»Vielleicht.« Sie verlagerte ihr Gewicht auf den linken Fuß. »Ich habe läuten gehört, dass du den Abbruchball durchziehen willst, und ich wollte dir helfen.«
»Danke, Lottie.«
»Ich dachte, ich könnte vielleicht ein paar von Rogers Aufgaben übernehmen.«
»Das ist es ja. Ich weiß nicht die Hälfte von dem, was er gemacht hat. Er hat sich da in der Werkstatt vergraben, und ich war hier draußen. Er hat sich um die Verpflegung gekümmert. Ich habe die Dekorationen übernommen, aber dann ist so viel passiert. Leider habe ich nie richtig zu würdigen gewusst, was Roger zum Geschäft beigetragen hat, oder zu meinem Leben. Ich komme mir so - so mies vor.«
»Sean«, sie legte ihre Hand auf seinen Unterarm, »keiner weiß so was zu würdigen. Nicht nur du. Niemand von uns weiß, was andere für unser Leben tun, bis sie nicht mehr da sind.«
»Ah - danke.« Er kickte Steinchen auf dem Kiesweg hoch, dann sah er Lottie an. »Kommst du auf den Ball?«
»Natürlich. Oh, ich wollte gar nicht so lange bleiben. Ich wollte dir nur Bescheid sagen, dass ich zum Helfen zur Verfügung stehe.«
41
Aus einer Eingebung hatte Cooper das Fahndungsfoto von dem falschen Wesley Partlow an alle Dienststellen im Staat geschickt. Nachmittags um zehn nach vier saß sie an ihrem Schreibtisch an einem Entwurf. Nächsten Mittwoch sollte sie an der Western Albemarle Highschool einen Vortrag über Gesetzesvollzug als Beruf halten. So sehr sie ihre Arbeit liebte, sie war müde, und ihr wollte partout nichts einfallen.
Zum Teil kam die Erschöpfung daher, dass sie es ständig mit Leuten zu tun hatte, die selbst mächtig im Stress waren. Sean hatte sie wegen der Exhumierung am kommenden Montag angegriffen. Er respektierte den Wunsch seiner Mutter, aber er fand, das Gesuch sei makaber und die Exhumierung werde sich als ergebnislos erweisen.
Sobald er Dampf abgelassen hatte, fragte sie ihn nach Rogers Erwerb einer Beteiligung an einem Stockcarsyndikat in Höhe von vierzigtausend Dollar, einem riesigen Batzen Geld für ein Hobby, und Sean sagte, es ginge ihn nichts an, wofür sein Bruder sein Geld ausgab. Er hatte regelmäßig die Rennbahn in Waynesboro besucht, und es war verständlich, dass Roger in die höheren Regionen des Sports vorstoßen wollte, wenn er ein bisschen Geld gespart hatte. Die Formel-1-Fahrer Dale Earnhardt und Richard Petty waren seine Helden.
»Man kann es nicht mit ins Grab nehmen«, hatte Sean O'Bannon wörtlich gesagt.
Dann musste Coop sich mit Don Clatterbucks Mutter bei der Bank treffen, um sein Bankschließfach zu öffnen. In dem schmalen Metallfach befanden sich sein Kraftfahrzeugbrief, seine Geburtsurkunde, einige Aktien und Anleihen sowie die Kombination für den Tresor.
Mrs. Clatterbuck schwor, dass sie die Kombination nicht kannte und gedacht hatte, der Tresor sei eins von Dons Fundstücken. Früher oder später würde er ihn wohl verkaufen. Er handelte gern. Sie wusste nicht, wo er das gute Stück erworben hatte. Weder sie noch ihr Mann waren Kaufleute.
Keine Liebesbriefe waren in dem Bankfach versteckt.
Coop bedankte sich bei Mrs. Clatterbuck, notierte sich die Kombination und kehrte ins Büro zurück.
Um zwanzig nach vier ging sie zur Kaffeemaschine. Ein Koffeinstoß würde sie vielleicht zu Ideen für ihren Vortrag inspirieren. Ihr fiel nichts anderes ein als »Wie würde es euch gefallen, Betrunkene, totgeschlagene Väter und zerquetschte Unfallopfer aufzulesen? Zur Abwechslung könntet ihr einen Drogendealer mit weggeschossenem Kiefer verhören.« Sie wusste, wenn sie in diesem Stil weitermachte, würde sie ins wahrhaft Morbide abgleiten. Kaum hatte sie den Kaffeebecher am Mund, als Sheila ihr ein Gespräch durchstellte.
Coop ging wieder an ihren Schreibtisch und nahm ab.
»Deputy Cynthia Cooper.«
»Louis Seidlitz, der Barmann von Danny's.«
»Ja, Mr. Seidlitz?«
»Mir ist der Name von dem kleinen Kotzbrocken eingefallen: Dwayne Fuqua. Hat mich ganz verrückt gemacht.«
»Als ich bei Ihnen war, sagten Sie, er war nicht oft da.«
»War er auch nicht. Wie gesagt, vielleicht einmal im Monat. Dwayne hatte eine Mission.« »Mädchen.«
»Mit Glück?«
»Nicht mehr als die meisten.« Louis lachte.
»Mr. Seidlitz, haben Sie ein Faxgerät im Büro?«
»Ja.«
»Legen Sie nicht auf. Geben Sie mir die Nummer und ich faxe Ihnen ein Foto. Sagen Sie mir, ob Sie jemanden erkennen.«
Er gab ihr die Nummer. Sie faxte ihm das Foto von Donald und Roger.
Sie konnte hören, wie das Faxgerät in seinem Büro das Foto auswarf.
»Deputy?«
»Ja?«
»Der mit den Händen in den Taschen. Der war ab und zu da. Mit Dwayne.«
»Mr. Seidlitz, haben Sie vielen Dank. Sie waren mir eine große Hilfe.«
»Gern geschehn.«
Sie legte auf, schalt sich im Stillen, weil sie nach ihrem Besuch in der Bar entmutigt gewesen war. Sie hatte das Gefühl gehabt, geschlampt zu haben. Nun, Louis hatte es wettgemacht. Er hatte soeben Don Clatterbuck identifiziert.
42
»Kühl. Ein schöner Herbsttag.« Diego beschrieb den Tag in Montevideo; denn südlich des Äquators waren die Jahreszeiten umgekehrt.
»Hier regnet's. Wenn die Tiere zu zweit gehen, bekomme ich Angst.« Harry lachte.
»Ist das zu fassen? Sie reden übers Wetter!« Pewter rümpfte die Nase.
»Duetwa nicht?« Tucker hatte einen Heißhunger auf Speck, und sie wünschte, Harry würde ein Sandwich mit Speck, Salat und Tomaten machen.
»Es ist so viel passiert, seit Sie weg sind.« Harry wollte nicht, dass Diego zu viel Geld für ein langes Gespräch mit ihr ausgab. Sie hatte keine Ahnung, wieviel Geld er tatsächlich besaß, aber sie wollte bestimmt nichts davon verschwenden. »Don Clatterbuck ist erschossen worden. Sie erinnern sich vielleicht nicht an ihn.«
»Vage. Virginia hört sich an wie der Wilde Westen. Sind Sie in Sicherheit?«
»Aber ja. Ich bin für niemanden von Bedeutung.«
»Für mich schon. Ich hoffe Sie wiederzusehen - bald.«
»Danke.« Sie lächelte, hob die Stimme. »Was haben Sie morgen zu tun?«
»Thomas und ich fliegen nach Buenos Aires, das ist nicht weit. Auf einer Landkarte können Sie sich ansehen, wie die Städte liegen.« Hinter ihm schlug eine Uhr.
»Wo sind Sie jetzt?«
»In der Stadt, in der Wohnung meiner Familie.«
»Ich hab die Glockenschläge gehört.« »Eine Standuhr, die 1846 aus Frankreich hierherkam. Oh, mein Vater kann Ihnen Geschichten erzählen, aber ich habe nicht angerufen, um von meinem Vater zu sprechen. Ich habe angerufen, um Ihnen zu sagen, dass wir uns an dem Wochenende sehen werden, wenn die Party stattfindet, der Ball.« Er machte eine Pause. »Ich weiß, dass Sie eine Verabredung für den Ball haben. Ich werde nett zu ihm sein ...«
»Bitte tun Sie das.«
»Was kann ich Ihnen aus Buenos Aires mitbringen?«
»Ein Bild von den Polofeldern, wo die Argentinian Open stattfinden. Und Sie. Ich möchte Sie sehen.« Das war so viel Koketterie, wie Harry gerade noch aufbringen konnte.
»Sil«
Sie sagten sich auf Wiedersehen und legten auf. Harry summte vor sich hin, dann sah sie auf die Küchenuhr. »Ich muss los.«
»Nimm uns mit.«
43
»So eine hirnrissige Idee«, klagte Pewter. LJ »Leider fragen die Menschen uns nicht um Rat, bevor sie was Unüberlegtes tun.« Murphy stimmte ihrer Freundin zu, was die Beurteilung der Lage betraf. »Blödvon ihnen, ich weiß.«
»Theoretisch ist es eine gute Idee.« Tucker blieb auf der anderen Seite des Raumes, weit weg von dem Schweißbrenner. Der Geruch, die Funken, die Flamme machten ihr dieses Mal mehr zu schaffen.