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»Auf jeden Fall wollen wir uns diesen Vorfall merken«, sagte Poirot. »Dann bliebe noch eine Möglichkeit: Julia Upjohns Mutter soll am Tag des Schuljahrsbeginns ein bekanntes Gesicht hier entdeckt haben. Sie war überrascht, die betreffende Person in Meadowbank wiederzusehen. Ich halte es für wahrscheinlich, dass diese Person mit dem Geheimdienst in Verbindung stand. Falls Mrs Upjohn bestätigen sollte, dass sie Mademoiselle Blanche erkannt hat, könnten wir das Verfahren mit ziemlicher Sicherheit einleiten.«

»Das ist leichter gesagt als getan«, seufzte Kelsey. »Wir haben uns vergeblich bemüht, sie in Anatolien zu finden. Leider macht sie keine organisierte Gruppenreise, sondern fährt mit dem gewöhnlichen Autobus nach Lust und Laune durch das Land. Wo soll man eine so unternehmungslustige Frau suchen? Man hat ja keine Ahnung, wo sie sich gerade aufhält.«

»Schwierige Situation«, stimmte Poirot zu.

»Und inzwischen sitzen wir hier fest«, sagte Kelsey. »Diese Französin kann Meadowbank und das Land ungehindert verlassen. Wir haben keine Beweise gegen sie in der Hand.«

Poirot schüttelte den Kopf. »Das wird sie nicht tun.«

»Da bin ich nicht so sicher.«

»Doch. Wenn man einen Mord begangen hat, vermeidet man es, Aufmerksamkeit zu erregen. Mademoiselle Blanche wird ruhig bis zum Ende des Schuljahrs hier bleiben.«

»Ich hoffe, Sie haben Recht.«

»Ich bin fest davon überzeugt. Und vergessen Sie nicht, dass die Person, die Mrs Upjohn gesehen hat, nicht weiß, dass sie gesehen worden ist«

Kelsey seufzte. »Wenn das alles ist…«

»Es gibt noch andere Dinge – Unterhaltungen zum Beispiel.«

»Unterhaltungen?«

»Wenn man etwas zu verbergen hat, sagt man früher oder später einmal zu viel.«

»Sie meinen, dass man sich verrät?«, fragte der Polizeichef skeptisch.

»Ganz so einfach ist es nicht. Man bemüht sich, nicht über das zu sprechen, was man verbergen muss. Aber oft sagt man zu viel über andere Dinge. Auch die Unterhaltungen unschuldiger Leute können interessant sein, da diese oft keine Ahnung haben, dass sie etwas Wichtiges wissen. Dabei fällt mir ein…« Poirot stand auf. »Ich bitte um Verzeihung, meine Herren. Ich muss sofort zu Miss Bulstrode, um sie zu fragen, ob hier jemand zeichnen kann.«

»Zeichnen?«

»Ja, zeichnen.«

»Na so was«, sagte Adam, nachdem Poirot hinausgegangen war. »Zuerst interessiert er sich für Jungmädchenknie, jetzt sucht er einen Zeichner. Was wird er sich als Nächstes ausdenken?«

Miss Bulstrode beantwortete Poirots Frage ohne ein Anzeichen des Erstaunens.

»Miss Laurie, unsere Zeichenlehrerin, ist heute nicht hier«, sagte sie. »Sie kommt nur einmal in der Woche. Was soll sie denn für Sie zeichnen?«, fügte sie freundlich hinzu, als spräche sie mit einem Kind.

»Gesichter«, erwiderte Poirot.

»Miss Rich zeichnet auch ganz gut…«

»Versuchen wir’s mit ihr.«

Er stellte zu seiner Genugtuung fest, dass Miss Bulstrode keine unnötigen Fragen stellte. Sie verließ das Zimmer und kam kurz darauf mit Miss Rich zurück.

»Wie ich höre, sind Sie eine gute Zeichnerin. Können Sie Leute porträtieren?«

Eileen Rich nickte.

»Würden Sie so freundlich sein, eine Skizze von der verstorbenen Miss Springer für mich zu machen?«

»Das ist schwierig. Ich kannte sie nur sehr kurze Zeit, aber ich will es versuchen.«

Sie kniff die Augen zusammen und begann schnell zu zeichnen.

»Bien«, sagte Poirot und nahm ihr die Skizze aus der Hand. »Und nun bitte Miss Bulstrode, Miss Rowan, Mademoiselle Blanche und Adam, den Gärtner.«

Eileen Rich sah ihn erstaunt an, dann machte sie sich an die Arbeit. Er betrachtete das Resultat befriedigt.

»Sie sind sehr begabt, mit ein paar Strichen gelingt es Ihnen, Gesichter deutlich erkennbar zu machen. Ausgezeichnet! Und jetzt möchte ich Sie bitten, etwas noch Schwierigeres zu versuchen. Geben Sie Miss Bulstrode eine andere Frisur, verändern Sie die Form ihrer Augenbrauen.«

Eileen sah ihn fassungslos an.

»Ich bin nicht verrückt geworden, Miss Rich«, sagte er. »Ich mache lediglich ein Experiment.«

Sie führte seine Wünsche aus.

Poirot betrachtete die Zeichnung.

»Glänzend! Nun möchte ich Sie bitten, auch Mademoiselle Blanche und Miss Rowan auf die gleiche Weise zu verändern.«

Nachdem Eileen die beiden Skizzen vollendet hatte, legte Poirot die drei Porträts vor sich auf den Tisch.

»Nun will ich Ihnen etwas zeigen«, sagte er. »Miss Bulstrode ist trotz der Veränderungen deutlich als Miss Bulstrode zu erkennen. Aber sehen Sie sich die beiden anderen an! Da sie uninteressante Züge haben und im Gegensatz zu Miss Bulstrode keine starken Persönlichkeiten sind, sind sie durch die geringfügigen Veränderungen ganz andere Menschen geworden, nicht wahr?«

Eileen Rich gab ihm Recht. Als er die Skizzen sorgfältig zusammenfaltete und einsteckte, fragte sie:

»Was werden Sie damit tun?«

»Ich werde sie benutzen«, erwiderte Poirot geheimnisvoll. 

20

»Ich weiß wirklich nicht, was ich dazu sagen soll«, erklärte Mrs Sutcliffe und sah Hercule Poirot missbilligend an. »Außerdem ist Henry nicht zuhause.«

Wahrscheinlich will sie damit andeuten, dass Henry eher imstande wäre, mit dieser Angelegenheit fertigzuwerden, dachte Poirot.

»Eine äußerst peinliche Sache«, erklärte Mrs Sutcliffe. »Ich bin nur froh, dass Jennifer wieder zuhause ist, obwohl sie sich sehr albern benimmt. Nachdem sie sich anfangs geweigert hat, nach Meadowbank zu gehen, weil sie die Schule für übertrieben vornehm hielt, schmollt sie jetzt von früh bis abends, weil wir sie nicht dort gelassen haben.«

»Meadowbank ist zweifellos eine der besten englischen Schulen«, bemerkte Poirot.

»War eine der besten Schulen«, korrigierte Mrs Sutcliffe.

»Und wird es wieder sein«, erklärte Poirot.

»Glauben Sie wirklich?«

Mrs Sutcliffe sah Poirot nachdenklich an. Seine teilnahmsvolle, liebenswürdige Art begann sie zu beeindrucken.

»Leider befindet sich Meadowbank im Augenblick in einer recht unglücklichen Lage«, sagte Poirot, da ihm nichts Besseres einfiel. Er war sich über die Unzulänglichkeit seiner Bemerkung klar, und sie fiel Mrs Sutcliffe natürlich sofort auf.

»Mehr als eine unglückliche Lage«, entgegnete sie. »Zwei Morde und eine Entführung! Man kann seine Tochter nicht in eine Schule schicken, in der ein Mord nach dem anderen geschieht.«

Dagegen ließ sich nicht viel einwenden.

»Wenn sich herausstellt, dass eine Person für beide Morde verantwortlich ist, und wenn diese Person festgenommen wird, sieht alles anders aus, finden Sie nicht?«

»Mag sein«, erwiderte Mrs Sutcliffe unsicher. »Sie meinen wohl jemanden wie ›Jack the Ripper‹ oder diesen anderen Mörder – wie hieß er doch? –, der immer einen bestimmten Typ von Frauen umgebracht hat… und dieser Mörder hat es eben auf Lehrerinnen abgesehen… grauenhaft! Immerhin, wenn er festgenommen wird, sieht wohl alles anders aus…, aber dann bleibt immer noch die Entführung. Man will seine Tochter schließlich auch nicht auf einer Schule lassen, aus der andere junge Mädchen entführt worden sind, nicht wahr?«

»Bestimmt nicht, Madame. Ich sehe, dass Sie logisch denken können. Ich gebe Ihnen unbedingt Recht.«

Mrs Sutcliffe fühlte sich geschmeichelt. So etwas hatte seit Jahren niemand zu ihr gesagt.

»Ich habe gründlich darüber nachgedacht«, gab sie zu.

»Ich würde mir über die Entführung, im Vertrauen gesagt, keine grauen Haare wachsen lassen, Madame. Entre nous – Prinzessin Shanda ist wahrscheinlich gar nicht entführt worden –, wir glauben eher, dass es sich um ein kleines Abenteuer handelt.«