»Eleanor war leider sehr von sich überzeugt, vielleicht wirkte sie sogar hochmütig. Das ist bestimmt nicht leicht zu ertragen, wenn man eifersüchtig ist – und Chaddy war eifersüchtig.«
»Ja«, sagte Poirot, »sie konnte den Gedanken nicht ertragen, dass Miss Vansittart Schulvorsteherin werden würde… Ist es möglich, dass sie etwas später das Gefühl hatte, dass Sie Ihrer Sache nicht mehr ganz sicher seien?«
»Ich war meiner Sache nicht mehr ganz sicher«, gab Miss Bulstrode zu, »aber nicht so, wie Miss Chadwick glauben mochte. Ich dachte tatsächlich an jemanden, der jünger ist als Miss Vansittart. Aber dann verwarf ich diesen Gedanken wieder, weil ich die betreffende Person für zu jung hielt… ich entsinne mich, dass ich Chaddy meine Zweifel anvertraute.«
»Aber sie glaubte, als Sie von Miss Vansittart sprachen, dass Sie Miss Vansittart für zu jung hielten«, sagte Poirot. »Natürlich stimmte sie mit Ihnen überein. Sie fand, dass lange Erfahrung wichtiger sei als alles andere… und dann kehrten Sie zu Ihrem ursprünglichen Entschluss zurück; Sie überließen Eleanor Vansittart die Oberaufsicht, als Sie über das Wochenende verreisten. Und so muss sich das Drama dann entwickelt haben: Miss Chadwick konnte am Sonntag nicht einschlafen. Sie stand auf, sah das Licht in der Turnhalle, ging sofort hinunter, nahm aber nicht, wie sie nachher aussagte, einen Golfschläger mit, sondern einen der Sandsäcke aus der Vorhalle. Sie erwartete, einen Einbrecher vorzufinden – und wen fand sie? Sie fand Eleanor Vansittart, die vor einem Schließfach kniete. Miss Chadwick mag gedacht haben: Wenn ich ein Einbrecher wäre, würde ich mich auf Zehenspitzen heranschleichen und sie erschlagen. Und während ihr dieser Gedanke kam, hob sie halb unbewusst den Sandsack und schlug zu. Nun stand ihr Eleanor Vansittart nicht mehr im Wege, aber ich glaube, dass sie die furchtbarsten Gewissensbisse hatte, denn sie ist an sich keine Mörderin. Eifersucht und ihre Liebe zu Meadowbank haben sie zu dieser furchtbaren Tat getrieben. Sie legte jedoch kein Geständnis ab, weil sie nun sicher war, dass sie Ihre Nachfolgerin werden würde. Als sie der Polizei über den Fall berichtete, verschwieg sie nur eine wichtige Tatsache, nämlich, dass sie Miss Vansittart den Todesstoß versetzt hatte. Aber als sie nach dem Golfschläger gefragt wurde, den Miss Vansittart wahrscheinlich zu ihrem Schutz mitgenommen hatte, behauptete Miss Chadwick, sie selbst habe ihn aus dem Haus mitgenommen. Niemand sollte auf den Gedanken kommen, dass sie einen Sandsack bei sich gehabt hatte.«
»Warum hat Ann Shapland ebenfalls einen Sandsack benutzt, um Mademoiselle Blanche zu töten?«, fragte Miss Bulstrode.
»Einerseits konnte sie nicht riskieren, im Schulgebäude einen Schuss abzufeuern, andererseits wollte die gerissene Person den dritten Mord mit dem zweiten in Verbindung bringen, für den sie ein Alibi besaß.«
»Ich kann mir nicht erklären, was Eleanor Vansittart in der Turnhalle zu suchen hatte«, sagte Miss Bulstrode.
»Ich könnte mir vorstellen, dass sie sich Shandas Verschwinden mehr zu Herzen genommen hatte, als sie zeigte. Sie war ebenso besorgt wie Miss Chadwick, vielleicht noch mehr, denn die Entführung hatte stattgefunden, während sie für die Schule verantwortlich war.«
»Auch hinter ihrem sicheren Auftreten hat sich also eine gewisse Schwäche verborgen«, murmelte Miss Bulstrode.
»Ja, und auch sie konnte nicht schlafen. Ich glaube, dass sie heimlich in die Turnhalle gegangen ist, um Shandas Schließfach zu untersuchen. Wahrscheinlich hoffte sie, dort einen Anhaltspunkt für die Entführung zu entdecken.«
»Sie scheinen für alles eine Erklärung zu haben, Monsieur Poirot.«
»Das ist seine Spezialität«, versetzte Kommissar Kelsey etwas boshaft.
»Und warum musste Eileen Rich Zeichnungen von verschiedenen meiner Lehrerinnen anfertigen?«
»Weil ich feststellen wollte, ob Jennifer ein Gesicht erkennen konnte. Ich überzeugte mich sehr bald davon, dass sie so intensiv mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt war, dass sie sich kaum Zeit nahm, über andere nachzudenken oder sie eingehend zu betrachten. Sie erkannte nicht einmal ein Porträt von Mademoiselle Blanche mit einer anderen Frisur. Sie würde Ann Shapland noch weniger erkannt haben, die sie sowieso nur selten aus der Nähe gesehen hatte.«
»Sie glauben also, dass Ann Shapland die Frau mit dem Tennisschläger war?«
»Ja. Ann war daran gewöhnt, sich im Nu in eine andere Person zu verwandeln. Eine blonde Perücke, anders gezeichnete Augenbrauen, ein elegantes Kleid, ein Hut mit breiter Krempe… Zwanzig Minuten später hätte sie bereits wieder an ihrer Schreibmaschine sitzen können. Ich habe an Miss Richs verblüffenden Zeichnungen erkannt, wie leicht sich eine Frau mit äußeren Hilfsmitteln verändern kann.«
»Ja, Miss Rich…«, sagte Miss Bulstrode nachdenklich.
Poirot warf Kelsey einen bedeutungsvollen Blick zu.
»Ich muss jetzt gehen«, erklärte Kelsey. »Soll ich Miss Rich bitten hereinzukommen?«
Poirot nickte.
Eileen Rich kam mit bleichem, aber trotzigem Gesicht ins Zimmer.
»Sie wollen wissen, was ich in Ramat zu suchen hatte, Miss Bulstrode?«, fragte sie.
»Ich habe, glaube ich, eine Idee«, erwiderte Miss Bulstrode.
»Ich auch«, sagte Poirot. »Obwohl Kinder heutzutage theoretisch über alles aufgeklärt sind, bleiben ihre Augen manchmal unschuldig.«
Er fügte hinzu, dass auch er sich nun leider verabschieden müsse.
»Das war’s also, nicht wahr?«, fragte Miss Bulstrode mit kühler, sachlicher Stimme. »Jennifer beschrieb die Frau, die sie gesehen hatte, ganz einfach als dick. Sie war sich nicht im Klaren darüber, dass sie schwanger war.«
»Ja, ich erwartete ein Kind«, gestand Eileen Rich. »Aber ich wollte meinen Posten hier nicht aufgeben. Es ging alles gut bis zum Herbst. Dann, als sich mein Zustand nicht länger verbergen ließ, verschaffte ich mir ein ärztliches Attest. Ich fuhr nach Ramat, weil ich hoffte, dort keine Bekannten zu treffen. Später kam ich nach England zurück, wo ich mein Kind gebar – es war tot. Als ich zu Beginn dieses Schuljahrs wieder nach Meadowbank kam, hoffte ich, dass niemand etwas von der Sache erfahren würde… Sie werden jetzt sicher verstehen, warum ich Ihr Angebot einer Partnerschaft unter normalen Umständen nicht hätte annehmen können, nicht wahr? Erst nachdem die Schule einen so schweren Schlag erlitten hatte, glaubte ich, vielleicht doch auf Ihren Vorschlag eingehen zu können.«
Nach einer kurzen Pause fragte sie schlicht:
»Soll ich sofort gehen oder bis zum Ende des Schulhalbjahrs dableiben?«
»Sie bleiben bis zum Ende des Schulhalbjahrs«, erwiderte Miss Bulstrode. »Und ich erwarte, dass Sie nach den Ferien wieder zurückkommen, falls die Schule, wie ich noch immer hoffe, weiterbestehen wird.«
»Sie wollen mich wirklich hier behalten?«, fragte Eileen.
»Selbstverständlich. Sie haben doch keinen Mord verübt oder einen Juwelendiebstahl geplant, oder? Sie haben nichts getan, als dass Sie Ihren natürlichen Instinkten gefolgt sind. Sie haben sich in einen Mann verliebt, Sie haben sein Kind geboren – wahrscheinlich war eine Heirat ausgeschlossen –, das ist kein Verbrechen.«
»Ich wusste von Anfang an, dass er mich nicht heiraten konnte«, erklärte Eileen.
»Also gut. Sie hatten ein Verhältnis«, sagte Miss Bulstrode. »Wollten Sie das Kind haben?«
»Ja, ich wollte es haben«, erwiderte Eileen Rich.
»Ich verstehe… Und jetzt werde ich Ihnen auf den Kopf zusagen, dass Ihre wirkliche Berufung die einer Lehrerin ist, trotz dieser Liebesgeschichte. Ich glaube, dass Ihnen Ihr Beruf mehr bedeutet, als einen Mann und Kinder zu haben, nicht wahr?«
»Zweifellos. Das habe ich schon immer gewusst.«
»Gut, in diesem Fall dürfen Sie mein Angebot nicht ausschlagen«, fuhr Miss Bulstrode fort. »Ich hoffe, dass es uns gemeinsam gelingen wird, Meadowbank während der nächsten beiden Jahre wieder zu einer ausgezeichneten Schule zu machen. Sie haben diesbezüglich sicher andere Ideen als ich, die ich mir anhören und die ich manchmal vielleicht sogar ausführen werde. Sie möchten doch sicher Verschiedenes ändern?«