»Ja, jetzt erinnere ich mich wieder an den Namen – Mrs Campbell«, sagte die Dame.
Sie gab Jennifer das Paket, das diese sofort auspackte.
»Der ist ja fabelhaft!«, rief sie begeistert und wog den neuen Tennisschläger sachkundig in der Hand. »Nichts habe ich mir so sehr gewünscht wie einen neuen Tennisschläger. Kein Mensch kann mit einem schlechten Schläger wirklich gut spielen.«
»Das glaube ich gern.«
»Vielen Dank – es war schrecklich nett von Ihnen, mir das Paket zu bringen.«
»Gern geschehen«, entgegnete die Dame. »Übrigens bat mich Ihre Tante, den alten Tennisschläger zurückzubringen. Sie will ihn neu bespannen lassen.«
»Das alte Ding? Lohnt sich doch kaum«, erwiderte Jennifer zerstreut und gab ihn ihr. Sie war noch immer damit beschäftigt, den neuen Schläger in der Hand zu wiegen und von allen Seiten bewundernd zu betrachten.
Die Dame sah auf ihre Uhr.
»Ach, du liebe Zeit! Es ist schon viel später, als ich dachte«, sagte sie. »Ich muss leider weg.«
»Soll ich Ihnen vielleicht ein Taxi besorgen? Ich könnte telefonieren…«
»Nein, vielen Dank. Mein Wagen steht vor dem Tor. Ich hab ihn dort stehen lassen, weil ich so ungern auf schmalen Wegen wende. Auf Wiedersehen, Jennifer. Ich hoffe, Sie werden an Ihrem neuen Tennisschläger viel Freude haben.«
Sie ging schnell auf das Parktor zu. Jennifer rief ihr noch einmal nach: »Tausend Dank. Auf Wiedersehen.« Dann machte sie sich auf die Suche nach Julia.
»Sieh mal, was ich habe!«
Sie ließ den Schläger mit einer dramatischen Geste durch die Luft sausen.
»Donnerwetter! Woher kommt der denn?«, fragte Julia.
»Hat mir meine Patentante geschickt. Sie ist furchtbar reich. Mum hat ihr wahrscheinlich erzählt, dass ich mich über meinen alten Schläger beklagt habe.«
In diesem Augenblick kam Shanda vorbei, der Jennifer ebenfalls stolz den neuen Schläger vorführte.
»Was hältst du davon, Shanda?«, fragte sie.
»Muss sehr teuer gewesen sein«, erwiderte Shanda mit dem nötigen Respekt. »Ich wollte, ich könnte so gut Tennis spielen wie du.«
»Du läufst immer in den Ball.«
»Ich kann das nie so richtig berechnen«, erklärte Shanda bedauernd. »Jedenfalls muss ich mir in London elegante Tennisshorts machen lassen, bevor ich wieder nachhause fahre. Oder vielleicht besser ein Tenniskleid – oder beides.«
»Shanda denkt nur an Klamotten«, meinte Julia verächtlich, während die beiden Freundinnen weitergingen. »Glaubst du, dass wir auch mal so werden?«
»Ich fürchte, ja«, erwiderte Jennifer düster.
Sie betraten die Turnhalle, die mittlerweile von der Polizei freigegeben worden war. Jennifer befestigte ihren Tennisschläger sorgfältig im Spanner.
»Ist er nicht prachtvoll?«, fragte sie glücklich.
»Was hast du eigentlich mit deinem alten gemacht?«
»Den hat die Dame mitgenommen, weil Tante Gina sie darum gebeten hatte. Er soll neu bespannt werden.«
»Ach so…«
Julia runzelte nachdenklich die Stirn.
»Was wollte Bully denn von dir?«, erkundigte sich Jennifer.
»Nur Mummys Adresse, aber die konnte ich ihr nicht geben, weil sie gerade mit einem Autobus durch die Türkei gondelt… Mir fällt gerade etwas ein, Jennifer. Dein Schläger musste doch gar nicht neu bespannt werden.«
»Doch, Julia. Er war so weich wie ein Schwamm.«
»Das weiß ich, aber eigentlich ist es mein Schläger. Wir haben doch getauscht, erinnerst du dich? Dein Schläger, den ich jetzt habe, war ja während der Ferien frisch bespannt worden. Das hast du mir neulich selbst gesagt.«
»Ja, das stimmt.« Jennifer sah etwas erstaunt drein. »Wahrscheinlich hat diese Frau – ich hätte mich nach ihrem Namen erkundigen sollen – es bemerkt. Das ist des Rätsels Lösung.«
»Aber du hast doch gesagt, dass deine Tante Gina sie darum gebeten hat, und warum ist die auf den Gedanken gekommen, einen neu bespannten Schläger nochmal reparieren zu lassen?«
»Ach, was weiß ich«, sagte Jennifer ungeduldig. »Außerdem ist es doch völlig egal.«
»Vielleicht ist es egal«, erwiderte Julia nachdenklich. »Aber merkwürdig ist es doch, Jennifer. Neue Lampen für alte – Aladin im Wunderland.«
Jennifer kicherte.
»Ist das nicht eine komische Idee? Ich streiche über meinen alten Tennisschläger – nein, über deinen –, und ein guter Geist erscheint! Was würdest du dir wünschen, wenn ein guter Geist aus der Erde steigen würde, Julia?«
»Ich? Ich habe tausend Wünsche: Ein Tonbandgerät, einen Schäferhund – nein, lieber eine dänische Dogge; dann ein schwarzes Seidensatin-Abendkleid und… und hunderttausend Pfund… und du, was möchtest du gern haben?«
»Ich? Gar nichts. Ich bin restlos glücklich mit diesem wunderbaren Tennisschläger«, sagte Jennifer.
13
Drei Wochen nach Schuljahrsbeginn durften die Schülerinnen ihre Eltern am Wochenende besuchen. Daher war es am Sonntag in Meadowbank sehr ruhig, und zum Mittagessen erschienen nur zwanzig Mädchen. Auch einige Lehrerinnen waren fortgefahren, die erst Sonntagabend oder Montag früh zurückkommen würden.
Miss Bulstrode, die im Allgemeinen während der Unterrichtszeit die Schule nicht verließ, hatte ausnahmsweise die Einladung der Herzogin von Welsham angenommen, das Wochenende auf Schloss Welsington zu verbringen. Sie hatte aus einem ganz bestimmten Grund zugesagt. Mr Henry Banks, der Vorsitzende des Aufsichtsrats von Meadowbank, wurde ebenfalls auf Schloss Welsington erwartet. Die Schule war seinerzeit mit der finanziellen Unterstützung von Mr Banks gegründet worden, und die Einladung der Herzogin klang fast wie ein Befehl, bei Hofe zu erscheinen. Selbstverständlich ließ sich Miss Bulstrode nur dann Befehle erteilen, wenn sie ihr in den Kram passten. Sie unterschätzte den Einfluss der Herzogin nicht, außerdem legte sie Wert darauf, mit ihr und mit Mr Banks sowohl die tragischen Ereignisse in Meadowbank als auch ihre persönlichen Probleme zu besprechen.
Dank Miss Bulstrodes guten Beziehungen war der Mord in der Presse taktvoll behandelt worden – mehr wie ein Unglücksfall als wie ein Verbrechen. Es wurde angedeutet – aber nicht wirklich klar ausgesprochen –, dass Jugendliche in der Turnhalle von Miss Springer überrascht worden waren. In der darauf folgenden Panik sei sie erschossen worden. Die Polizei sei den Burschen bereits auf der Spur, schrieben die Zeitungen.
Es war Miss Bulstrode bekannt, dass die Herzogin und Henry Banks sie von ihrem Entschluss, sich bald zur Ruhe zu setzen, abbringen wollten. Sie hielt den Augenblick für gekommen, mit ihnen über Miss Vansittart zu sprechen und ihnen klarzumachen, dass Eleanor eine in jeder Beziehung würdige Nachfolgerin abgeben würde.
Am Sonnabendmorgen, nachdem Miss Bulstrode den letzten Brief diktiert hatte, klingelte das Telefon. Ann Shapland nahm das Gespräch an.
»Der Emir Ibrahim ist im ›Claridge‹ angekommen, Miss Bulstrode«, sagte sie. »Er möchte morgen mit Shanda ausgehen.«
Miss Bulstrode nahm ihr den Hörer aus der Hand, um selbst mit dem Adjutanten des Emirs zu sprechen. Sie sagte, Shanda werde ab halb zwölf am Sonntag bereit sein; abends um acht müsste sie nach Meadowbank zurückkehren.
Dann legte sie den Hörer auf und erklärte: »Ich wünschte, diese orientalischen Potentaten würden einem nicht immer im letzten Augenblick Bescheid sagen. Shanda sollte morgen mit Gisèle d’Aubray ausgehen. Das müssen wir nun wieder umändern. Sind noch irgendwelche Briefe zu schreiben?«
»Nein, Miss Bulstrode.«
»Dann kann ich also mit gutem Gewissen fortfahren. Wenn Sie die Briefe getippt haben, können Sie sich das Wochenende ebenfalls freinehmen. Ich brauche Sie nicht vor Montagmittag.«
»Vielen Dank, Miss Bulstrode.«