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»Ich bin nicht bei der Polizei«, protestierte Adam.

»Natürlich nicht«, erwiderte Ann ironisch. »Wahren wir die Form! Sie sind nicht bei der Polizei. Shanda ist entführt worden, alles ist in bester Ordnung… Trotzdem begreife ich nicht, wieso Shanda plötzlich in Genf aufgetaucht ist. Ich verstehe auch nicht, dass Ihre Leute sie nicht daran hindern konnten, das Land zu verlassen. Wie war das möglich?«

»Meine Lippen sind versiegelt«, gab Adam zur Antwort.

»Weil Sie keine Ahnung haben«, sagte Ann.

»Ich gebe zu, dass es Monsieur Hercule Poirot war, der uns auf einen guten Gedanken gebracht hat«, bemerkte Adam.

»Was? Der drollige kleine Kerl, der Julia zurückgebracht hat?«

»Ja, er ist ein berühmter Privatdetektiv.«

»Gewesen«, erwiderte Ann geringschätzig.

»Was er im Schilde führt, weiß ich allerdings nicht«, fuhr Adam fort. »Er hat sogar einen seiner Freunde veranlasst, meine Mutter aufzusuchen.«

»Ihre Mutter? Warum?«, fragte Ann.

»Keinen Schimmer. Er scheint ein krankhaftes Interesse für Mütter zu haben. Er hat auch Jennifers Mutter aufgesucht.«

»War er auch bei der Mutter von Miss Rich und bei der Mutter von Chaddy?«

»Miss Rich hat keine Mutter mehr, sonst wäre er bestimmt auch zu ihr gegangen«, sagte Adam.

»Miss Chadwick erzählte mir, dass ihre Mutter in Cheltenham lebt. Sie ist über achtzig. Die arme Chaddy sieht selbst nicht viel jünger aus… Dort kommt sie übrigens.«

Adam blickte auf. »Ja, sie ist in den letzten Wochen sehr gealtert.«

»Weil sie die Schule wirklich liebt, sie ist ihr ganzes Leben«, erklärte Ann. »Der Gedanke an den Verfall von Meadowbank ist ihr unerträglich.«

Miss Chadwick sah tatsächlich zehn Jahre älter aus als am Tag des Schuljahrbeginns. Ihr Gesicht trug nicht mehr den Ausdruck zufriedener Geschäftigkeit, während sie sich mit müden, langsamen Schritten näherte.

»Miss Bulstrode wünscht Ihnen verschiedene Anweisungen wegen des Gartens zu geben«, sagte sie zu Adam. »Bitte kommen Sie mit.«

»Erst muss ich mal etwas Ordnung machen«, brummte Adam und verschwand in Richtung Geräteschuppen.

Ann und Miss Chadwick gingen gemeinsam zum Haus.

»Wie still und öde es geworden ist«, sagte Ann und sah sich nachdenklich um. »Wie im Zuschauerraum eines halb leeren Theaters.«

»Grauenhaft – einfach grauenhaft, dass es in Meadowbank dazu gekommen ist«, jammerte Miss Chadwick. »Ich komme nicht darüber hinweg. Ich kann nicht mehr schlafen. Unsere geliebte Schule, das Werk von Jahren, ist zerstört.«

»Es kann alles wieder werden«, tröstete Ann. »Die meisten Menschen haben glücklicherweise kein gutes Gedächtnis.«

»Ein ganz so schlechtes haben sie leider nicht«, seufzte Miss Chadwick unglücklich.

Ann antwortete nicht. Im Grunde ihres Herzens gab sie Miss Chadwick Recht.

Mademoiselle Blanche verließ das Klassenzimmer, in dem sie eine Französischstunde gegeben hatte.

Sie sah auf ihre Armbanduhr. Ja, sie hatte reichlich Zeit. Jetzt, da nur noch so wenige Schülerinnen in Meadowbank waren, mangelte es niemals an Zeit.

Sie ging in ihr Zimmer und setzte sich einen Hut auf. Sie ging nie ohne Hut aus. Dann betrachtete sie sich missbilligend im Spiegel. Keine sehr bemerkenswerte Persönlichkeit! Aber das konnte auch seine Vorteile haben. Sie lächelte. Diese Tatsache hatte es ihr ermöglicht, die hervorragenden Zeugnisse ihrer verstorbenen Schwester Angele und deren Passbild zu benutzen. Angele war eine begeisterte Lehrerin gewesen, aber sie selbst fand diesen Beruf unerträglich langweilig, obwohl sie mehr verdiente als je zuvor. Auch alles andere war über Erwarten gut gegangen, und die Zukunft sah rosig aus. Vieles würde sich ändern, niemand würde die unscheinbare Mademoiselle Blanche wiedererkennen… Sie sah sich im Geist schon an der Riviera, gepflegt, elegant und umschwärmt. Man brauchte nur Geld zu haben, um das Leben in vollen Zügen genießen zu können. Ja, es hatte sich gelohnt, in diese unsympathische englische Schule zu kommen.

Sie nahm ihre Handtasche und verließ das Zimmer. Im Korridor kniete eine Frau neben einem Eimer. Eine neue Putzfrau – in Wirklichkeit natürlich ein Polizeispitzel. Glaubten die wirklich, man sei so einfältig, dieses Manöver nicht zu durchschauen?

Sie lächelte noch immer verächtlich, während sie durch das Parktor zu der gegenüberliegenden Autobushaltestelle ging. Sie wartete, der Bus musste gleich kommen.

Auf der ruhigen Landstraße waren nicht viele Leute zu sehen. Ein Mann beugte sich über den geöffneten Kühler seines Wagens. Ein Fahrrad war an die Hecke gelehnt. Der Besitzer stand daneben. Ein Mann wartete an der Haltestelle.

Einer der drei Männer würde ihr zweifellos folgen… geschickt und unauffällig, das verstand sich von selbst. Aber das störte sie nicht im Geringsten. Wohin sie ging und was sie tat, durfte jeder sehen.

Der Autobus kam, und sie stieg ein. Eine Viertelstunde später stieg sie am Hauptplatz der Stadt aus. Ohne sich umzusehen, ging sie über die Straße, um die Auslagen im Schaufenster des Warenhauses zu betrachten. Die ausgestellten Kleider gefielen ihr nicht. Unelegant und provinziell, dachte sie verächtlich. Trotzdem blieb sie eine Zeit lang vor dem Schaufenster stehen, als bewunderte sie die Modelle.

Dann ging sie hinein, kaufte zwei Kleinigkeiten, stieg die Treppe zum ersten Stock empor und betrat den Aufenthaltsraum für Damen. Hier gab es ein paar bequeme Stühle, einen Schreibtisch und eine Telefonzelle.

Sie ging in die Telefonzelle, warf die notwendigen Münzen in den Schlitz, wählte eine Nummer und wartete darauf, die gewünschte Stimme zu hören. Sie nickte zufrieden, drückte auf den entsprechenden Knopf und begann zu sprechen.

»Hier Maison Blanche, haben Sie richtig verstanden? Blanche. Es handelt sich um die geschuldete Summe. Ich gebe Ihnen bis morgen Abend Zeit. Bis dahin muss die Summe auf das Konto von Maison Blanche beim Crédit Nationale in London, Ledbury Street, eingezahlt sein.«

Sie nannte die geforderte Summe.

»Wenn das Geld nicht eingezahlt wird, muss ich mich mit den entsprechenden Stellen in Verbindung setzen, um mitzuteilen, was ich in der Nacht zum Zwölften beobachtet habe. Es handelt sich um den Fall Springer. Sie haben etwas über vierundzwanzig Stunden Zeit.«

Sie legte den Hörer auf und betrat wieder den Aufenthaltsraum, in den eben eine andere Dame gekommen war – vielleicht eine Kundin, vielleicht auch nicht. Wie dem auch sei, sie konnte nichts mitgehört haben.

Mademoiselle Blanche wusch sich in dem danebenliegenden Raum die Hände. Danach ging sie in die Blusenabteilung, probierte zwei Blusen an, kaufte aber keine von beiden. Sie verließ das Warenhaus, schlenderte über die Straße, ging in eine Buchhandlung und fuhr mit dem nächsten Autobus zurück nach Meadowbank.

Während sie die Einfahrt hinaufging, lächelte sie zufrieden. Alles war glänzend arrangiert. Die geforderte Summe war nicht zu groß… es war nicht unmöglich, sich das Geld binnen vierundzwanzig Stunden zu verschaffen. Zunächst einmal brauchte sie nicht mehr… Selbstverständlich würde sie später weitere Forderungen stellen…

Sie hatte keine Gewissensbisse, da sie es nicht für ihre Pflicht hielt, der Polizei das, was sie wusste, mitzuteilen. Diese Springer war eine grässliche Person gewesen, unhöflich und mal élevée. Und warum hatte sie ihre Nase in Dinge gesteckt, die sie nichts angingen? Die Folgen hatte sie sich nur selbst zuzuschreiben.

Mademoiselle Blanche verweilte eine Zeit lang beim Schwimmbassin. Sie beobachtete Eileen Rich und Ann Shapland beim Springen. Beide waren ausgezeichnete Schwimmerinnen. Aus dem Wasser klang fröhliches Mädchengelächter.

Dann läutete es, und Mademoiselle Blanche hatte eine weitere Französischstunde zu geben. Die Schülerinnen waren geschwätzig und unaufmerksam, aber das fiel Mademoiselle Blanche kaum auf. Bald würde sie den verhassten Beruf der Lehrerin endgültig aufgeben können.