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Kelsey ging bis zur Mitte des Raumes. Dort kniete der Polizeiarzt neben der Leiche. Als Kelsey sich näherte, blickte er auf.

»Sie ist aus einer Entfernung von gut einem Meter erschossen worden«, sagte er. »Herzschuss. Sie muss sofort tot gewesen sein.«

»Wann?«

»Ungefähr vor einer Stunde.«

Kelsey nickte. Dann näherte er sich einer großen, grauhaarigen Frau, die mit dem grimmigen Gesicht eines Wachhundes an der Wand lehnte. Etwa fünfundfünfzig, dachte er, intelligente Stirn, eigensinniger Mund, bestimmt nicht hysterisch. Eine Frau, die man im täglichen Leben vielleicht leicht übersieht, auf die man sich in kritischen Zeiten aber verlassen konnte.

»Miss Chadwick?«, fragte er.

»Ja.«

»Sie haben zusammen mit Miss Johnson die Leiche gefunden, nicht wahr?«

»Ja. Als wir kamen, war Miss Springer bereits tot.«

»Um welche Zeit war das?«

»Als Miss Johnson mich weckte, sah ich auf die Uhr. Es war zehn Minuten vor eins.«

Kelsey nickte. Das stimmte mit Miss Johnsons Aussage überein. Er betrachtete die Tote nachdenklich. Ihr brandrotes Haar war kurzgeschnitten. Ihr Gesicht war mit Sommersprossen übersät, sie hatte ein kräftiges Kinn und einen sehnigen, durchtrainierten Körper. Sie trug einen Tweedrock, einen schweren, dunklen Pullover, flache Schuhe, jedoch keine Strümpfe.

»Ist die Waffe gefunden worden?«

Einer der Polizeibeamten schüttelte den Kopf.

»Nein.«

»Und die Taschenlampe?«

»Liegt dort in der Ecke.«

»Fingerabdrücke?«

»Ja, die der Toten.«

»Also ist sie mit einer Taschenlampe hergekommen«, sagte Kelsey nachdenklich. »Aber warum?« Er richtete diese Frage zum Teil an sich selbst und seine Leute, zum Teil an Miss Bulstrode und an Miss Chadwick. Schließlich fragte er die Letztere nochmal ausdrücklich: »Was denken Sie?«

Miss Chadwick schüttelte den Kopf.

»Ich habe keine Ahnung. Sie mag hier etwas vergessen haben. Allerdings kann ich mir in diesem Fall nicht vorstellen, warum sie es mitten in der Nacht holen wollte.«

»Es sei denn, dass es sich um etwas sehr Wichtiges handelte«, meinte Kelsey.

Er blickte sich um. Nichts schien berührt worden zu sein, mit Ausnahme des Schlägerständers, der von der Wand abgerückt worden war. Auf dem Boden lagen mehrere Tennisschläger.

»Es ist durchaus möglich, dass auch sie, ebenso wie Miss Johnson, hier ein Licht bemerkt hat und nach dem Rechten sehen wollte. Das scheint mir sogar am wahrscheinlichsten zu sein.«

»Das glaube ich auch«, entgegnete Kelsey. »Ich frage mich nur, ob sie wirklich allein in die Turnhalle gegangen wäre.«

»Ja«, sagte Miss Chadwick ohne Zögern.

»Aber Miss Johnson hat Sie geweckt und Sie gebeten, mitzukommen.«

»Sehr richtig, und ich hätte ebenfalls eine meiner Kolleginnen geweckt, wenn ich das Licht zuerst gesehen hätte«, erwiderte Miss Chadwick. »Miss Springer war da anders. Sie besaß enormes Selbstvertrauen – sie hätte es sogar vorgezogen, sich einem Eindringling allein entgegenzustellen.«

»Noch eine Frage: War die Seitentür, durch die Sie und Miss Johnson das Haus verließen, offen?«

»Ja.«

»Vielleicht hatte Miss Springer die Tür aufgeschlossen?«

»Das scheint die logische Schlussfolgerung zu sein«, erwiderte Miss Chadwick.

»Wir nehmen also an, dass Miss Springer Licht in der Turnhalle sah, dass sie hierher kam, um nach dem Rechten zu sehen, und dass sie dabei von dem Eindringling entdeckt und erschossen worden ist.«

Er drehte sich mit einer brüsken Bewegung um und richtete die folgende Frage an Miss Bulstrode, die regungslos im Türrahmen stand.

»Erscheint Ihnen das ebenfalls als wahrscheinlich?«

»Keineswegs«, erwiderte Miss Bulstrode. »Der erste Teil Ihrer Annahme leuchtet mir ein. Ich kann mir vorstellen, dass Miss Springer in die Turnhalle kam, weil sie ein verdächtiges Licht bemerkt hatte. Dagegen verstehe ich nicht, warum die Person, die von ihr gestört wurde, sie erschossen haben soll. Warum ist sie nicht einfach fortgelaufen? Warum sollte irgendjemand sich nachts hier, mit einem Revolver bewaffnet, einschleichen? Lächerlich – einfach lächerlich! Hier ist nichts Wertvolles zu finden, bestimmt nichts, wofür man einen Mord riskieren würde.«

»Halten Sie es für wahrscheinlicher, dass Miss Springer hier ein Rendezvous gestört hat?«

»Diese Erklärung liegt auf der Hand«, sagte Miss Bulstrode. »Aber warum wurde sie ermordet? Ich halte es für ausgeschlossen, dass meine Schülerinnen oder deren Verehrer Revolver mit sich herumtragen.«

Kelsey war derselben Meinung.

»Auch ich glaube kaum, dass die jungen Freunde Ihrer Schülerinnen Schusswaffen besitzen. Es besteht jedoch die Möglichkeit, dass Miss Springer hier mit einem Mann verabredet war…«

Miss Chadwick begann plötzlich zu kichern.

»Ausgeschlossen! Miss Springer hatte bestimmt kein nächtliches Rendezvous.«

»Ich dachte nicht an eine amouröse Verabredung«, bemerkte der Kommissar trocken. »Ich bin der Ansicht, dass es sich um einen geplanten Mord handelt. Jemand, der beabsichtigte, Miss Springer zu töten, hatte sich, lediglich zu diesem Zweck, hier mit ihr verabredet.«

9

Brief von Jennifer Sutcliffe an ihre Mutter:

Liebe Mummy,

hier ist gestern Nacht jemand ermordet worden. Miss Springer, unsere Turnlehrerin – mitten in der Nacht! Die Polizei war schon da, und heute Vormittag werden wir alle verhört. Miss Chadwick hat uns verboten, darüber zu sprechen, aber dir wollte ich es doch schnell sagen.

Herzliche Grüße, deine Jennifer.

Ein Mord in einer so bekannten Schule wie Meadowbank erregte natürlich die Aufmerksamkeit des Polizeichefs. Während die üblichen Untersuchungen stattfanden, war Miss Bulstrode nicht müßig gewesen. Sie hatte sich mit einem Zeitungsbesitzer und mit dem Innenminister in Verbindung gesetzt, beide persönliche Freunde von ihr. Mithilfe dieser einflussreichen Leute war es ihr gelungen, Schlagzeilen über den Fall in den Zeitungen zu vermeiden. In der Turnhalle war eine Turnlehrerin erschossen worden. Es stand noch nicht fest, ob es sich um einen Unglücksfall oder um einen Mord handelte. Das war alles.

Ann Shapland musste Briefe an alle Eltern schreiben, denn Miss Bulstrode verließ sich nicht auf die Verschwiegenheit ihrer Schülerinnen. Sie hielt es für angebracht, mehr oder weniger blutrünstige Schilderungen der Ereignisse durch einen kühlen, sachlichen Bericht ihrerseits zu ergänzen.

Am späteren Nachmittag hatte die Schulleiterin eine Unterredung mit Stone, dem Polizeichef, und Kommissar Kelsey. Es lag auch im Interesse der Polizei, sensationelle Zeitungsberichte zu verhindern, um die Erkundigungen möglichst ungestört fortsetzen zu können.

»Sie tun mir aufrichtig leid, Miss Bulstrode«, sagte der Polizeichef. »Diese Angelegenheit muss nicht nur ein schwerer persönlicher Schock gewesen sein, sondern mag auch dem Ruf Ihrer Schule schaden.«

»Ein Mord schadet dem Ruf einer Schule unweigerlich«, erwiderte Miss Bulstrode. »Aber es ist sinnlos, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Wir haben schon manchem Sturm standgehalten, auch diesen werden wir überleben. Ich hoffe nur, dass die Sache möglichst schnell aufgeklärt wird.«

»Ich wüsste nicht, warum uns das nicht gelingen sollte, meinen Sie nicht auch, Kelsey?«