»Colonel Pikeaway? Ich bin John Edmundson. Man hat mich zu Ihnen geschickt in der Annahme, dass Sie mich zu sprechen wünschen.«
»Tatsächlich? Wird wohl so sein«, entgegnete der Colonel. »Nehmen Sie Platz«, fügte er hinzu.
Seine Augen begannen wieder zuzufallen, aber bevor sie sich ganz schlossen, begann er zu sprechen.
»Sie waren während der Revolution in Ramat?«
»Ja – es war furchtbar.«
»Das kann ich mir vorstellen. Sie waren ein Freund von Bob Rawlinson, nicht wahr?«
»Ja, ich kenne ihn ziemlich gut.«
»Falsche Zeitform«, erklärte Pikeaway. »Er ist tot.«
»Ja, ich weiß, Colonel, aber ich war nicht ganz sicher…« Er machte eine Pause.
»Hier brauchen Sie kein Blatt vor den Mund zu nehmen«, sagte Colonel Pikeaway. »Wir sind über alles informiert – jedenfalls tun wir so. Rawlinson war der Pilot des Flugzeugs, in dem Ali Yusuf Ramat am Tag der Revolution verlassen hat. Seitdem ist das Flugzeug verschollen – mag an einem unzugänglichen Ort gelandet oder abgestürzt sein. Die Trümmer eines Zweisitzers wurden in den Arolez-Bergen entdeckt. Und zwei Leichen. Die Nachricht wird morgen an die Presse weitergegeben. Stimmt’s?«
Edmundson nickte.
»Wir sind genau im Bilde, dazu sind wir schließlich da«, erklärte Pikeaway. »Das Flugzeug mag im Nebel an einem Berg zerschellt sein, aber wir glauben eher an Sabotage. Wahrscheinlich eine Zeitbombe. Wir warten noch auf einen ausführlichen Bericht. Man hat eine Belohnung für weitere Informationen ausgesetzt, aber die Nachrichten tröpfeln nur. Wir haben uns entschlossen, eine Reihe von Sachverständigen an den Unglücksort zu schicken. Allerdings hat man es unseren Leuten nicht leicht gemacht. Gesuche an die Behörden, Verhandlungen, Bestechungen, Trinkgelder in die ausgestreckten Hände – na, Sie wissen ja Bescheid.«
Er sah Edmundson forschend an.
»Eine traurige Angelegenheit«, sagte Edmundson. »Prinz Ali Yusuf wäre ein modernes Staatsoberhaupt mit demokratischen Prinzipien gewesen.«
»Genau deshalb haben sie den armen Kerl wahrscheinlich umgebracht«, erklärte Colonel Pikeaway. »Aber wir haben keine Zeit, uns über sein trauriges Schicksal zu unterhalten. Wir haben den Auftrag erhalten, gewisse Erkundigungen einzuziehen, und zwar von einer bestimmten Stelle, die das Vertrauen der Regierung Ihrer Majestät genießt.« Er sah Edmundson scharf an. »Wissen Sie, worum es sich handelt?«
»Ich habe etwas läuten hören«, erwiderte Edmundson zögernd.
»Vielleicht haben Sie gehört, dass man unter den Trümmern und in den Taschen der Leichen keinerlei Wertgegenstände gefunden hat. Man nimmt nicht an, dass die Bauern der Gegend etwas gestohlen haben, allerdings würde ich keinen Eid darauf leisten. Bauern können ebenso verschwiegen sein wie das Auswärtige Amt. Haben Sie sonst noch etwas gehört?«
»Nein.«
»Wissen Sie wirklich nicht, dass bestimmte Wertgegenstände vermisst werden? Weshalb hat man Sie eigentlich zu mir geschickt?«
»Um etwaige Fragen zu beantworten«, erwiderte Edmundson steif.
»Na also! Und wenn ich Fragen stelle, erwarte ich Antworten.«
»Das versteht sich.«
»Anscheinend nicht bei den Herren vom Diplomatischen Dienst«, bemerkte Colonel Pikeaway spitz. »Aber kommen wir zur Sache. Hat sich Bob Rawlinson mit Ihnen in Verbindung gesetzt, bevor er Ramat verließ? Natürlich ist uns bekannt, dass er der Vertraute des Prinzen Ali Yusuf war, und wir möchten wissen, ob er Ihnen irgendetwas gesagt hat.«
»Wie kommen Sie darauf, Colonel?«
Colonel Pikeaway sah ihn scharf an, dann kratzte er sich hinter dem Ohr.
»Wenn Sie darauf bestehen, sich in diplomatisches Schweigen zu hüllen, kann man nichts machen«, bemerkte er ärgerlich. »Aber meiner Ansicht nach übertreiben Sie etwas, lieber Edmundson. Wenn Sie jedoch weiter vorgeben, von nichts zu wissen, ist der Fall für mich erledigt.«
»Ich bin nicht ganz sicher, aber ich glaube, dass Bob die Absicht hatte, mir etwas Wichtiges mitzuteilen«, erklärte Edmundson nach einigem Zögern.
»Das bestätigt meine Vermutungen. Können Sie mir mehr darüber erzählen?«
»Leider nicht viel, Colonel. Bob und ich hatten eine einfache Geheimsprache, da wir wussten, dass alle Telefongespräche in Ramat abgehört wurden. Er war über die Vorgänge im Palast informiert, und ich konnte ihm manchmal wichtige Nachrichten von draußen übermitteln. Wenn wir von einem schönen Mädchen schwärmten und sagten: ›Das hat die Welt noch nicht gesehen‹, so bedeutete das, dass wir uns etwas Wichtiges mitzuteilen hatten. Am Tag, an dem die Revolte begann, rief Bob mich an und benutzte diese Phrase. Wir verabredeten uns vor der Handelsbank, in der Hauptstraße, aber wir konnten uns nicht mehr treffen, da kurz nach unserem Telefongespräch Unruhen ausbrachen und die Straße von der Polizei gesperrt wurde. Ich hatte keine Möglichkeit mehr, mit Bob zu sprechen, der am gleichen Nachmittag mit Prinz Ali Yusuf das Land verließ.«
»Ich verstehe… Wussten Sie, von wo aus er Sie angerufen hatte?«, fragte Colonel Pikeaway.
»Nein, keine Ahnung.«
»Das ist ein Jammer.«
Der Colonel machte eine kurze Pause, dann fuhr er fort: »Kennen Sie übrigens Mrs Sutcliffe?«
»Bob Rawlinsons Schwester? Ja, natürlich, allerdings nur flüchtig. Sie war mit ihrer Tochter in Ramat.«
»Bestand ein sehr enges Verhältnis zwischen Mrs Sutcliffe und ihrem Bruder?«
Edmundson überlegte.
»Nein, eigentlich nicht. Bob war viel jünger, und sie spielte die ältere Schwester, wie sie im Buch steht. Außerdem mochte er seinen Schwager nicht, den er für einen hochnäsigen Burschen hielt.«
»Da hatte er nicht ganz Unrecht; Sutcliffe ist einer unserer führenden Großindustriellen, arrogant und eingebildet… Aber das gehört nicht zur Sache. Halten Sie es für wahrscheinlich, dass Rawlinson seiner Schwester ein Geheimnis anvertraut hat?«
»Schwer zu sagen, aber ich glaube es kaum.«
»Ich bin ganz Ihrer Meinung.« Pikeaway seufzte. »Übrigens befinden sich Mrs Sutcliffe und ihre Tochter noch an Bord der ›Eastern Queen‹, die morgen in Tilbury landen soll.«
Er betrachtete den jungen Diplomaten nachdenklich, dann streckte er ihm plötzlich die Hand entgegen.
»Vielen Dank für Ihren Besuch.«
»Keine Ursache. Es tut mir leid, dass ich Ihnen nicht mehr Informationen geben konnte.«
John Edmundson ging, und der diskrete junge Mann trat wieder ins Zimmer.
»Eigentlich wollte ich ihn bitten, Mrs Sutcliffe in Tilbury abzuholen, um ihr die traurige Nachricht zu überbringen, weil er ein Freund ihres Bruders war«, erklärte Colonel Pikeaway. »Inzwischen habe ich es mir jedoch anders überlegt. Er ist so entsetzlich steif und förmlich. Das hat man ihm beim Auswärtigen Amt beigebracht. Ich werde lieber Derek hinschicken… aber als Erstes muss ich etwas mit Ronnie besprechen. Bitten Sie ihn, sofort zu mir zu kommen.«
Colonel Pikeaway schien gerade wieder im Begriff zu sein einzuschlafen, als Ronnie ins Zimmer kam. Er war jung, groß und kräftig und machte einen vergnügten, etwas spitzbübischen Eindruck.
Pikeaway betrachtete ihn einen Augenblick, dann fragte er lächelnd: »Hätten Sie Lust, in ein Mädchenpensionat einzudringen?«
»In ein Mädchenpensionat?«, wiederholte der junge Mann stirnrunzelnd. »Das wäre mal eine Abwechslung! Was geht in dieser Schule vor? Haben die Mädchen in der Chemiestunde heimlich Bomben fabriziert?«
»Sie sind auf der falschen Fährte, mein Lieber! Es handelt sich um ein sehr vornehmes Internat – um Meadowbank.«
»Ja, ist denn das die Möglichkeit?«
»Halten Sie Ihren vorlauten Mund und hören Sie zu. Prinzessin Shanda, die Kusine und einzige nahe Verwandte des verstorbenen Prinzen Ali Yusuf, kommt fürs nächste Schuljahr nach Meadowbank. Bisher ist sie in der Schweiz zur Schule gegangen.«