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»Warum nicht auch um die anderen Kinder?«

»Man kann nicht die ersten zwei Jahre seines Lebens in niedriger Schwerkraft verbringen.«

»Das kann doch nicht funktionieren«, sagte Nafai. »Selbst wenn die anderen sich einverstanden erklären würden, hätten die Kinder — außer den beiden von Schedjas — keine mehr in ihrem Alter, die sie heiraten könnten. Alle anderen wären Geschwister oder doppelte Vettern ersten Grades — bis auf Ojkib und Yasai. Die sind einfache Vettern ersten Grades.«

»Njef, ich habe es ihr immer und immer wieder gesagt. Glaubst du, ich wüßte nicht, was für eine dumme Idee das ist? Das muß Chveja gestern abend mitbekommen haben. Ich habe mit der Überseele gestritten.«

»Du mußt nicht laut mit der Überseele sprechen, Luet«, sagte er.

»Das ist mir aber lieber!« erwiderte sie.

»Na ja, was auch immer geschehen sein mag, Zdorab glaubt anscheinend, daß er gegen Mitte der Reise aufwachen und mich kontrollieren muß.«

»Ich kann mir vorstellen, daß er wütend ist«, sagte Luet.

»Wir können nur eins tun.« Nafai nahm sie bei der Hand. Sie kehrten zum Wartungsgebäude zurück.

Sie brauchten nur ein paar Minuten, alle Erwachsenen in der Küche um den großen Tisch herum zu versammeln, an dem sie abwechselnd ihre Mahlzeiten einnahmen. Wie üblich schaute Elemak ziemlich verärgert drein, während Mebbekew offen feindselig reagierte. »Was hat das zu bedeuten?« fragte er. »Können wir jetzt nicht mal mehr in Ruhe schlafen?«

»Wir müssen sofort etwas klarstellen«, sagte Nafai.

»Ach? Hat einer von uns etwas Böses getan?« fragte Meb höhnisch.

»Nein«, sagte Nafai. »Aber einige von euch glauben, daß Luet etwas vorhat — nein, wenn ich darüber nachdenke, glaubt ihr wahrscheinlich, daß ich etwas vorhabe, und ich möchte das sofort offen zur Sprache bringen.«

»Offenheit«, sagte Huschidh. »Endlich mal eine ganz neue Idee.«

Nafai beachtete sie nicht. »Anscheinend hat die Überseele versucht, Luet zu überreden, wir sollten während der Reise etwas Törichtes mit den Kindern anstellen.«

»Etwas Törichtes?« Volemak, Nafais Vater, schaute verwirrt drein.

»Ja«, sagte Nafai. »Zum Beispiel, sie während der Reise wachhalten.«

»Aber das wäre doch schrecklich langweilig für sie«, sagte Nafais ältere Schwester Kokor.

Nafai antwortete ihr nicht; sie schaute lediglich der Reihe nach die anderen an. Es freute ihn, daß sogar Elemak — der bestimmt von der Idee wußte, die Kinder wach zu halten, und dem gewiß klar war, was dies bedeutete — von Nafais Vorgehen ein wenig überrascht zu sein schien. »Ich weiß, daß einige von euch noch vor mir davon gewußt haben. Ich erfuhr es nur deshalb, weil die Überseele das Wecksignal gefunden hat, das du in den Schiffskalender eingegeben hast, Zdorab.«

Mebbekews schneller Blick auf Zdorab und sein ebenso schneller Blick zur Seite bestätigten, daß auch er von dem Wecksignal gewußt hatte. Wahrscheinlich hatte er sogar damit gerechnet, Zdorabs kleiner Wecker würde ihn mit den anderen aus dem Schlaf reißen. Aber Zdorab wußte natürlich, daß Mebbekew nutzlos sein würde. Wüßte Meb doch nur, welche Verachtung alle anderen ihm entgegenbrachten. Andererseits aber wußte er vielleicht doch davon — und dies war der Grund für seine unablässige Boshaftigkeit.

»Ich glaube, das war eine gute Idee, Zdorab«, sagte Nafai. »Natürlich hat die Überseele dein Wecksignal entfernt, aber ich werde ein neues einbauen. Zur Mitte der Reise werden alle Erwachsenen geweckt. Nur für einen Tag, damit ihr eure schlafenden Kinder sehen und euch davon überzeugen könnte daß sie noch in dem Alter sind, in dem ihr euch von ihnen verabschiedet habt. Eine bessere Möglichkeit, dafür zu sorgen, daß die Überseele in dieser Angelegenheit nicht ihren Willen bekommt, fällt mir nicht ein.«

Volemak kicherte. »Glaubst du wirklich, du könntest die Überseele täuschen?«

Luet ergriff das Wort. »Die Überseele versteht vieles, aber sie ist kein Mensch. Sie begreift nicht, was es für uns bedeuten würde, wenn man uns die Kindheit unserer Kinder nähme. Wie würdest du dich fühlen, Tante Rasa, wenn du aufwachst und feststellst, daß Okja und Yaja achtzehn- und siebzehnjährige Männer sind? Daß du all die Jahre dazwischen verpaßt hast?«

Rasa lächelte verkniffen. »Ich würde dem, der mir das angetan hat, niemals verzeihen. Auch der Überseele nicht.«

»Ich habe versucht, es der Überseele zu erklären. Manchmal versteht sie menschliche Gefühle nicht.«

»Manchmal?« murmelte Elemak.

»Ich … ich habe laut gesprochen. In der Zurückgezogenheit meines Zimmers. Nafai hat bis spät in den Abend gearbeitet. Aber Chveja wurde wach und muß ziemlich lange gelauscht haben, bevor sie schließlich anklopfte.«

»Willst du damit sagen, daß deine Tochter eine Petze ist?« sagte Mebbekew und gab sich schockiert.

Luet sah ihn nicht an. »Chveja hat nicht verstanden, was sie gehört hat. Es tut mir leid, daß ich für soviel Unruhe gesorgt habe. Ich wußte, daß einige von euch davon wissen und einige nicht. Aber als Nafai vor ein paar Minuten davon erfahren hat, sind wir beide sofort hierher gekommen und … na ja, hier sind wir.«

»Morgen kann Zdorab bestätigen, daß das Wecksignal auf die Mitte der Reise eingestellt ist«, sagte Nafai. »Es würde uns nur dann nicht wecken, wenn die Überseele es während der vielen Phasen ausschalten würde, in denen ich selbst schlafe. Aber das halte ich nicht für wahrscheinlich. Denn sobald ich dann erwache, würde ich selbst euch manuell wecken. Ich sage euch jetzt ein für allemal, daß mit dem Ablauf der Zeit keine Spiele getrieben werden. Unsere Kinder werden bei unserer Ankunft im selben Alter sein wie bei unserem Aufbruch. Der einzige, der während der Reise altert, werde ich sein — und glaubt mir, ich habe kein Interesse daran, mehr zu altern, als unbedingt nötig ist, um die sichere Funktion des Schiffes zu gewährleisten.«

»Warum mußt du überhaupt wach sein?« fragte Obring, Kokors Gatte, nach Nafais wohlüberlegter Meinung eine kleine Schlange von Mann.

»Die Schiffe wurden nicht dafür entworfen, von der Überseele gesteuert zu werden«, erklärte Nafai. »Das Programm der Überseele ist sogar erst fertig geschrieben worden, nachdem die ursprüngliche Flotte auf Harmonie eingetroffen ist. Die Computer hier können das Programm der Überseele zwar aufnehmen, aber kein einziges Programm ist imstande, sämtliche Computer an Bord des Schiffes gleichzeitig zu kontrollieren. Das ist eine Sicherheitsvorkehrung. Redundanz. Auf diese Weise können nicht alle Systeme gleichzeitig versagen. Außerdem gibt es noch einige Dinge, die ich von Zeit zu Zeit erledigen muß.«

»Die irgend jemand erledigen muß«, murmelte Elemak.

»Ich habe den Mantel«, sagte Nafai. »Und ich glaube, dieses Thema haben wir bereits vor längerer Zeit geklärt. Oder wollt ihr wirklich alte Argumente neu ausgraben?«

Offensichtlich wollte das niemand.

»Sohn«, sagte Volemak, »du wirst die Überseele nicht daran hindern können, das zu tun, von dem sie weiß, daß es das Richtige ist.«

»Die Überseele ist im Unrecht«, sagte Nafai. »So einfach ist das. Keiner von euch würde mir je verzeihen, würde ich der Überseele in dieser Sache gehorchen.«

»Das stimmt«, sagte Mebbekew.

»Und ich würde mir selbst auch nicht verzeihen«, sagte Nafai. »Also ist das Thema damit erledigt. Zdorab wird sich morgen den Kalender ansehen. Er und alle anderen, die es wünschen, können ihn sich unmittelbar vor dem Start noch einmal ansehen.«

»Das ist sehr freundlich von dir«, sagte Elemak. »Wir alle können heute wahrscheinlich viel ruhiger schlafen, da wir nun wissen, daß hinter unserem Rücken keine Ränke geschmiedet werden. Danke, daß du so ehrlich und offen zu uns warst.« Er erhob sich vom Tisch.