Aledis hindurch, zu einem Dörfchen namens Navarcles, einer Hochzeitsfeier, einem Bett und einer Burg … Zu Llorenç de Bellera, der Schande, dem Hunger, dem Schmerz … Wie viele Jahre waren seither vergangen? Zwanzig? Ja, es mussten zwanzig sein, vielleicht mehr. Und nun …

Aledis unterbrach ihr Schweigen:

»Kennt Ihr ihn?«

»Nein … nein.«

Hatte sie ihn je gekannt? Eigentlich hatte sie kaum Erinnerungen an ihn. Sie war damals fast noch ein Kind gewesen!

»Werdet Ihr mir helfen, ihn zu finden?«, unterbrach Aledis erneut ihre Gedanken.

»Das werde ich«, beteuerte sie, während sie ihr den Ausgang des Zeltes wies.

Als Aledis gegangen war, schlug Francesca die Hände vors Gesicht. Arnau! Es war ihr gelungen, ihn zu vergessen. Sie hatte sich dazu gezwungen, hatte keine andere Wahl gehabt, und nun, zwanzig Jahre später … Wenn das Mädchen die Wahrheit sagte, dann wäre dieses Kind, das sie in ihrem Leib trug … ihr Enkel! Und sie hatte erwogen, es zu töten. Zwanzig Jahre! Wie er wohl war? Aledis hatte gesagt, er sei groß, stark und hübsch. Sie hatte keine Erinnerung an ihn, nicht einmal als Neugeborenen. Es war ihr gelungen, ihn in der warmen Schmiede unterzubringen, doch dann hatte sie ihren Jungen nicht mehr besuchen können. »Diese Schufte! Ich war fast noch ein Kind, und sie standen Schlange, um mich zu vergewaltigen!« Eine Träne rollte ihr über die Wange. Wie lange hatte sie nicht mehr geweint? Selbst damals, vor zwanzig Jahren, hatte sie nicht geweint. »Der Kleine ist bei Bernat besser aufgehoben«, hatte sie gedacht. Als Doña Caterina von der ganzen Sache erfuhr, hatte sie sie mit einer Ohrfeige davongejagt, und Francesca war zunächst unter der Soldateska herumgereicht worden und hatte dann von den Abfällen an der Burgmauer gelebt. Niemand begehrte sie mehr, und wie zahlreiche andere Unglückliche trieb sie sich zwischen Exkrementen und Abfällen herum, um sich um schimmelige, von Maden zerfressene Brotkanten zu streiten. Dort begegnete sie einem Mädchen, das wie sie im Unrat stocherte. Es war dünn, aber hübsch. Niemand gab auf die Kleine acht. Vielleicht … Sie bot ihr Essensreste an. Das Mädchen lächelte und seine Augen strahlten. Wahrscheinlich kannte es kein anderes Leben als dieses. In einem Bachlauf wusch sie die Kleine und schrubbte ihre Haut mit Sand ab, bis sie vor Schmerz und Kälte schrie. Dann musste sie sie nur noch zu einem der Bediensteten der Burg des Herrn von Bellera bringen. So hatte alles begonnen. »Ich bin hart geworden, mein Sohn, so hart, dass schließlich ein Panzer mein Herz umschloss. Was hat dir dein Vater über mich erzählt? Dass ich dich dem Tod überlassen habe?«