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Die Leute beobachteten beiläufig, wie sie zu Roger ging, ihm Kaffee und Kuchen brachte. »Roger, es tut mir Leid, dass ich so ruppig war, aber manchmal kannst du einen ganz schön nerven. Denk dir mal eine weniger ungehobelte Art aus, auf Frauen zuzugehen, ja?«

Er fand es nett, bedient zu werden, und sagte leise: »Ich bin wie ein Elefant im Porzellanladen. Aber ehrlich, Lottie, wir würden uns prima amüsieren, wenn du mit mir auf den Ball gehen würdest. Ich verspreche, dass ich nicht trinke. Ich kauf dir ein Bouquet zum Anstecken und - also ich hab lange gebraucht, um den Mut aufzubringen.«

»Wirklich?«

»Ja, du machst mir 'ne Heidenangst.« Er trank den Kaffee.

»Bloß weil ich dich nerve, heißt noch lange nicht, dass ich keine Angst habe.«

»Hm - lass mich drüber nachdenken, während ich mit Thomas Steinmetz tanze.«

»Ich bleib hier sitzen. Rühr mich nicht vom Fleck.« Zum ersten Mal an diesem Nachmittag lächelte er aufrichtig.

»»Manche Männer kapieren''s einfach nicht«, dachte Mrs. Murphy bei sich.»»Einer Frau zeigen, dass man sie gern hat, ist eine Sache. Sie bedrängen, das ist was anderes. Männer müssen ein bisschen geheimnisvoll sein. Sie sollten von Katzen lernen.«

Die Party nahm ihren Lauf, und noch einige Männer forderten Lottie zum Tanzen auf. Tante Tally ließ keinen Tanz aus.

Als Lottie zu Roger zurückkam, schlief er fest, sein Kopf ruhte auf seiner Brust.

»Roger. Roger.« Sie schüttelte ihn. »Roger, du fauler Sack, wach auf«, rief sie munter. »Roger.« Lottie trat zurück. »O mein Gott.«

Little Mim kam hinzu und sagte ohne zu überlegen: »Was hast du ihm denn in den Kaffee getan? Er ist bewusstlos.«

»Er ist entweder ohnmächtig oder - tot.« Lotties Miene drückte Entsetzen aus.

»Ach Lottie, sei nicht so theatralisch. Er hat seit der Parade getrunken.« Little Mim packte seinen Arm, um ihn hochzuziehen. »Er ist warm. Wirklich.« Mit einem Anflug von Abscheu und Entschlossenheit gab sie ihm einen Stoß, und er kippte nach vorn, fiel flach aufs Gesicht.

Little Mim sah zu Roger und wieder zu Lottie. »Roger!«

Mrs. Murphy sprang vom Kaminsims, lief unter den Tisch und weckte Pewter und Tucker. Tucker rannte zu Roger, schnupperte und wich zurück.

Cynthia Cooper wurde vom Tanzboden geholt. Sie trat ins Zimmer und meinte, Roger sei bewusstlos. Sie fühlte an seinem Hals nach dem Puls. Nichts. Sie versuchte es noch einmal. Unterdessen traten weitere Gäste hinzu. Sie drückte Zeige- und Mittelfinger wieder an seinen Hals. Nichts. »Er ist tot.«

10

»Warum muss alles immer mir passieren?«, grummelte Tally, als sie sah, wie ihre Gäste mit der Situation zu kämpfen hatten.

Aber was soll eine Gastgeberin denn tun, wenn jemand auf ihrer Party stirbt? Den Leichnam nach der Feier wegschaffen? Ihn nach draußen schleppen und auf den Rasen kippen, damit niemand ihn sehen muss? Die Angehörigen trösten? Doch jahrelanger Anstands­unterricht sowie die jahrelange Herrschaft über Crozet, ehe sie ihrer Nichte das Feld überließ, hatten Tally ein sicheres Gespür verliehen.

Sie horchte auf, als die Sirene des Ambulanzwagens in anderthalb Kilometer Entfernung heulte. Geräusche trugen weit in der ruhigen ländlichen Gegend.

»Meine Damen und Herren, wenn Sie sich bitte in den Garten begeben wollen.« Sie nickte Ned Tucker zu, worauf er die Leute durch die geöffneten Glastüren hinaus geleitete. Dann ging sie zu Sean, der auf dem Stuhl saß, auf dem Roger gesessen hatte, bevor Little Mim ihn hochzerrte. Seans Mund hing schlaff herab. »Sean, kommen Sie, setzen Sie sich zu mir.« Die über Neunzigjährige führte den großen, hageren Mann in das elegante Wohnzimmer. Big Mim half ihr, ihn sanft auf das mit pfirsichfarbenem Satin bezogene Hepplewhite-Sofa zu setzen.

»Tante Tally, ich gehe die Tür aufmachen.«

»Danke, Liebes.«

Aber Cynthia Cooper war zuerst dort und öffnete die Tür für Diana Robb und ihre Assistenten vom Rettungsdienst, Dick und Susan Montjoy. Big Mim schloss sich ihnen an, als sie zu der Leiche gingen.

Diana sagte leise zu Cooper und Big Mim: »Ich hab gewusst, dass die Kokserei ihn eines Tages umbringen würde.«

»Ich hatte keine Ahnung«, flüsterte Big Mim erstaunt, hatte sie doch geglaubt, alles über alle zu wissen.

Cooper zuckte mit den Schultern. »Die Menschen benutzen den besseren Teil ihrer Intelligenz, um ihre Gewohnheiten geheim zu halten. Ich kriege das tagtäglich mit.«

»Ja, das kann ich mir denken«, erwiderte Mim verstört.

»Sean steht unter Schock. Ob er's gewusst hat?«

Während Diana und Dick den Toten vorsichtig in den Leichensack und dann auf die Bahre hoben, ging Big Mim leise ins Wohnzimmer.

»Sean.« Tante Tally tätschelte seine Hand. »Sean, Lieber, sie bringen Roger fort.«

Big Mim beugte sich vor. »Ich weiß, es ist schwer. Gibt es ein Bestattungsinstitut, das Sie ...«

Er hob ruckartig den Kopf. »Hill und Woods.«

»Ja. Ich gehe ihnen Bescheid sagen.« Sie hielt einen langen Augenblick inne. »Um Ihres Wohles willen, Sean, möchten Sie vielleicht eine Autopsie anordnen?«

Er ließ den Kopf in die Hände sinken. »Nein. Ich will nicht, dass man meinen Bruder aufschneidet.«

Tally und Big Mim wechselten einen Blick, dann ging Big Mim wieder zu Diana Robb und den Montjoys. »Hill und Woods. Sagen Sie ihnen, dass Sean im Augenblick nicht in der Verfassung ist, Entscheidungen zu treffen.«

»Okay.« Diana rollte die Bahre hinaus, Susan hielt ihr die Tür auf.

Als die Tür sich schloss, faltete Big Mim die Hände; ihr siebenkarätiger Smaragdring funkelte wie grünes Feuer. »Ich wünschte, er würde eine Autopsie anordnen. Wenn junge Menschen so sterben, möchte man wissen, woran. Es könnte in der Familie liegen.«

»Ja, aber wenn junge Menschen Drogen nehmen, vor allem Kokain, richtet das Verheerungen im Körper an«, sagte Cooper.

»Das Einzige, was ich Roger je nehmen sah, war Bier und Bourbon, und davon ein bisschen zu viel.« Die ältere, tadellos gekleidete Frau sah aus dem Fenster zu, wie Diana die Tür des Ambulanzwagens schloss.

»Das ist es ja eben. Man sieht die Leute das Zeug nicht nehmen. Albemarle County ist ein sehr, sehr wohlhabender Bezirk, Mrs. Sanburne. Man kann hier alles kaufen, und es gibt eine Reihe Leute, die Drogen nehmen. Sie kennen sich untereinander und beschützen sich gegenseitig«, flüsterte die Polizistin.

»Aber wir hätten doch bestimmt Anzeichen bemerkt, Cynthia. Eine Veränderung im Verhalten. Einen plötzlichen Gewichtsverlust oder das Gegenteil. Er wirkte so normal. Nicht gerade eine Leuchte, aber eben - normal.«

»War er auch.« Sie seufzte. »Ich kann nicht beweisen, dass er Kokain genommen hat, aber wir haben Dianas Wort, und sie irrt sich selten.« Sie überlegte kurz. »Manche Menschen können ein, zwei Linien Kokain nehmen und es genießen wie manche ein, zwei Drinks. Einer der Gründe, weswegen die Anti-Drogen-Kampagne nicht greift, ist, dass sie den Leuten nicht die Wahrheit sagt. Sie verteufelt Drogen anstatt zu erklären, dass unterschiedliche Menschen unterschiedliche Anlagen haben. Der eine kann trinken ohne Alkoholiker zu werden, und bei einem anderen reicht ein Schluck, und er ist verloren. Es gibt so vieles, was wir nicht wissen und anscheinend gar nicht wissen wollen.«

»Billigen Sie etwa Drogen?« Mim konnte es nicht glauben.

»Nein. Aber sind wir nicht scheinheilig? Eine Droge ist erlaubt, der Alkohol. Man soll entweder alle erlauben oder alle verbieten. So sehe ich das, und es würde mir die Arbeit erheblich erleichtern.«

»Ich muss darüber nachdenken. In der Zwischenzeit suche ich lieber jemanden, der Sean nach Hause bringt. Und ich sollte die Gäste aus dem Garten entlassen. Diese Sache wird sich auf meinen Ball heute Abend auswirken.« Sie sagte es ohne Groll, mehr in dem Sinne, dass das Leben jedem von Zeit zu Zeit einen Strich durch die Rechnung macht.