Murphy tollte fünf Minuten lang so herum, bis sie es satt hatte, solo Handball zu spielen. Fieserweise deponierte sie den Flummi ungefähr dreißig Zentimeter vor dem Mauseloch. Unter großem Getue verließ sie die Sattelkammer, schlich auf Zehenspitzen wieder hinein und schwang sich leise auf einen Sattel. Mit angehaltenem Atem wartete sie, bis sie winzige Barthaare in der Öffnung erscheinen sah.
»Sie ist weg«, sagte eine Stimme.
»O nein, ist sie nicht. Ich kenne Mrs. Murphy. Die ist gerissen«, antwortete die Piepsstimme von vorhin.
»Mom, du bist zu ängstlich. Sie ist bei Simon auf dem Heuboden.«
»Bart, du gehst mir da nicht raus. Du kannst später spielen. «
Doch Bart, jung und sehr von sich eingenommen, dachte, er könnte raussausen, sich den Flummi schnappen und ihn hineinrollen. Und sollte die Katze doch in der Sattelkammer sein - er dachte, er wäre schneller als sie. Irrtum.
Kaum war Bart herausgeflitzt, als er von Mrs. Murphys ganzem Gewicht umringt war. Sie war heruntergesprungen und hielt ihn unter ihrem beigegestreiften Bauch fest.
»Bart! Bart!«, schrie seine Mutter.
»Mom.« Seine Summe war durch das viele Fell gedämpft.
Höchst zufrieden mit sich drehte Mrs. Murphy sich so, dass Bart seinen Kopf unter ihr hervorstecken, aber nicht entkommen konnte.»Elende Kreatur.«
»O bitte, Mrs. Murphy, töte mich nicht.«
»Ich werde mit dir spielen, ich lass dich los, dann knall ich meine Pfote auf deinen Schwanz. Wenn ich deine Blödheit satt habe, pack ich dich am Hals und beiß dir den Kopf ab. Ich lass deinen Kopf hier liegen, damit Harry sieht, was für eine tolle Mäusefängerin ich bin. Den Rest esse ich. Hm, lecker. «
»Nimm mich.« Inmitten des Geschreis der anderen Mäuse eilte Barts Mutter beherzt herbei.
»Ich könnte euch beide kriegen, fix wie ich bin.«
»Du bist eine fabelhafte Sportlerin, Mrs. Murphy.« Die Mutter trat direkt vor Mrs. Murphys Nase.»Aber er ist jung. Ich nicht. Nimm mich. «
Bart schluchzte. Mrs. Murphy überdachte die Situation. Sie hörte einen leisen Flügelschlag im Gang. Die Eule war von der Jagd zurück.
»Na los. Geh rein. Sie wird dich fressen. Ich nicht.«
»Gottes Segen, Mrs. Murphy.« Die Mutter umarmte Mrs. Murphy so gut sie konnte, während Bart in sein Heim huschte.
»Räumt ja hier auf. Wenn nicht, bin ich nächstes Mal nicht so nett zu euch.«
»Machen wir!«, gelobte ein jubelnder Chor hinter der Mauer.
Zufrieden, weil sie ihre Herzen mit Angst und Schrecken erfüllt hatte, verschwand die Tigerkatze im Mittelgang und kletterte dann die Leiter zum Heuboden hinauf. Simon schlief, umringt von seinen Schätzen.
Murphy sah zu der Kuppel hoch, von wo die Eule, gut einen halben Meter größer als sie, hinunterspähte.
»Werda?«
»Du weißt wer.«
»Allerdings. Eine freche Katze. Eine verwöhnte Katze. Mrs. Murphy. Was machst du hier drin? Vom Regen überrascht?«
»Nein. Ich bin aufgewacht, als er aufgehört hat. Warst du im Regen jagen?«
»Auf Beutezug, als das Schlimmste vorbei war.«
Mrs. Murphy kletterte auf den obersten Heuballen. »Komm hier runter und sprich mit mir, damit ich keine Genickstarre kriege. Und ich mag nicht schreien. Sonst wacht Simon früher oder später auf und quengelt. Du kennst ihn ja.«
Obwohl sie nicht eng befreundet waren, hatten die zwei Raubtiere Achtung voreinander, auch wenn die Eule nicht das geringste Verständnis für Domestizierung aufbrachte. Sie schwebte herunter, totenstill. Das ließ Mrs. Murphy frösteln; denn wenn die Eule jagte, merkte man erst, wie einem geschah, wenn es zu spät war. Selbst scharfe Katzenohren konnten ihre Anwesenheit erst wahrnehmen, wenn sie schon ganz nahe war.
Die gelb strahlenden Augen der Eule blinzelten.»Was hast du im Sinn, Miezekatze?«
»Ichmuss zu Tante Tally Urquhart, aber ich kann die Bäche nicht überqueren.«
»Sind über die Ufer getreten, Geröll wirbelt im Wasser. Nicht mal die Biber wollen raus aus ihren Burgen, und die Äste bohren Löcher in die Burgen. Man kann das Getöse hören.« Die Eule blinzelte wieder.
»Ja, ich hab 's gehört, als ich das Haus verlassen habe. Ich denke, wenn wir an Tallys Einfahrt vorbeikommen, kann ich das Fenster von dem Transporter aufmachen und rausspringen. Mutter muss wegen der Kurve das Tempo runternehmen, aber sie soll nicht wissen, dass ich die Fenster aufkriege. Es ist nicht gut, wenn die Menschen wissen, was wir können.«
Die Eule kicherte.»Das ist sehr eulenhaft von dir.« Sie plusterte ihr Gefieder auf, drehte ihren Kopf fast ganz herum, dann ließ sie sich nieder.»Soll ich hinfliegen?«
»Ich muss ins Haus rein.«
»Ah, da kann ich dir nicht helfen.«
»Zwei Menschen sind ermordet worden. Der eine wurde erhängt und der andere erschossen.«
»Ich weiß.«
»Das hab ich vermutet. Du kommst viel rum. Ich hatte nicht gedacht, dass du dir viel aus den Angelegenheiten der Menschen machst.«
»Tu ich auch nicht, aber Mord ist ein unheimliches Phänomen. Wir Eulen ermorden uns nicht gegenseitig. Ihr Katzen mögt euch balgen, in einem bösen Kampf auch mal ein Auge verlieren, aber ihr ermordet euch nicht gegenseitig. Das ist eines von den bedrückenden Phänomenen bei den Menschen.«
»Scheint so.« Murphy beugte sich zu dem großen Vogel vor.
»Ich glaube, es gab einen dritten Mord. Roger O 'Bannon. Und entweder hat sein Bruder es getan, oder sein Bruder muss als Nächster dran glauben.«
»Ah, bin ich etwa der Hüter meines Bruders?« Sie wiegte sich auf ihren großen Füßen vor und zurück.
»Kain und Abel. Mrs. Hogendobber würde das genaue Bibelzitat wissen. Ich weiß es nicht, aber die Geschichte kenne ich.«
»Ich auch. Kain hat Abel erschlagen, weil er eifersüchtig war. Der hebräische Gott hat Abel vorgezogen. In allen Religionen gibt es so eine Geschichte. Da ich Athene geweiht bin, habe ich eine Vorliebe für die griechischen Sagen. Man müsste schon ein starkes Motiv haben, um Blut vom eigenen Blut zu töten. Oder aber Sean ist schlicht ein kaltblütiges Wesen.«
»Das glaube ich nicht. Ich könnte mich irren. Crozet ist so klein. Man meint die Leute zu kennen, aber man kennt sie nicht. Am rätselhaftesten ist mir, auf was die sich eingelassen haben - in Don Clatterbucks Tresor hat man über fünfhunderttausend Dollar gefunden. Drum sollte ich wohl sagen, dass Geld das Motiv ist, und wenn das nur Clatterbucks Anteil ist, dann sprechen wir von einem riesigen Batzen Geld. Aber ich kann mir um alles in der Welt nicht denken, was sie getan haben könnten, um an so viel Kohle zu kommen. Drogen sind es nicht, das glaube ich zumindest, und wir wissen, dass es kein Falschgeld ist. Ich hab überlegt und überlegt. Hab sogar daran gedacht, ob sie vielleicht Staatsgeheimnisse verkauft haben, aber in Albemarle County gibt's keine Staatsgeheimnisse. Die Regierungsbeamten und hohen Offiziere, die sich hier zur Ruhe gesetzt haben, sind einfach nur im Ruhestand.«
»Sklaverei.« »Häh?«