»Mrs. Murphy, es gibt noch Sklaverei. Kinder werden gekauft und verkauft. Menschen aus Asien und Südamerika werden in die USA geschmuggelt und als Haussklaven verkauft. Oh, man nennt es anders, aber es ist Sklaverei. Wenn du die Sprache nicht sprichst, kannst du nicht allein aus dem Haus gehen. Du arbeitest für nichts oder fast nichts, und ein anderer Mensch, vielleicht der, der dich reingeschmuggelt hat, bestimmt über dein Leben. Menschen über die Grenze schmuggeln, da steckt viel Geld drin.«
»Darüber hab ich nie nachgedacht. Ich weiß nicht, aber da ist was, und das ist hier. Eins weiß ich, wenn Sean nicht beteiligt ist, wird er über kurz oder lang tot sein. Wenn er am Leben bleibt, muss ich das Schlimmste annehmen.«
»Kannst du ihm nicht eine Falle stellen? Wenn er nicht reinfällt, ist er unschuldig«, sagte die Eule bedachtsam.
»Das ist es ja. Da ich nicht weiß, was sie machen, kann ich keine Falle stellen. «
»Du sitzt in der Patsche.« Die Eule kicherte.»Aber dein Mensch ist in Sicherheit. Warum dich grämen?«
»Nein, ist sie nicht. Sie war dabei, als ausgerechnet BoomBoom Craycroft den Tresor aufgeschweißt hat. Und jetzt ist Harrys Blut in Wallung. Sie ist so neugierig wie eine Katze, aber ohne die neun Leben.«
»Harry hat eine seltsame Art, über die Wahrheit zu stolpern.«
Die Eule kratzte sich mit dem Fuß am Kopf.
»Du könntest mir einen Gefallen tun. Wenn das Wetter es zulässt, flieg über O 'Bannon 's Salvage. Guck mal, ob aus der Luft irgendwas eigenartig aussieht. Manchmal verrät die Erde was. Oh, und dort wohnt ein äußerst widerwärtiger Rattenmann, er nennt sich Papst Ratte. Ich glaube, der weiß 'ne Menge.«
»Wenn ich ihn erwische und nach oben trage, wird er singen wie ein Rotkehlchen.« Sie kicherte leise und tief; der Gedanke, die Ratte in der Luft zu schwenken, gefiel ihr.
»Wenn wir rauskriegen, was es ist, werden wir uns bestimmt wundern, wie uns das entgehen konnte.« Die Katze seufzte.
»Oder Bauklötze staunen. Trotz ihrer vielen Fehler können Menschen verdammt schlau sein.«
O
bwohl der Regen aufgehört hatte, schwappte das abfließende Wasser über die Schnellstraßen, und mit Unrat verstopfte Bachdurchlässe stauten sich und liefen über. Wohin man auch sah, überall floss Wasser. Es ließ die Seitenstreifen der Straßen glänzen.
Harry, die langsam fuhr, sprach ein Dankgebet, weil ihr Land hoch über dem Überschwemmungsgebiet lag. In den Gebäuden im Flachland standen zumindest die Keller unter Wasser.
Mrs. Murphy, Pewter und Tucker hatten sich gestritten, seit sie in den Transporter geklettert waren. Murphy war fest entschlossen rauszuspringen, wenn Harry wegen der Kurve bei der Einfahrt zu Tally Urquharts Farm langsamer fahren musste.
Pewter schwor, sie würde sich nicht aus einem fahrenden Auto stürzen. Was kümmerte es sie, ob Sean in Gefahr war? Außerdem würde sie sich in der ewig langen Zufahrt nasse Füße holen.
Tucker stöhnte; sie könnte sich zwar durch das Fenster quetschen, aber da sie nicht so behende war wie die Katze, fürchtete sie sich vor dem Sturz. Es hatte keinen Sinn, gebrochene Knochen aufzulesen.
»Aber ich brauch deine Nase«, schmollte Murphy.
»Wird dir kaum was nützen, wenn ich mich nicht die Zufahrt raufschleppen kann. Der Plan taugt nichts, Murphy. Hab Geduld. Früher oder später wird Mom Tally besuchen.«
»Bis dahin ist es zu spät.« Die geschmeidige Katze legte die Pfote auf die Fensterkurbel; der alte Transporter hatte keine elektrischen Fensterheber.
»Nein, ist es nicht.« Pewter fürchtete, wenn Murphy das Fenster herunterkurbelte und aus dem Wagen stürmte, würde Harry ausscheren, und sie würden von der Straße in den Matsch rutschen. Keine angenehme Aussicht für eine etepetete Katze.
Vor ihnen lag Tallys Farm. Das große rechteckige Schild mit einer weißen Rose auf dunkelgrünem Grund und dem Namen »Rose Hill«, das auf das Anwesen aufmerksam machte, schwang im leichten Wind. Mrs. Murphy fing an, das Fenster mit beiden Pfoten herunterzukurbeln, als Harry zu ihrer Freude rechts in die Zufahrt einbog.
»Murphy, was machst du da?«
»Verdammt, jetzt weiß sie, dass ich das Fenster öffnen kann. «
»Ich hab dir ja gesagt, tu's nicht.« Pewter rutschte selbstgefällig herüber, um neben Harry zu sitzen.
»Arschkriecherin«, fauchte Murphy.
»Das bringt uns doch nicht weiter. Was, wenn dies nur 'ne Stippvisite ist? Wir brauchen einen Plan«, sagte die praktische Tucker.
»Also gut. Wenn wir hinkommen, Tucker, gehst du schnurstracks ins Esszimmer. Die alten Fußbodenbretter sind unterschiedlich breit. Zwischen den Brettern sind Ritzen. Schnupper daran.
Müsste ein bitterer Geruch sein. Pewter, du gehst in die Speisekammer. Du schnupperst auch, aber auf den Regalen. Du musst deine Nase in Zuckerdosen, Sahnekännchen, jede kleine Schüssel stecken, aber sei vorsichtig. Dass du bloß nichts in dich reinatmest. Das Zeug ist tödlich. Denk dran, wie schnell es Roger O'Bannon getötet hat.« »Falls es so war«, erwiderte Pewter.»Ohne Autopsie werden wir's nie erfahren. Er könnte eines natürlichen Todes gestorben sein.«
»Wollen wir's hoffen«, meinte Tucker grimmig.
»Sean hätte eine Autopsie verlangen sollen.« Pewter rutschte ungeduldig zur Beifahrertür, als Harry hinter Tallys schönem Haus parkte.»Es ist merkwürdig.«
»Manche Menschen sind strikt der Meinung, dass ein Toter nicht gestört werden darf. Und zu der Zeit hat niemand an Mord gedacht. So merkwürdig ist das gar nicht.« Tucker ließ sich von Harry aus dem Wagen heben.
Auf dem Gras waren von den Bäumen und Büschen heruntergeschlagene Blüten verstreut wie rosafarbenes und weißes Konfetti. Harry klopfte an die Hintertür, während sie die Blütenblätter von ihren Stiefeln kratzte.
Da nicht gleich jemand an die Tür kam, öffnete sie diese einen Spalt. »Tante Tally, ich bin's, Harry.«
Schritte hallten durch den hinteren Flur. Reverend Herb Jones erschien. »Harry, kommen Sie herein.«
»Hi. Ich hab Ihr Auto nicht gesehn.«
»In der Garage. Der Sturm war so schlimm, da dachte ich, ich komme lieber her und bleibe hier, zumal Mim mit ihrer Familie in New York ist.« Er schloss die Tür hinter Harry und den Tieren, die zu ihren jeweiligen Aufgaben enteilten.
»Wenn ihre Hilfe nach Hause geht, ist sie ganz allein hier draußen, und die Stürme haben böse gewütet. Einer direkt nach dem anderen.«
»Himmel, bin ich froh, dass Sie hier sind. Deswegen bin ich vorbeigekommen. Ich hatte mir auch Sorgen gemacht, weil Tally allein ist.« Sie folgte Herb in die große Küche.
Tally blickte von vergilbten Jagdgebietskarten hoch, die in den 1930er Jahren gezeichnet worden waren. »Ich lebe noch, danke.«
»Daran hab ich nie gezweifelt.« Harry lachte. »Hey, tolle Karten.«
»Ich hatte vergessen, dass ich sie habe, und dann haben Herb und ich von der alten Jagd von Albemarle im Pachtgebiet von Greenwood gesprochen. Ich war damals noch ein Kind, aber die Jagd hat sich nach und nach aufgelöst, und 1929 hat der Farmington-Club das Gebiet übernommen. Auf diesen alten Karten können Sie's sehen.«
Harry stützte sich auf die Ellbogen, um die Karten zu betrachten. Sie liebte alte Drucke, Fotografien, Aquatinta. »Ich glaube, damals hatten die Menschen ein besseres Leben.«
»Hm, ich bin geneigt Ihnen zuzustimmen - außer man hatte Zahnweh«, erwiderte Tante Tally gewitzt.